Trunkenheit im Verkehr
Autor:innen: Lisa Schmidt
Notwendiges Vorwissen: Kenntnis der Prüfung abstrakter Gefährdungsdelikte; Vorwissen zu den anderen Straßenverkehrsdelikten §§ 315b ff. StGB, die zu § 316 StGB leges speciales sind, ist hilfreich.
Lernziel: Da § 316 StGB formell subsidiär zu den meisten anderen Straßenverkehrsdelikten ist, wird es in der typischen Klausur eher am Rande relevant. Wichtig ist dennoch, sich mit den unterschiedlichen BAK-Werten und deren Bedeutung im Gutachten auszukennen. Schwierigkeiten kann außerdem der Bezugspunkt des Vorsatzes bereiten.
In der Praxis hat § 316 StGB mit 40% [1] unter den Aburteilungen und Verurteilungen wegen Straftaten im Straßenverkehr eine hohe Relevanz, auch wenn die (abgeurteilten und verurteilten) Trunkenheitsfahrten in den letzten Jahren abgenommen haben. Obwohl § 316 StGB sämtliche Rauschmittel und neben dem Straßen- auch den Bahn-, Luft- und Schiffsverkehr umfasst, bleiben in Klausuren sowie in der Praxis die (alkoholbedingten) Trunkenheitsfahrten im Straßenverkehr die Regel. Dunkelfeldstudien legen in Form einer hohen Dunkelziffer eine weite Verbreitung des Delikts nahe.[2]
A. Rechtsgut und Deliktsstruktur
[Bearbeiten]Anders als bei den §§ 315b, 315c StGB ist das geschützte Rechtsgut des § 316 StGB ausschließlich die Sicherheit des öffentlichen Verkehrs.
Der öffentliche Verkehr meint den Straßen-, Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr. In Klausuren wird beinahe immer der Straßenverkehr behandelt.
Nach einer nur selten vertretenen Meinung schützt § 316 StGB auch die Rechtsgüter Leben, Gesundheit und fremdes Eigentum.[3] Das lässt sich mangels Anknüpfung im Wortlaut allerdings nicht gut vertreten. Im Ergebnis würde das eine Gestaltung des § 316 StGB als konkretes Gefährdungsdelikt fordern,[4] der Tatbestand des § 316 StGB müsste also neben der Trunkenheitsfahrt auch den Eintritt einer konkreten Gefahr für die die Rechtsgüter Leben, Gesundheit oder fremdes Eigentum verlangen. Hier hat sich der Gesetzgeber aber offensichtlich dagegen entschieden. Weil das geschützte Rechtsgut ein Kollektivrechtsgut ist, kann es auch keinen Ausschluss der Strafbarkeit bei absoluter Ungefährlichkeit im Einzelfall geben (vgl. § 306a StGB, wo teilweise die Möglichkeit einer teleologischen Reduktion vertreten wird).
Es handelt sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, der Tatbestand ist also schon beim Fahren im Zustand der Fahruntüchtigkeit erfüllt. Der Eintritt eines Verletzungserfolges oder einer konkreten Gefahr ist damit nicht erforderlich, wie es zB bei einem "Beinahe-Unfall" (§§ 315a ff. StGB) der Fall wäre.
Ein sog. „Beinahe-Unfall“ liegt vor, wenn eine Verkehrssituation so gefährlich ist, dass es nur noch vom Zufall abhängt, ob ein Schaden eintritt oder nicht.[5]
Teleologisch steht hinter der Norm der Wunsch des Gesetzgebers, eine größere Präventionswirkung zu erzielen.</ref>
Weil § 316 StGB ein verhaltensgebundenes Delikt ist – für den objektiven Tatbestand braucht es nur das Fahren und eben nicht die Manifestation eines anderen Erfolgs oder Ereignisses – ist nach der BGH-Rechtsprechung keine actio libera in causa möglich.[6]
Zuletzt stellt die Trunkenheit im Verkehr eine Dauerstraftat dar.
B. Objektiver Tatbestand
[Bearbeiten]1. Führen eines Fahrzeugs
[Bearbeiten]Zunächst muss ein Fahrzeug geführt werden. Ein Fahrzeug wird definiert als Beförderungsmittel, das zum Transport von Menschen oder Sachen bestimmt ist. Das gilt unabhängig von seiner Antriebsart, also kann auch ein Fahrrad oder ein Segelboot ein Fahrzeug sein.[7] Der Wortlaut setzt voraus, dass es fahren kann; das Reiten eines Pferdes ist damit beispielsweise ausgeschlossen. Die besonderen Fortbewegungsmittel gemäß § 24 Abs. 1 StVO, also beispielsweise Rodelschlitten, Kinderwagen, Roller oder Inline-Skates, gehören nicht zu den Fahrzeugen im Sinne von § 316 StGB.
Gem. § 24 Abs. 1 StVO sind auch „ähnliche nicht motorbetriebene Fortbewegungsmittel“ keine Fahrzeuge. In der der Klausur kommt es bei nicht namentlich aufgezählten Fortbewegungsmitteln vor allem auf das Problembewusstsein und die Argumentation an.
Ein Fahrzeug führt, wer es – eigen- oder mitverantwortlich – in Bewegung setzt oder hält, dabei dessen Antriebskräfte bestimmungsgemäß anwendet oder die Fortbewegung des Fahrzeugs unter Handhabung der jeweiligen technischen Vorrichtungen ganz oder teilweise leitet. Wichtig ist also insbesondere, dass das Fahrzeug in Bewegung ist und vom Täter gesteuert wird. Ob das Fahrzeug sich mit Motorkraft oder aufgrund der Schwerkraft bewegt, ist unerheblich.[8] Im Stillstand wird das Fahrzeug nicht geführt.
Beispiele:
Ein Fahrzeug führt damit, wer beim Abschleppen Lenkung und Bremse bedient.
Ein Motorrad ohne Motorkraft zu schieben oder lediglich mit angelassenem Motor auf der Stelle zu stehen, fällt nicht unter das Führen eines Fahrzeugs.
Der Täter muss das Fahrzeug selbst führen, § 316 StGB ist deswegen – ebenso wie § 315c StGB – ein eigenhändiges Delikt. Eine Zurechnung für eine Mittäterschaft oder mittelbare Täterschaft ist damit nicht möglich.
Ob Fahrlehrer:innen aufgrund ihrer technischen Eingriffsmöglichkeiten in das Fahrzeug als Fahrzeugführer zu qualifizieren sind, ist umstritten. Bejaht wird dies aufgrund von § 2 Abs. 15 S. 2 StVG, andere sehen die Norm als Argument, dass Fahrlehrer:innen einem Fahrzeugführer zwar im Rahmen des StVG, aber nicht in anderen Gesetzen gleichgestellt sind.[9]
2. im Verkehr (§§ 315 bis 315e)
[Bearbeiten]Mit Verkehr sind alle in den §§ 315 – 315e StGB geschützten Verkehrsarten gemeint. Unter § 316 StGB fallen allerdings nur Vorgänge im (faktisch) öffentlichen Verkehrsraum. Klausurrelevant ist insbesondere der Straßenverkehr.
Die Öffentlichkeit ergibt sich aus der faktischen Zugänglichkeit; Eigentumsverhältnisse oder Widmungen spielen hier keine Rolle. Sobald eine Fläche für jedermann zugänglich ist und von der Allgemeinheit (im Sinne eines unbestimmten Personenkreises) tatsächlich benutzt wird, gehört sie zum öffentlichen Verkehrsraum.
Öffentlich sind damit auch Parkplätze von Geschäften, Parkhäuser, Fußgängerbereiche oder Straßen in einem zwar abgezäunten, aber auch für Besucher:innen zugänglichen Komplex.
3. im Zustand der Fahruntüchtigkeit
[Bearbeiten]Ein Fahrzeugführer ist „fahruntüchtig“ (fahrunsicher), wenn seine Gesamtleistungsfähigkeit "infolge Enthemmung sowie geistig-seelischer oder körperlicher Ausfälle so weit herabgesetzt ist, dass er nicht mehr fähig ist, sein Fahrzeug eine längere Strecke, und zwar auch bei plötzlichem Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern".[10] Bei § 316 StGB kann die Fahruntüchtigkeit nur durch berauschende Mittel wie Alkohol, Drogen oder Medikamente erreicht werden (anders dagegen bei § 315c I Nr. 1b StGB). Wie das Wort „infolge“ in § 316 StGB anzeigt, muss der Konsum jedenfalls mitursächlich für die Fahruntüchtigkeit sein.
Die Begriffe der Fahruntüchtigkeit und der Fahrunsicherheit werden weitgehend synonym verwendet. Der Begriff der Fahrunsicherheit setzt sich jedoch langsam durch, da es die Erfüllung von § 316 StGB nicht zwingend eine gänzliche Untüchtigkeit zum Fahren vorliegen muss.[11]
Alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit Entscheidend für die Fahruntüchtigkeit ist die Blutalkoholkonzentration (BAK).
In der Klausur wird die BAK meist angegeben. In der Praxis wird die BAK zum Zeitpunkt der Blutprobe bestimmt und für den Tatzeitpunkt zurückgerechnet. Die Rückrechnung erfolgt mit den für den Täter günstigsten Sicherheitszuschlägen und Abbauwerten. Die Kenntnis von Berechnungsschwierigkeiten wird erst im 2. Examen relevant.[12]
Es gibt die absolute und die relative Fahruntüchtigkeit. Beide reichen für eine Fahruntüchtigkeit iSv § 316 StGB aus, unterliegen aber unterschiedlichen Beweisanforderungen.
Die individuelle Fahruntüchtigkeit könnte in jedem Einzelfall eigentlich nur mit hohem Aufwand durch Gericht und Sachverständige festgestellt werden. Angesichts der Häufigkeit des Delikts ist das nicht realisierbar. Die Rechtsprechung hat daher für die Fortbewegungsmittel KFZ und Fahrrad, gestützt auf rechtsmedizinische Erkenntnisse, mit der absoluten und relativen Fahruntüchtigkeit Grenzwerte zur Handhabung in der strafrechtlichen Prüfung entwickelt.
Absolute Fahruntüchtigkeit Unabhängig von anderen Beweiszeichen gilt die Fahrzeugführerin, die eine BAK von über 1,1 Promille hat, als absolut fahruntauglich. Das ist auch unwiderlegbar, die betroffene Person hat also keine Möglichkeit eines Gegenbeweises.
Bei Autofahrer:innen liegt die BAK für die absolute Fahruntüchtigkeit bei 1,1 Promille. Diese ergibt sich rechnerisch aus einem Grundwert von 1,0 und einem Sicherheitszuschlag von 0,1, um die Streubreite verschiedener Bestimmungsmethoden aufzufangen. Bei Radfahrer:innen liegt die BAK bei 1,6 Promille.
Wie hoch die Grenze bei E-Scootern liegt, ist noch nicht einheitlich geklärt und eignet sich in einer Klausur zur Argumentation. Es wäre zu argumentieren, ob der E-Scooter eher dem Auto oder dem Fahrrad gleichgestellt werden sollte. Kriterien wären beispielsweise die Geschwindigkeit, die Voraussetzungen für die Benutzung, die Straßenverkehrsregeln oder Antriebsart. Die Gerichte haben die Entscheidung bisher teilweise offen gelassen oder sich für 1,1 Promille ausgesprochen.[13]
Besonderheiten ergeben sich beim sog. Sturztrunk und der darauffolgenden Anflutungsphase. Dort bleibt die BAK bei Tatzeit zwar noch hinter dem Grenzwert zurück, erreicht ihn aber danach. Bei einem solchen Sturztrunk wird der Körper mit Alkohol überflutet und die Leistungsfähigkeit ist bereits stark herabgesetzt, der Alkohol ist aber noch zu sehr im Körper verteilt, um ihn exakt zum Zeitpunkt der Blutprobe zu bestimmen (vgl. § 24 a Abs. 1 StVG). Auch hier wird eine absolute Fahruntüchtigkeit bejaht.
Ab einer BAK von 2,0 Promille ist § 21 StGB im Rahmen der Schuld anzusprechen (→ F).
Relative Fahruntüchtigkeit Bei der relativen Fahruntüchtigkeit ist der jeweilige BAK-Wert nur ein Indiz, es müssen darüber hinaus noch weitere Indizien in Form von alkoholbedingten Ausfallerscheinungen hinzutreten. Solche alkoholbedingten Ausfallerscheinungen können Fahrfehler, Gangart, Aussprache oder das sonstige Verhalten der Person sein. Zu einer BAK von mind. 0,3 Promille müssen im Rahmen einer Gesamtwürdigung alkoholbedingte Ausfallerscheinungen hinzutreten, die insgesamt zu einer Bewertung der Fahrerin als fahruntüchtig führen.
Teilweise wird bei außergewöhnlich starken Ausfallerscheinungen eine relative Fahruntüchtigkeit auch unter 0,3 Promille angenommen.[14]
Für die meisten Drogen und andere berauschende Mittel existieren noch keine solchen festen Werte. Es sind also entsprechende Ausfallerscheinungen erforderlich, die sich auf die Fahreignung auswirken. Die Vorgehensweise entspricht hier tendenziell der bei der relativen Fahruntüchtigkeit.
Bei THC (psychoaktiver Inhaltsstoff von Cannabis) liegt die Toleranzgrenze der relativen Fahruntüchtigkeit derzeit bei 1,0 Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum (ng/ml).[15] Kritiker:innen sehen hierin eine faktische Null-Toleranz-Grenze, da der Wert je nach Konsument:in auch bei wiederhergestellter Fahrtüchtigkeit noch lange nach dem Konsum im Blut nachgewiesen werden kann. Teilweise wird darin eine Privilegierung von Alkoholkonsum gesehen und eine Anhebung der Toleranzgrenze gefordert.[16]
Dasselbe gilt für andere Fahrzeuge als das Kraftfahrzeug und das Fahrrad.
C. Subjektiver Tatbestand
[Bearbeiten]Bei der Prüfung des Vorsatzes ist zu unterscheiden: Bzgl. des Führens eines Fahrzeugs ist immer Vorsatz erforderlich, bzgl. der Fahruntüchtigkeit (oder Fahrunsicherheit) unterscheidet § 316 StGB zwischen Vorsatz (Abs. 1) und Fahrlässigkeit (Abs. 2) → D.
Vorsätzlich im Sinne von § 15 StGB handelt, wer in Kenntnis der Umstände des objektiven Tatbestands handelt und deren Verwirklichung mindestens billigend in Kauf nimmt (Umkehrschluss aus § 16 Abs. 1 S. 1 StGB). Bzgl. § 316 Abs. 1 StGB bedeutet das, dass der Täter die Möglichkeit der Umstände für die spezifische Leistungsminderung (die Fahrunsicherheit) kennt und dennoch fährt. Wer sich trotz Kenntnis der Umstände (gemeint ist: trotz Kenntnis der Konsummenge und des Konsumzeitraums) dennoch für fahrsicher hält, unterliegt einem (unbeachtlichen) Subsumtionsirrtum. Es ist damit keine Kenntnis einer BAK-Grenze erforderlich, diese ist nicht Tatbestandsmerkmal.[17]
In der Praxis sind diese Fälle naturgemäß sehr anfällig für Probleme in der Beweisführung und kommen daher nicht häufig vor. Bis zum ersten Staatsexamen muss es hinreichende Angaben im Sachverhalt geben. Aus einer hohen BAK allein kann nicht ohne weiteres auf vorsätzliches Handeln geschlossen werden. In der Subsumtion kommt es damit wie immer auf die tatsächlichen Umstände im Einzelfall an. Zu den Indizien können neben einem auffälligen Fahrstil (denkbar ist zu unvorsichtiges, aber auch auffällig vorsichtiges Fahren) die Konsummenge, der Einnahmezeitraum, aber auch Intelligenz und Selbstkritik der Fahrerin gehören.[18]
Problematisch bei der Vorsatzbeurteilung ist natürlich, dass die Selbstüberschätzung der eigenen Fähigkeiten zu den typischen Auswirkungen von Alkohol zählt. In dubio pro reo berechtigt aber nicht schon zu Zweifeln, wenn der Täter formelhaft vorträgt, sich „fahrtüchtig gefühlt“ zu haben. Bei kräftigem Trinken in Fahrbereitschaft wird in der Regel zumindest bedingter Vorsatz vorliegen.[19] Selbst bei Werten von 2 Promille kann die für den Vorsatz erforderliche Einsicht bzgl. des Verbots, betrunken im Straßenverkehr zu fahren, trotz der herabgesetzten Steuerungsfähigkeit infolge des Alkoholkonsums bestehen.[20] Um den Vorsatz auszuschließen oder zu begründen, müssen damit weitere Indizien bzw. Angaben im Sachverhalt hinzutreten.[21] Erst bei nachhaltiger Beeinträchtigung der Einsichtsfähigkeit kommt der Ausschluss des Vorsatzes in Betracht.[22] Hier wird tendenziell – auch aufgrund von Beweisschwierigkeiten - eher eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit gemäß § 316 Abs. 2 StGB zu prüfen sein.
D. Fahrlässigkeit, § 316 II StGB
[Bearbeiten]§ 316 Abs. 2 StGB regelt die fahrlässige Trunkenheit im Verkehr. Der Täter hält sich also bewusst oder unbewusst fahrlässig für fahrtüchtig. Aufgrund der allgemeinen Bekanntheit der Auswirkungen von Alkoholkonsum dürfte die Vorhersehbarkeit grds. gegeben sein. Ansonsten folgt die Prüfung von § 316 Abs. 2 StGB der üblichen Fahrlässigkeitsstruktur.
Aufgrund der Deliktsstruktur als eigenhändiges Tätigkeitsdelikt ist Fahrlässigkeit bzgl. des Führens eines Fahrzeugs kaum möglich (ebenso bei § 315c Abs. 1, 3 StGB). Das liegt daran, dass das Führen ein finales Handeln darstellt und eine solche zielgerichtete Handlung nur vorsätzlich denkbar ist.[23]
E. Rechtswidrigkeit
[Bearbeiten]Aufgrund des Rechtsguts von § 316 StGB – die Sicherheit des öffentlichen Verkehrs – kommt eine Rechtfertigung durch Notwehr oder Einwilligung nicht in Betracht. Eine Tat nach § 316 StGB kann sich nicht gegen ein Rechtsgut eines Angreifers richten (nach ganz überwiegender Auffassung, s.o.) und kann damit keine taugliche Verteidigungshandlung iSv § 32 StGB darstellen.
In Extremfällen kann eine Rechtfertigung gem. § 34 StGB in Betracht kommen. Zu denken wäre hier bspw. an eine (Trunkenheits-)Fahrt, um eine Entführung zu verhindern. In der Regel wird auch § 34 StGB jedoch zu verneinen sein. Zum einen, wenn im Rahmen der Erforderlichkeit mildere, ebenso effektive Mittel zur Verfügung stehen (Fahrt durch andere Personen, Krankenwagen, Taxi). Zum anderen wird im Rahmen der Interessenabwägung regelmäßig kein wesentliches Überwiegen vorliegen.
F. Schuld
[Bearbeiten]Bei jedweder Art von Substanzkonsum, insb. bei Alkoholisierung, kommt naturgemäß eine Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit jedenfalls in Frage und es könnten die §§ 20, 21 StGB zu erörtern sein.
Auch für §§ 20, 21 StGB haben sich BAK-Werte zur Orientierung entwickelt. Schuldunfähigkeit wird ab einer BAK von 3,0 Promille angenommen, verminderte Schuldfähigkeit ab 2,0 Promille. Für Tötungsdelikte liegt die Schwelle nochmal jeweils um 0,3 Promille höher.
Früher wurde in der Rechtsprechung auch oft die Rechtsfigur der actio libera in causa (alic) herangezogen, seit der Grundsatzentscheidung des BGH[24], die eine alic für das Tätigkeitsdelikt ausschließt, ist das in der Praxis nicht mehr der Fall. Damit einhergehende Schwierigkeiten können gut über § 323a StGB, der als Auffangtatbestand dient, gelöst werden.
G. Täterschaft und Teilnahme
[Bearbeiten]1. Täterschaft
[Bearbeiten]Da es sich bei § 316 StGB um ein eigenhändiges Delikt handelt, kann Täter nur sein, wer jedenfalls Teilfunktionen, die für die Bewegung des Fahrzeugs zuständig sind, selbst bedient. Eine mittelbare Täterschaft ist damit so gut wie ausgeschlossen. Eine Mittäterschaft kommt nur in Betracht, wenn jede Person als Fahrzeugführer anzusehen ist, also eine für die zielgerichtete Fortbewegung des Fahrzeugs im Verkehr notwendige Tätigkeit ausübt (beispielsweise wenn eine Person lenkt, die andere die Kupplung bedient).
Teilweise wird mithilfe der Rechtsfigur der ommissio libera in causa – eine Rechtsfigur, die dem Täter vorwirft, sich im Vorhinein zur Wahrnehmung seiner Handlungsmöglichkeiten außerstande gesetzt zu haben[25] – eine Strafbarkeit durch Unterlassen (§ 13 StGB) befürwortet, wenn ein alkoholkranker Täter es in nüchternem Zustand unterlassen hat, sich seines Fahrzeugs zu entledigen. Dagegen wird aber eingewandt, dass einerseits die bloße Haltereigenschaft nicht zu einer Garantenstellung führen könne und andererseits so Täter bevorteilt würden, die im Zustand der Trunkenheit ein anderes als ihr eigenes Fahrzeug benutzen.[26]
2. Teilnahme
[Bearbeiten]Für eine Teilnahme müsste eine (in der Praxis eher seltene) vorsätzliche Haupttat, also § 316 Abs. 1 StGB, vorliegen. Es müsste also sowohl einen seine Fahrunsicherheit zumindest für möglich haltenden und sich damit abfindenden Täter sowie einen ebenfalls bedingt vorsätzlich handelnden Teilnehmer geben. Denkbar ist ein Anstifter, der den fahrunsicheren Täter zur Fahrt überredet oder einem fahrwilligen Täter Alkohol verabreicht. Aufgrund der Beweisschwierigkeiten wird das in der Praxis wohl kaum vorkommen, für Klausuren ist es aber denkbar. Auch Beihilfe kommt in Betracht, zB durch Ausleihen des Fahrzeugs, sofern die Vorsatzvoraussetzungen erfüllt sind; bloßes gemeinsames Trinken stellt im Regelfall keine Beihilfe dar. Ebenfalls können im Fall eines Unfalls oder anderen Ereignisses die §§ 222, 229, 13 StGB durch eine Gastgeberin oder andere Person, die den betrunkenen Täter ins Auto steigen sieht, erfüllt sein. Dafür wäre es erforderlich, dass diese Person den betrunkenen Täter nicht davon abhält, ein Fahrzeug zu führen, obwohl sie durch eine Garantenstellung dazu verpflichtet ist.[27]
H. Versuch
[Bearbeiten]Der Versuch einer Trunkenheitsfahrt iSv § 316 StGB ist nicht strafbar.
Gesetzesentwürfe zur Einführung einer Versuchsstrafbarkeit haben bisher keine politischen Mehrheiten gefunden. Diese fehlende Versuchsstrafbarkeit wird kritisiert, neben einem kriminalpolitischen Strafbedürfnis wird auch systematisch angeführt, dass der Versuch der Gefährdung des Straßenverkehrs in gewissen Fällen, darunter die Alkoholisierung, gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StGB sehr wohl strafbar, dieser Fall mangels nachweisbaren Gefährdungsvorsatzes allerdings selten erfüllt sei. Gegen die Versuchsstrafbarkeit sprechen auch die Beweisschwierigkeiten bei der vorsätzlichen Vollendungsstrafbarkeit. Wenn bereits selten Vorsatz angenommen wird, so würde das auch für einen etwaigen Versuch gelten.[28]
I. Strafzumessung
[Bearbeiten]Der Strafrahmen von Geldstrafe bis zu Freiheitsstrafe von einem Jahr ist sowohl für das Vorsatz- als auch für das Fahrlässigkeitsdelikt derselbe. Natürlich kann dennoch bei der individuellen Strafzumessung für die Vorsatztat eine schwerere Strafe verhängt werden.
Diese Gleichstellung ist nicht unumstritten, allerdings für das erste Staatsexamen nicht relevant. Die überwiegende Auffassung sieht in der Gleichstellung aufgrund der abstrakten Gefährlichkeit des Delikts kein Problem mit dem Schuldgrundsatz.[29] In der Praxis hat die Schuldform vielmehr Relevanz für die weiteren Maßnahmen. Neben der Strafhöhe kann sie auch darüber bestimmen, ob eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB oder eine Sperrfrist nach § 69a StGB verhängt werden. Wichtig kann auch sein, dass die Rechtsschutzversicherung die Verfahrenskosten üblicherweise nur bei einer Fahrlässigkeitstat übernimmt.[30]
J. Konkurrenzen
[Bearbeiten]Gem. § 316 Abs. 1 letzter Hs. StGB ist die Trunkenheit im Verkehr formell subsidiär gegenüber §§ 315a, 315c StGB. Da mit "Tat" allein die Trunkenheitstat gemeint ist, sind nur die §§ 315a Abs. 1 Nr. 1, 315c Abs. 1 Nr. 1 StGB Qualifikationen. Mit § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB ist Tateinheit möglich.
Klausurhinweis:Aufgrund dieser Subsidiarität ist § 316 StGB erst nach den anderen in Frage kommenden Straßenverkehrsdelikten und auch nur dann zu prüfen, wenn diese nicht vorliegen.
Weil § 316 StGB eine Dauerstraftat ist, ist das Delikt bereits mit dem Anfahren vollendet und erst dann beendet, wenn die Fahrt endgültig abgeschlossen ist oder die Fahrunsicherheit nicht mehr besteht.
Klausurhinweis: Bei Fahrtunterbrechungen ist deshalb genau auf den Zweck und die Fahrtabsicht zu schauen. So stellt eine Pause zum Tanken zum Zweck der Weiterfahrt keine für § 316 StGB relevante Unterbrechung dar.
Tatmehrheit gem. § 53 StGB ist möglich, wenn ein neuer Tatentschluss gefasst wird.
Beispiel: Das ist oft der Fall, wenn sich der Täter zu einer sog. Unfallflucht gem. § 142 StGB entschließt und darum weiterfährt.
Tateinheit gem. § 52 StGB ist insb. mit den §§ 315, 315a Abs. 1 Nr. 2, 315b StGB denkbar. Darüber hinaus stehen sämtliche Delikte, die innerhalb der Dauerdelikt-Phase verwirklicht, also aufgrund der Fahrt oder durch die Fahrt ermöglicht werden, in Tateinheit mit § 316 StGB. Häufig sind das die §§ 113, 142, 242, 323a StGB, Verletzungs- und Tötungsdelikte, § 21 StVG, Waffendelikte oder Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz (BtMG).
K. Wissen für das zweite Staatsexamen
[Bearbeiten]Im zweiten Staatsexamen werden auch Berechnungsmethoden zur Rückrechnung der Blutalkoholkonzentration (BAK) sowie die dortigen Berechnungsschwierigkeiten relevant.[31]
L. Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte
[Bearbeiten]- Die BAK-Werte für die Annahme absoluter und relativer Fahruntüchtigkeit.
- Bei absoluter Fahruntüchtigkeit steht die Fahruntüchtigkeit unwiderlegbar fest, bei der relativen Fahruntüchtigkeit dagegen sind weitere Indizien erforderlich.
- Der Vorsatz muss sich nicht auf die BAK-Werte beziehen, sondern auf die Umstände, die die Fahruntüchtigkeit bewirken.
- Konkurrenzen: Nicht jede Unterbrechung der Fahrt führt zu Tatmehrheit gem. §§ 316, 53 Abs 1 StGB.
- Gem. § 316 Abs. 1 letzter Hs. StGB ist § 316 StGB formell subsidiär.
M. Aufbauschema
[Bearbeiten]§ 316 Abs. 1, Abs. 2 StGB
I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
a) Führen eines Fahrzeugs
b) im Verkehr
c) im Zustand der Fahruntüchtigkeit
2. Subjektiver Tatbestand: Vorsatz oder Fahrlässigkeit
II. Rechtswidrigkeit
III. Schuld
IV. Subsidiarität, insb. ggü. § 315c Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 3 StGB
Fußnoten
[Bearbeiten]- ↑ König, in: LK-StGB/Bd. XVII, 13. Aufl. (2021), § 316 Rn. 1; Strafverfolgungsstatistik (Hrsg. Statistisches Bundesamt, Wiesbaden) Tabelle 2.1, abrufbar über www.destatis.de.
- ↑ Vgl. Kazenwadel/Vollrath, in: Krüger: Das Unfallrisiko unter Alkohol, 1995, S. 115 ff. (123).
- ↑ Wolters, in: SK-StGB, 9. Aufl. (2016), § 316 Rn. 2.
- ↑ Zieschang, in: NK-StGB, 5. Aufl. (2017), StGB § 316 Rn. 5 ff.
- ↑ Pegel, in: MüKo-StGB, Bd. V, 3. Aufl. (2019), § 315c Rn. 98.
- ↑ BGHSt 42, 235.
- ↑ Fischer, StGB, 69. Aufl. (2022), § 316 Rn. 4.
- ↑ Hecker, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), StGB § 316 Rn. 19.
- ↑ siehe zum Streitstand: Wolters, in: SK-StGB, 9. Aufl. (2016), § 316 Rn. 15; Fischer, StGB, 69. Aufl. (2022), § 316 Rn. 49a m.w.N.
- ↑ BGHSt 13, 83 (90); Ernemann, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, 5. Aufl. (2021), StGB § 316 Rn. 7.
- ↑ Pegel, in: MüKo-StGB, Bd. V, 3. Aufl. (2019), § 316 Rn. 25.
- ↑ Vertiefend zur Berechnung siehe Pegel, in: MüKo-StGB, Bd. V, 3. Aufl. (2019), § 316 Rn. 77 ff. m.w.N.
- ↑ BayObLG, SVR 2020, 397; Kudlich, in: BeckOK-StGB, 53. Ed. (Stand: 01.05.2022), § 315c Rn. 20 m.w.N.
- ↑ s. Pegel, in: MüKo-StGB, Bd. V, 3. Aufl. 2019, § 316 Rn. 66 m.w.N.
- ↑ Zieschang, in: NK-STGB, 5. Aufl. 2017, § 316 Rn. 50.
- ↑ Antrag der Linksfraktion, Drucksache 19/17612.
- ↑ Fischer, StGB, 69. Aufl. (2022), § 316 Rn. 44.
- ↑ Vgl. Fischer, StGB, 69. Aufl. (2022), § 316 Rn. 46 m.w.N.
- ↑ Fischer, StGB, 69. Aufl. (2022), § 316 Rn. 47.
- ↑ BGH NJW 2015, 1834 (1835).
- ↑ Hecker, in: Schönke/Schröder, 30 Aufl. (2019), § 316 Rn. 23.
- ↑ BGH NJW 2015, 1834 (1835).
- ↑ Pegel, in: MüKo-StGB, Bd. V, 3. Aufl. 2019, § 316 Rn. 106.
- ↑ BGHSt 42, 235.
- ↑ Bosch, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), StGB Vorb. zu §§ 13 ff. Rn. 144.
- ↑ Wolters, in: SK-StGB, 9. Aufl. (2016), § 316 Rn. 11.
- ↑ Burmann, in: Straßenverkehrsrecht, 27. Aufl. (2022), § 316 Rn. 4.
- ↑ König, in: LK-StGB/Bd. XVII, 13. Aufl. (2021), § 316 Rn. 228.
- ↑ König, in: LK-StGB/Bd. XVII, 13. Aufl. (2021), § 316 Rn. 181.
- ↑ Wolters, in: SK-StGB, 9. Aufl. (2016), § 316 Rn. 16.
- ↑ weiterführend hierzu siehe Hecker, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 316 Rn. 14 ff.