Erpressung
Autorin: Louisa Zech
Notwendiges Vorwissen: Nötigung, § 240; Betrug, § 263; Raub, § 249
A. Allgemeines und Rechtsgut
[Bearbeiten]Die Erpressung gem. § 253 StGB schützt die persönliche Freiheit und das Vermögen. Sie baut – unter Verwendung des identischen Wortlauts – auf der Nötigung gem. § 240 StGB auf und ergänzt sie in objektiver Hinsicht um das Erfordernis eines Vermögensnachteils und in subjektiver Hinsicht um die Absicht einer rechtswidrigen, stoffgleichen Bereicherung. Qualifiziert wird sie durch die räuberische Erpressung nach § 255 StGB, die den Einsatz der qualifizierten Nötigungsmittel des § 249 StGB verlangt. Die Erpressung muss also durch Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben begangen werden. Durch den Verweis des § 255 StGB auf den Raub („gleich einem Räuber“) werden zusätzlich dessen Qualifikationstatbestände gem. §§ 250 f. StGB anwendbar.
Nach großen Teilen der Literatur ist die Erpressung parallel zum Betrug als Selbstschädigungsdelikt zu verstehen. Beide weisen die Struktur einer vertypten mittelbaren Täterschaft auf. Während der Täter beim Betrug das Opfer durch Täuschung instrumentalisiere und zu einer Vermögensverfügung veranlasse, wende er bei der Erpressung zu diesem Zwecke Zwang an.[1] Konsequenz dieser angenommenen Strukturähnlichkeit mit § 263 StGB ist, dass als Nötigungserfolg nicht „jedes Handeln, Dulden oder Unterlassen“ genügen soll, sondern vielmehr – wie beim Betrug – eine Vermögensverfügung (s. dazu im Folgenden unter → B. I. 2.) erforderlich sein soll. Ebenso wie bei der Nötigung nach § 240 StGB indiziert der Tatbestand der einfachen Erpressung nicht die Rechtswidrigkeit. Diese muss vielmehr gem. § 253 Abs. 2 StGB anhand einer Verwerflichkeitsprüfung gesondert festgestellt werden (s. → C. II.).
Die Erpressung nach § 253 StGB spielt auch im digitalen Raum eine zunehmend größere Rolle, so etwa in Form von DDoS-Attacken, bei denen gezielt Webseiten überlastet werden, so dass diese keine Anfragen beantworten können, oder in Form von "Ransomware"-Angriffen, bei denen die Täter Daten ihrer Opfer verschlüsseln und erst nach Zahlung eines Lösegeldes die entsprechenden Entschlüsselungscodes herausgeben.[2] In der gutachterlichen Falllösung ergeben sich innerhalb der einzelnen Tatbestandsmerkmale spezifische Probleme.[3] Da derartige Fälle untrennbar mit einer Prüfung der Computerdelikte gem. §§ 202a ff. und §§ 303a f. StGB einhergehen, eignen sie sich insbesondere für Fortgeschrittenenklausuren.
B. Tatbestand
[Bearbeiten]I. Objektiver Tatbestand
[Bearbeiten]Der objektive Tatbestand des § 253 StGB setzt sich – wie angesprochen – aus einer Nötigung, bestehend aus dem Einsatz eines Nötigungsmittels und einem Nötigungserfolg, sowie einem Vermögensschaden zusammen. Zwischen den Elementen muss – unabhängig von der oben angesprochenen Streitfrage nach dem Erfordernis einer Vermögensverfügung als Nötigungserfolg – jedenfalls eine Final- und Kausalverknüpfung bestehen.
1. Nötigungsmittel
[Bearbeiten]Der Erpressungstatbestand sieht als Nötigungsmittel die Gewalt oder die Drohung mit einem empfindlichen Übel vor. Diese Nötigungsmittel entsprechen denen der Nötigung gem. § 240 StGB, daher ist es an dieser Stelle sinnvoll, das entsprechende Kapitel (→ § 11) noch einmal zu lesen.
a) Gewalt
[Bearbeiten]Unter Gewalt wird der körperlich wirkende Zwang durch die Entfaltung von Kraft oder durch eine physische Einwirkung sonstiger Art verstanden, die nach ihrer Zielrichtung, Intensität und Wirkungsweise dazu bestimmt und geeignet ist, die Freiheit der Willensentschließung oder -betätigung einer anderen Person aufzuheben oder zu beeinträchtigen. (Zur Historie des Gewaltbegriffs und zum Streitstand siehe → § 11). Da § 253 StGB anders als der Qualifikationstatbestand des § 255 StGB gerade keine „Gewalt gegen eine Person“ fordert, genügt im Rahmen von § 253 StGB auch die Gewalt gegen Sachen. Diese muss aber nach herrschender Meinung wenigstens mittelbar zu einer physischen – und nicht nur psychischen – Zwangswirkung führen, um eine Entgrenzung und Verschleifung des Gewaltbegriffs zu vermeiden.[4] Scheidet die Anwendung von Gewalt aufgrund dieser Restriktionen aus, kommt aber immer noch eine Drohung mit einem empfindlichen Übel in Betracht.[5]
Beispiel: Eine Schutzgelderpresserin zerstört das Inventar eines Geschäfts, um den Besitzer zur Geldzahlung zu bringen.[6] Hier kämen nur die Vertreter:innen eines entmaterialisierten Gewaltbegriffs zur Annahme von Gewalt, während die herrschende Meinung nur an die (konkludente) Drohung einer fortgesetzten Zerstörung des Geschäfts anknüpfen könnte.
Sehr umstritten ist zudem die Frage, ob Gewalt iSv § 253 StGB auch in Form der vis absoluta, also der willensbrechenden Gewalt, oder nur in Form der vis compulsiva, der willensbeugenden Gewalt, vorliegen kann. Zumindest nach der Literaturansicht, die für das Vorliegen eines Nötigungserfolgs eine Vermögensverfügung vorsieht (siehe unter unter → B. I. 2.), ist Gewalt in Form der vis absoluta ausgeschlossen, da ein willensgetragenes Verhalten – wie es die Verfügung voraussetzt – nicht mehr möglich ist. Da der Grundtatbestand des § 253 StGB in der Gewaltalternative ohnehin kaum einen eigenständigen Anwendungsbereich aufweist, ist der Meinungsstreit an dieser Stelle nicht relevant.
b) Drohung mit einem empfindlichen Übel
[Bearbeiten]Unter der Drohung wird das Inaussichtstellen eines zukünftigen Übels verstanden, auf dessen Eintritt die drohende Person zumindest behauptet, einen Einfluss zu haben. Die Drohung kann entweder ausdrücklich ausgesprochen werden oder sich konkludent aus dem Verhalten der drohenden Person ergeben. Von der Drohung abzugrenzen ist die Warnung, bei der der Täter lediglich über das bevorstehende Übel informiert, ohne vorzugeben, auf dessen Verwirklichung einen Einfluss zu haben. In solchen Konstellationen ist an einen Betrug zu denken. Die Drohung muss gegen die Person gerichtet sein, deren Wille gebeugt werden soll. Darüber hinaus wird überwiegend gefordert, dass der Nötigungsadressat die Drohung auch ernst nimmt, also die Verwirklichung des Übels ernstlich für möglich hält.[7] Unter einem Übel wird jede von der bedrohten Person als nachteilig empfundene Veränderung verstanden. Diese Veränderung kann auch primär einen Dritten betreffen. In diesem Fall kann sich die Frage stellen, ob ein Näheverhältnis zwischen dem Nötigungsadressaten und dem Dritten bestehen muss, oder ob es ausreicht, dass die Veränderung von dem Nötigungsadressaten als Übel empfunden wird. Empfindlich ist das Übel, wenn es von einer gewissen Erheblichkeit und somit geeignet ist, einen besonnenen Menschen zu beeindrucken und dazu zu motivieren, sich dem Willen der Drohenden entsprechend zu verhalten. Auch ein rechtmäßiges Verhalten, das in Aussicht gestellt wird, kann ein empfindliches Übel sein, wenn es sich negativ auf das Opfer auswirkt. Allerdings ist hier besonderes Augenmerk auf die Prüfung der Verwerflichkeit gem. § 253 Abs. 2 StGB zu legen.
Beispiel: Drohung mit Strafanzeige, Zivilklage, Veröffentlichung bloßstellender Details aus der Privatsphäre oder Kündigung eines Vertrags.
Ebenso wie bei der Nötigung gem. § 240 StGB stellt sich die Frage, ob eine Drohung mit einem Unterlassen unter den Tatbestand des § 253 StGB fallen kann. Unproblematisch zu bejahen ist das, wenn das Opfer einen Anspruch auf die Handlung hat, also die Drohende eine Rechtspflicht zu eben der Handlung hat, die zu unterlassen angedroht wird.[8] Umstritten sind allerdings Fälle, in denen eine solche Rechtspflicht gerade nicht vorliegt:
Beispiel: Ein viel zitiertes Beispiel aus der Rechtsprechung betrifft den Fall eines Richters, der einem Beschuldigten gegenüber erklärte, dass gegen Zahlung einer Geldsumme bereit sei, auf seine Frau – die im Verfahren zuständige Staatsanwältin – einzuwirken, damit diese das Verfahren einstelle.[9]
Der Richter droht in dem Beispiel also damit, es zu unterlassen, auf seine Ehefrau einzuwirken und damit eine Verfahrenseinstellung herbeizuführen. Allerdings trifft ihn diesbezüglich auch keine Handlungspflicht. Die Rechtsprechung und hM in der Literatur gehen gleichwohl in solchen Fällen von einer Drohung mit einem empfindlichen Übel aus, wenn „(…) von dem Betroffenen nicht erwartet werden kann, der Drohung in besonnener Weise Stand zu halten.“[10] Das heißt, das Drohen mit einem Unterlassen muss einen ähnlich starken Druck auf das Opfer auslösen, wie ein Drohen mit einer Handlung auslösen würde.
Klausurhinweis: Das Beispiel zeigt schön, dass die Problematik der Drohung mit einem Unterlassen im Gewand eines Versprechens, etwas zu tun, auftauchen kann und daher gerne übersehen wird.
Eine Korrektur für diejenigen Fälle, in denen das Drohen mit dem Unterlassen einer Handlung lediglich ein zusätzliches Handlungsangebot für das Opfer darstellt, welches den Status Quo verbessert und daher keinen Unrechtsgehalt aufweist, könne über die Verwerflichkeitsprüfung vorgenommen werden (→ s. unter C.).[11] Demgegenüber geht eine andere Ansicht davon aus, dass eine Drohung mit einem Unterlassen ausschließlich bei Vorliegen einer Rechtspflicht der drohenden Person bestehe.[12] Bei Fehlen einer Rechtspflicht zum Handeln erhalte das Opfer dagegen lediglich eine zusätzliche Option, wodurch sich seine Freiheit sogar vergrößere. Damit handle es sich strukturell um einen Wucher, nicht um eine Erpressung.
Interessant bzgl. der Drohung ist zudem ein Fall der „Lebensmittelerpressung“, mit dem sich der BGH im Jahr 2019[13] auseinanderzusetzen hatte. Diesem Fall lag die Besonderheit zu Grunde, dass das empfindliche Übel bzw. die gegenwärtige Gefahr für Leib oder Leben bereits durch den Täter umgesetzt wurde und erst im Anschluss die Lebensmittelketten informiert wurden.[14]
2. Nötigungserfolg
[Bearbeiten]Der Erpressungstatbestand § 253 StGB fordert – parallel zu der Formulierung in § 240 StGB – ein „Handeln, Dulden oder Unterlassen“ als Nötigungserfolg. Diesem weiten Wortlaut folgend halten Rechtsprechung und einige Stimmen in der Literatur[15] jede Form von abgenötigtem Opferverhalten für ausreichend. Damit unterfällt insbesondere auch das bloße Dulden einer Fremdschädigung dem Tatbestand. Außerdem argumentiert diese Ansicht mit Strafbarkeitslücken, die allerdings primär beim Einsatz von qualifizierten Nötigungsmitteln, also im Zusammenhang mit dem Qualifikationstatbestand der §§ 253, 255 StGB eine Rolle spielen (s. eine ausführlichere Streitabhandlung unter → § 50 B I. 2.). Liegt nämlich eine qualifizierte Nötigung in Form der vis absoluta vor und handelt die Nötigende ohne Zueignungsabsicht, so könne lediglich eine Bestrafung auf Grund von § 240 StGB erfolgen, weil keine Vermögensverfügung des Opfers vorliegt. Demgegenüber mache sich eine Person, die ohne Zueignungsabsicht in Form der vis compulsiva handele wegen einer räuberischen Erpressung gem. §§ 253, 255 StGB strafbar.
Verbreitet wird dagegen in der Literatur[16] aus systematischen Erwägungen abgeleitet, dass der Nötigungserfolg gerade in einer Vermögensverfügung des Opfers liegen müsse. Insofern wird erstens auf den Charakter der Erpressung als Selbstschädigungsdelikt und der daraus folgenden Strukturähnlichkeit zum Betrug verwiesen (s. oben → A.). Zweitens wird das Merkmal für notwendig erachtet, damit die Erpressung nicht zu einem konturenlosen Auffangtatbestand werde, der die dem Vermögensstrafrecht zugrundeliegenden Differenzierungen einebne. Insbesondere drohe eine umfassende Pönalisierung der bloßen Gebrauchsanmaßung, die, wie aus dem Umkehrschluss zu §§ 248b, 289, 290 StGB folge, nach den Wertungen des Gesetzes grundsätzlich straflos sein soll. Im Zusammenhang mit der Gesetzessystematik steht auch das dritte Anliegen, dem Raub gegenüber der räuberischen Erpressung eine eigenständige Bedeutung zu geben und mit der Vermögensverfügung ein Kriterium für die Abgrenzung zwischen den Tatbeständen zu schaffen (dazu näher → § 255).
Hält man das letzte Argument für durchschlagend, ist auch denkbar, eine differenzierende Lösung zu vertreten, die nur bei der Sacherpressung eine Vermögensverfügung fordert, bei der Forderungserpressung dagegen auf das Merkmal verzichtet.[17]
Verlangt man mit der Literatur einschränkend eine Vermögensverfügung, so ist der Inhalt dieses Erfordernisses zu klären. Im Ausgangspunkt besteht Einigkeit darin, dass es sich um ein willensgetragenes, bewusstes Verhalten des Opfers handeln muss, welches sich vermögensmindernd auswirkt. Mit dieser Begriffsdefinition ist eine Erpressung bei Anwendung von vis absoluta als Nötigungsmittel im Ergebnis ausgeschlossen.[18] Ferner ist allgemein akzeptiert, dass es anders als beim Betrug auf die Freiwilligkeit des Opferverhaltens nicht ankommen kann, da eine Erpressung gerade voraussetzt, dass der Wille des Opfers durch Zwang gebeugt wird. Daher ist der Verfügungsbegriff erpressungsspezifisch zu konturieren. Entscheidend soll nach einer weit verbreiteten Formulierung sein, ob das Opfer sich eine „Schlüsselstellung“ beimisst, also aus seiner Sicht der Täter nur durch seine Mithilfe an die Beute gelangen kann.[19] Geht das Opfer demgegenüber davon aus, dass unabhängig von seinem Verhalten die drohende oder gewaltausübende Person den erstrebten Vermögensvorteil erlangen kann, so ist eine Vermögensverfügung ausgeschlossen.
Beispiel: Nur dem Opfer ist die Zahlenkombination des Tresors bekannt.
Weiterhin umstritten ist, ob ¬– in Fällen, in denen sich das Opfer diese Schlüsselposition beimisst – die Vermögensminderung unmittelbar, das heißt ohne weitere deliktische Zwischenschritte aus dem Opferverhalten resultieren muss.[20]
Beispiel: Das Opfer gibt seine EC-Karte unter Nennung der PIN heraus. In dieser Konstellation kann der Täter den Zugriff auf das Geld nur durch weitere Schritte realisieren. Fordert man nun die Unmittelbarkeit der Vermögensminderung, kann man nicht an den endgültigen Vermögensabfluss anknüpfen, der durch das Abheben eintritt. Es ist jedoch zu fragen, ob durch die Herausgabe von Karte und PIN nicht schon eine konkrete Vermögensgefährdung und damit eine Vermögensminderung eintritt.[21] Diese Minderung wäre unmittelbar durch die Verfügung verursacht worden.
Klausurhinweise: Der Streit um das Erfordernis der Vermögensverfügung taucht regelmäßig im Zusammenhang mit dem Klassiker „Raub vs. räuberische Erpressung“ auf. Die Kontroverse kann aber auch im Rahmen einer einfachen Erpressung relevant werden, wie folgendes an BGH NStZ 2020, 219 angelehntes Beispiel zeigt: A fährt mit dem Auto vor K her, von dem er weiß, dass er einen Geldkoffer auf dem Rücksitz hat. An einer Ampel bleibt A stehen und schaltet die Warnblinkanlage an, sodass K nicht weiterfahren kann. Er steigt aus und geht zu Ks Auto. K glaubt, A wolle ihn um Hilfe bitten. A reißt blitzschnell die Hintertür auf und flieht mit dem Geldkoffer. Neben der Prüfung des Raubes, der nach Ansicht des BGH daran scheitert, dass keine Gewalt gegen eine Person angewendet wurde, und des unproblematisch zu bejahenden Diebstahls, wäre eine einfache Erpressung zu prüfen. Insofern wäre einerseits der Begriff der „einfachen“ Gewalt zu problematisieren, andererseits, ob die Erpressung eine Vermögensverfügung des Opfers voraussetzt. Wichtig ist es, daran zu denken, dass auch ein Unterlassen eine Vermögensverfügung darstellen kann, insbesondere der Verzicht auf das Eintreiben einer werthaltigen Forderung. In diesen Konstellationen kommt es auf einen Streitentscheid nicht an, da eine Vermögensverfügung vorliegt.
Eng mit der Frage nach dem Erfordernis einer Vermögensverfügung verknüpft, ist zuletzt die Problematik der sog. Dreieckserpressung, bei der Nötigungsadressat und geschädigte Person auseinanderfallen. Auf dem Boden der Literaturansicht, die die Erpressung als Selbstschädigungsdelikt versteht und aus diesem Grund eine Vermögensverfügung verlangt, ist es nur konsequent, ebenso wie beim Dreiecksbetrug (s.→ § 40) ein Näheverhältnis zwischen Verfügenden und Geschädigten zu fordern.[22] Abweichend vom Betrug ist jedoch insofern recht allgemein anerkannt, dass es auf eine bestehende oder angenommene Verfügungsbefugnis nicht ankommen kann, sondern dass es ausreicht, dass die Verfügende im Lager des Geschädigten steht. Wird der Selbstschädigungscharakter der Erpressung dagegen verneint, ließe sich widerspruchsfrei ein vollständiger Verzicht auf ein Näheverhältnis vertreten. Dennoch erachtet auch die Rechtsprechung eine bestimmte Beziehung zwischen nötigender und geschädigter Person als erforderlich. Danach müsse ein „(...) Näheverhältnis dergestalt bestehen, daß das Nötigungsopfer spätestens im Zeitpunkt der Tatbegehung auf der Seite des Vermögensinhabers steht.“[23] Lediglich eine Nötigung in Tateinheit mit Diebstahl in mittelbarer Täterschaft liege demgegenüber vor, wenn das Nötigungsopfer den Vermögensinteressen der geschädigten Person gleichgültig gegenüberstehe.
3. Vermögensnachteil
[Bearbeiten]Der Vermögensnachteil entspricht dem Vermögensschaden des Betrugstatbestandes nach § 263 StGB. Es wird also eine Gesamtsaldierung aller Aktiva und Passiva vor und nach dem schädigenden Ereignis vorgenommen. Kam es zu einem Vermögensabfluss ohne entsprechende Kompensation, liegt ein Vermögensnachteil des Opfers vor. Die Grundsätze über die Vermögensgefährdung und den persönlichen Schadenseinschlag sowie über den Streit um den Vermögensbegriff, die bereits im Rahmen des Betrugstatbestandes angesprochen wurden, gelten hier entsprechend. Es gibt allerdings Konstellationen, bei denen der Vermögensschaden typische erpressungsspezifische Probleme aufweist. Beispielhaft zu nennen sind die „Rückverkaufsfälle“, in denen der Täter dem Opfer zunächst einen Gegenstand entwendet und lediglich gegen die Zahlung eines Geldbetrages zur Rückgabe bereit ist. In diesen Fällen erlangt das Opfer die verlorene Vermögensposition wieder zurück, was die Frage nach einem schadenskomepensierenden Äquivalent aufwirft. Die wohl überwiegende Auffassung nimmt in diesen Fällen einen Vermögensnachteil an, da den Täter eine Pflicht zur unentgeltlichen Rückgabe der Sache treffe.[24] Zudem umstritten im Rahmen des Vermögensvorteils ist die „Sicherungserpressung“. Sie beschreibt Fälle, in denen durch eine nachträgliche Nötigungshandlung die aus einer zuvor begangenen Straftat erlangte Beute gesichert werden soll. Nach der sog. Tatbestandslösung entstehe in dieser Konstellation kein weiterer eigenständiger Vermögensschaden, insofern keine Vertiefung oder Verfestigung des bereits durch die Vortat entstandenen Schadens vorliege. Nach der sog. Konkurrenzlösung liege in derartigen Fällen eine tatbestandsmäßige Erpressung vor, die als „mitbestrafte Nachtat“ hinter der Vortat zurücktrete.
II. Subjektiver Tatbestand
[Bearbeiten]Der subjektive Tatbestand setzt neben dem einfachen Vorsatz die Bereicherungsabsicht voraus, also die Absicht sich selbst oder einer dritten Person einen Vermögensvorteil zu verschaffen. Die Bereicherung muss – wie beim Betrug – stoffgleich und rechtswidrig sein. Auch der Besitz an Sachen kann hierunter fallen, sofern ihm ein eigenständiger wirtschaftlicher Wert innewohnt. Stoffgleichheit bedeutet, dass der erstrebte Vermögensvorteil gerade durch den Vermögensnachteil beim Opfer entstehen muss, also die „Kehrseite“ des entstandenen Schadens darstellt. Daran fehlt es, wenn der erstrebte Zufluss aus dem Vermögen Dritter stammen soll, etwa wenn der Täter einen Cafébetreiber zwingt, einen Handel mit Betäubungsmitteln in seinen Räumen zu dulden. Die Rechtswidrigkeit der erstrebten Bereicherung liegt vor, wenn kein fälliger und durchsetzbarer Anspruch bzgl. des erstrebten Vermögensvorteils besteht. An dieser Stelle der Prüfung ist es wichtig, die entscheidenden Normen aus dem BGB zu kennen und anzuwenden, falls ein Anspruch in Frage kommt. Fehlt es an der Rechtswidrigkeit des erstrebten Vermögensvorteils, liegt keine Erpressung, sondern lediglich eine Nötigung vor. Wird irrig ein solcher Anspruch angenommen, ist ein vorsatzausschließender Tatumstandsirrtum gem. § 16 StGB gegeben.[25]
C. Rechtswidrigkeit (Verwerflichkeit, § 253 II)
[Bearbeiten]I. Allgemeine Rechtfertigungsgründe
[Bearbeiten]An dieser Stelle des Prüfungsaufbaus müssen zunächst die allgemeinen Rechtfertigungsgründe geprüft werden.
II. Verwerflichkeitskriterium, § 253 Abs. 2 StGB
[Bearbeiten]Daneben normiert § 253 Abs. 2 StGB, dass die Tat nur rechtswidrig ist, wenn sie als verwerflich anzusehen ist. Diese Verwerflichkeitsklausel entspricht der der Nötigung in § 240 Abs. 2 StGB. Als verwerflich ist eine Tat demnach anzusehen, wenn sie auf Grund des Nötigungsmittels, des angestrebten Zwecks oder auf Grund der Zweck-Mittel-Relation in hohem Maße sozialethisch missbilligenswert ist.[26] Da der Tatbestand bereits voraussetzt, dass eine rechtswidrige Bereicherung als Zweck verfolgt wird, ist der Begründungsaufwand im Vergleich zu § 240 StGB in der Regel deutlich geringer. Problematisch können aber Konstellationen sein, in denen ein rechtmäßiges Tun oder Unterlassen als Übel in Aussicht gestellt wird. Wie unter → B. I. 1. b. schon erwähnt, ist bei einer Drohung mit einem rechtmäßigen Unterlassen bei der Verwerflichkeit besonders darauf zu achten, ob die Drohung dem Opfer lediglich eine Handlungsalternative aufzeigt, die seinen Status Quo verbessert. Dann ist die Erpressung als nicht verwerflich anzusehen. In dem oben benannten Beispiel des Richters nahm die Rechtsprechung eine Verwerflichkeit an. Dem Opfer habe in diesem Fall nicht lediglich die Wahl zwischen dem Status Quo oder dem Ergreifen einer zusätzlichen Handlungsalternative zur Verfügung gestanden. Vielmehr habe ihm durch das „Fortführen des Ermittlungsverfahrens ein sich kontinuierlich vergrößernder schwerer wirtschaftlicher Schaden“ bevorgestanden, worin ein empfindliches Übel im Sinne des Erpressungstatbestandes liege. Der Angeklagte sei sich dieser „zuspitzenden wirtschaftlichen Bedrohung“ bewusst gewesen und er habe sie zur Grundlage seines Tatplans gemacht.[27] Für die Klausur empfiehlt es sich in einer solchen Konstellation ganz genau auf die Details des Sachverhalts zu achten!
D. Besonders schwerer Fälle, § 253 IV
[Bearbeiten]Wie für den Diebstahl nach § 243 StGB sind für die Erpressung besonders schwere Fälle in § 253 Abs. 4 StGB vorgesehen. Diese Regelbeispiele spielen nur im Rahmen der Strafzumessung eine Rolle und sind daher nach der Schuld zu thematisieren. Als besonders schwere Fälle iSd Abs. 4 gelten die Gewerbsmäßigkeit oder die Begehung als Mitglied einer Bande. Für die Definitionen ist im Einzelnen auf § 243 StGB zu verweisen.
E. Konkurrenzen
[Bearbeiten]§ 253 StGB wird durch den Qualifikationstatbestand der räuberischen Erpressung gem. §§ 253, 255 StGB im Wege der Spezialität verdrängt. Im Verhältnis zur Nötigung gem. § 240 StGB geht § 253 StGB als spezieller vor. Allerdings ist zu beachten, dass in einzelnen Fällen Tateinheit gem. § 52 StGB gegeben sein kann, wenn mit dem Nötigungsmittel über die Bereicherung hinaus ein weiterer Nötigungserfolg angestrebt wird. Ebenso wird der § 241 StGB (Bedrohung) im Wege der Spezialität verdrängt. Bei mehreren Drohungshandlungen, die auf denselben Erfolg gerichtet sind, liegt nur eine Erpressungstat gem. § 253 StGB vor. In Ausnahmefällen kann zwischen dem Betrug gem. § 263 StGB und der Erpressung nach § 253 StGB Tateinheit vorliegen. Entscheidend ist hierbei, in welchem Verhältnis die Täuschung zur Drohung steht. Dient die Täuschung lediglich der Stärkung der Drohung, zB indem die Ausführbarkeit vorgespiegelt wird, so liegt nach einer Ansicht bereits tatbestandsmäßig kein Betrug vor (sog. Tatbestandslösung). Nach einer anderen Ansicht wird der Betrug von § 253 StGB konsumiert (sog. Konkurrenzlösung). Wirkt die Täuschung demgegenüber unabhängig von der Drohung auf das Opfer ein und veranlasst dieses zu einer Vermögensverfügung, soll Tateinheit vorliegen.[28]
Beispiel: Das Opfer wird durch Drohung mit einer Strafanzeige einerseits und durch Täuschung über den Willen zur Rückzahlung andererseits zur Überlassung von Geld als Darlehen veranlasst.
F. Prüfungsaufbau
[Bearbeiten]A. Tatbestand
I. Objektiver Tatbestand
1. Nötigungsmittel
a. Gewalt
b. Drohung mit einem empfindlichen Übel
P! Drohung mit einem Unterlassen?
2. Nötigungserfolg
P! Vermögensverfügung?
P! Wenn Vermögensverfügung: Unmittelbarkeitskriterium?
P! Dreieckserpressung
3. Taterfolg: Vermögensnachteil
II. Subjektiver Tatbestand
1. Vorsatz (alle Vorsatzarten)
2. Absicht stoffgleicher, rechtswidriger Bereicherung
B. Rechtswidrigkeit
I. Allgemeine Rechtfertigungsgründe
II. Verwerflichkeit § 253 Abs. 2
C. Schuld
D. Besonders schwerer Fall § 253 Abs. 4
Weiterführende Studienliteratur
[Bearbeiten]- Brand, Die Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung am Beispiel der Forderungserpressung, JuS 2009, 899.
- Mitsch, Erpressung mit vergifteten Lebensmitteln, NZWiSt 2022, 181.
Fußnoten
[Bearbeiten]- ↑ Heger, in: Lackner/Kühl/Heger, 30. Aufl. (2023), § 253 Rn. 1.
- ↑ Ceffinato, NZWiSt 2016, 464 (466 ff.); Salomon, MMR 2016, 575.
- ↑ Zur Fallbearbeitung s. Hüttemann, JuS 2021, 427.
- ↑ Kindhäuser, in: NK-StGB, 5. Aufl. (2017), § 253 Rn. 4; a.A. Jäger, Examens-Repetitorium Strafrecht BT, 9. Aufl. (2021), § 11 Rn. 538, der die psychische Zwangswirkung genügen lässt.
- ↑ Hohmann/Sander, Strafrecht BT, 4. Aufl. (2021), § 46 Rn. 20. Für Anwendungsfälle von Gewalt gegen Sachen, die sich mittelbar physisch auswirken: Sinn, in: SK-StGB, Bd. 5, 9. Aufl. (2019), § 253 Rn. 8.
- ↑ Jäger, Examens-Repetitorium Strafrecht BT, 9. Aufl. (2021), § 11 Rn. 538.
- ↑ BGHSt 16, 386; 26; 309 – die Gegenansicht fragt dagegen, ob die Inaussichtsstellung des Übels nach Vorstellung des Täters ernst genommen werden soll (vgl. ausführlich Küper/Zopfs, Strafrecht BT, 11. Aufl. (2022), Rn. 166 ff.). Der Streit ist jedoch praktisch ohne Relevanz. Denn § 253 StGB fordert ein weitergehendes Opferverhalten, das durch die Drohung ausgelöst wird, was nur möglich ist, wenn das Opfer die Drohung ernst nimmt.
- ↑ Wittig, in: BeckOK-StGB, 54. Ed. (Stand: 01.08.2022), § 253 Rn. 4; Kindhäuser, in: NK-StGB, 5. Aufl. (2017), § 253 Rn. 11.
- ↑ OLG Oldenburg NStZ 2008, 691.
- ↑ BGHSt 31, 195 (201); 32, 165 (174); BGH NStZ 1992, 278.
- ↑ Hohmann/Sander, Strafrecht BT, 4. Aufl. (2021), § 46 Rn. 26 m.w.N.
- ↑ Kudlich, JA 2008, 901 (903).
- ↑ BGH NJW 2019, 3659.
- ↑ Siehe hierzu ausführlich zur Dogmatik: Mitsch, NZWiSt 2022, 181.
- ↑ Kindhäuser, in NK-StGB, 5. Aufl. (2017), § 253 Rn. 17; Wessels/Hillenkamp/Schuhr, Strafrecht BT 2, 43. Aufl. (2020), § 18 Rn. 711 m.w.N.
- ↑ Sander, in MüKo-StGB, Bd. 4, 4. Aufl. (2021), § 253 Rn. 13; Heger, in: Lackner/Kühl/Heger, 30. Aufl. (2023), § 253 Rn. 3; Bosch, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2018), § 253 Rn. 8.
- ↑ Brand, JuS 2009, 899.
- ↑ Wessels/Hillenkamp/Schuhr, Strafrecht BT 2, 43. Aufl. (2020), § 18 Rn. 714.
- ↑ Wessels/Hillenkamp/Schuhr, Strafrecht BT 2, 43. Aufl. (2020), § 18 Rn. 714.
- ↑ Streitdarstellung bei Kindhäuser, in: NK-StGB, 5. Aufl. (2017), § 253 Rn. 18.
- ↑ Bejahend BGH NStZ-RR 2004, 333 und NStZ 2011, 212, sofern das Konto gedeckt ist.
- ↑ Kindhäuser, in: NK-StGB, 5. Aufl. (2017), § 253 Rn. 26; Wessels/Hillenkamp/Schuhr, Strafrecht BT 2, 43. Aufl. (2020), § 18 Rn. 715.
- ↑ BGH NJW 1995, 2799 (2800).
- ↑ Sander, in: MüKo-StGB, Bd 4, 4. Aufl. (2021), § 253 Rn. 24 m.w.N.
- ↑ Wessels/Hillenkamp/Schuhr, Strafrecht BT 2, 43. Aufl., (2020), § 18 Rn. 719.
- ↑ Sander/Hohmann, Strafrecht BT, 4. Aufl. (2021), § 46 Rn. 40.
- ↑ OLG Oldenburg NStZ 2008, 691 (692).
- ↑ Sander, in: MüKo-StGB, Bd. 4, 4. Aufl. (2021), § 253 Rn. 43.