Körperverletzung mit Todesfolge
Autor:innen: Jana Berberich
Notwendiges Vorwissen: OpenRewi/ Lehrbuch Strafrecht Besonderer Teil/ Nichtvermögensdelikte/ Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit/ Einfache Körperverletzung
Die Körperverletzung mit Todesfolge ist sowohl in der Praxis als auch in der juristischen Ausbildung von großer Bedeutung. Da eine Strafbarkeit nach § 227 StGB in der Praxis häufig als "Auffangtatbestand" in den Fällen dient, in denen kein Tötungsvorsatz nachgewiesen werden kann und dies zur einer umfangreichen Kasuistik geführt hat, bieten sich aktuelle Fälle und höchstrichterliche Urteile als Grundlage für eine strafrechtliche Klausur an. Hier können Studierende dann zum einen Systemverständnis beim richtigen Aufbau des erfolgsqualifizierten Delikts zeigen. Zum anderen lassen sich auch examensrelevante Schwierigkeiten einbauen, wenn der sogenannte erfolgsqualifizierte Versuch abgeprüft wird.
A. Rechtsgut und Deliktsstruktur
[Bearbeiten]§ 227 StGB regelt die Körperverletzung mit Todesfolge. Der Tatbestand umfasst eine vorsätzliche Körperverletzung, die eine schwere Folge (den Tod der verletzten Person) herbeigeführt hat. Es handelt sich somit um eine sog. Erfolgsqualifikation. Für erfolgsqualifizierte Delikte ist in § 18 StGB geregelt, dass die im Vergleich zum Grunddelikt erhöhte Strafe dem Täter nur zur Last fallen darf, wenn er wenigstens fahrlässig hinsichtlich der schweren Folge gehandelt hat.[1] "Wenigstens fahrlässig" iSv § 18 StGB bedeutet zwar, dass auch vorsätzliches Handeln hinsichtlich der schweren Folge von der Strafbarkeit erfasst wird. Im Gegensatz zu der schweren Körperverletzung nach § 226 StGB spielt bei der Körperverletzung mit Todesfolge jedoch diese Vorsatz-Variante keine Rolle, da bei einem vorsätzlichen Handeln bezüglich der schweren Folge, also hinsichtlich dem Todeseintritt, automatisch ein vorsätzliches Tötungsdelikt vorläge und dieses dann vorrangig zu prüfen wäre.
Bei § 227 StGB handelt es sich also um eine Kombination aus einem Vorsatzdelikt (im Regelfall ist das der Grundtatbestand des § 223 StGB[2]) und einem Fahrlässigkeitsdelikt (das fahrlässige Herbeiführen des Todes). Dies führt zu einem besonderen Deliktsaufbau.
Neben der körperlichen Unversehrtheit und der physischen Gesundheit von Menschen wird auch das Rechtsgut Leben von § 227 StGB geschützt.
Die besondere Kombination aus einem Vorsatzdelikt und einem Fahrlässigkeitsdelikt und der dafür festgesetzte hohe Strafrahmen des § 227 StGB wird in der Literatur durchaus kritisch betrachtet. Rechtstatsächlich sei der § 227 StGB lediglich ein "Auffangtatbestand" für die Fälle, bei denen die Rechtsprechung keinen Tötungsvorsatz nachweisen und deshalb nicht wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts verurteilen könne.[3] Für euch ist wichtig: Der hohe Strafrahmen des § 227 StGB gebietet grundsätzlich eine restriktive Auslegung des § 227 StGB in der Fallbearbeitung. Dies wird im Regelfall aber durch die erhöhten Anforderungen an den Zusammenhang zwischen dem Grundtatbestand und der schweren Folgen (sog. tatbestandsspezifischer Gefahrenzusammenhang) gewährleistet. Siehe hierfür: Verweis auf gefahrspezifischen Zusammenhang.
B. Tatbestand
[Bearbeiten]I. Grunddelikt (vorsätzliche Körperverletzung)
[Bearbeiten]§ 227 StGB knüpft in seinem Absatz 1 an die Tatbestände §§ 223 bis 226a StGB an. Als mögliches Grunddelikt eignet sich also eines der aufgelisteten vorsätzlichen Delikte. Das Grunddelikt kann auch durch ein Unterlassen begangen werden,[4] wobei die Anforderungen an das konkrete Unterlassungsdelikt erhöht sind.[5]
Im Regelfall wird das in einer Klausur die einfache Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB bzw. die gefährliche Körperverletzung nach § 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 StGB sein.[6] An dieser Stelle sollte die einfache Körperverletzung bzw. ggf. die gefährliche Körperverletzung in ihren Voraussetzungen im objektiven und subjektiven Tatbestand genau geprüft werden. Das heißt, es muss ein anderer Mensch körperlich misshandelt oder in seiner Gesundheit geschädigt worden sein. Der Erfolg muss kausal und objektiv zurechenbar sein und der Täter muss vorsätzlich gehandelt haben (der Aufbau zu § 223 kann hier gefunden werden: OpenRewi/ Lehrbuch Strafrecht Besonderer Teil/ Nichtvermögensdelikte/ Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit/ Einfache Körperverletzung). Wird die gefährliche Körperverletzung als Grunddelikt zugrunde gelegt, müssen selbstverständlich die weiteren Qualifikationsmerkmale des § 224 Abs. 1 StGB ebenfalls geprüft werden.
Sollte es bereits zu Problemen bei der Prüfung der vorsätzlichen einfachen bzw. gefährlichen Körperverletzung kommen, so ist jedenfalls für Klausuren in den ersten Semestern zu empfehlen, eine Strafbarkeit nach § 223 Abs. 1 StGB separat zu prüfen und erst bei Bejahung derselben mit der Körperverletzung mit Todesfolge fortzufahren. Bei der Prüfung einer Strafbarkeit nach § 227 Abs. 1 StGB kann die Prüfung des Grunddelikts entsprechend kurz gehalten und nach oben verwiesen werden.
Wichtig ist, bereits an dieser Stelle zu erwähnen, dass grundsätzlich auch eine versuchte Körperverletzung ein taugliches Grunddelikt darstellt. Dies wird relevant bei dem sogenannten erfolgsqualifizierten Versuch (ausführlich hierzu vgl. die Ausführungen unter E.).
II. Eintritt der schweren Folge (Tod)
[Bearbeiten]Es muss der Tod der verletzten Person eintreten. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Zeitpunkt des Todes und der Verletzung zusammentreffen oder ob der Tod später eintrifft.[7]
Hier werden in der Klausur regelmäßig keine Probleme auftauchen. Es muss aber klar sein: Wenn keine Person verstorben ist, so kann auch keine Strafbarkeit nach § 227 StGB vorliegen. Der Tod kann auch, wie bereits im Grunddelikt (I.) angesprochen, durch ein Unterlassen hervorgerufen werden.
III. Kausalität & objektive Zurechnung
[Bearbeiten]Zwischen dem Grunddelikt, der Körperverletzung, und der schweren Folge, dem Tod, muss ein Kausalzusammenhang bestehen. Es gelten die allgemeinen Grundsätze und Fallgruppen der Äquivalenztheorie und der objektiven Zurechnung.[8]
IV. Tatbestandsspezifischer Gefahrenzusammenhang
[Bearbeiten]Der "normale" Kausalzusammenhang, wie in III. beschrieben, reicht jedoch für eine Strafbarkeit nach § 227 StGB noch nicht aus. Vielmehr bedarf es einer engeren Beziehung zwischen dem Grunddelikt und der schweren Folge.
Diese erhöhte Anforderung an den Kausalzusammenhang zwischen dem Grunddelikt und der schweren Folge liegt darin begründet, dass es sich bei § 227 StGB um ein Verbrechen mit einer, insbesondere im Vergleich zu § 223 StGB, hohen Strafandrohung handelt.[9] Damit wird ein besonders hoher Unrechtsgehalt ausgedrückt, der nur unter engeren Voraussetzungen als der allgemeine Kausalzusammenhang angenommen werden kann.[10]
Es werden nach ständiger Rechtsprechung nur solche Körperverletzungstaten erfasst, denen die spezifische Gefahr anhaftet, zum Tod des Opfers zu führen.[11] Diese dem Grunddelikt anhaftende, eigentümliche Gefahr muss sich im tödlichen Ausgang konkret verwirklicht haben.[12]
Umstritten ist, wie dieser tatbestandsspezifischer Gefahrenzusammenhang[13] genau ausgestaltet sein muss. Insbesondere wird diskutiert, welcher Anknüpfungspunkt im Grunddelikt dafür in Betracht kommt.
Hier wird regelmäßig der Schwerpunkt der Deliktsprüfung zu setzen sein, da es immer wieder zu Problemen und Einzelfällen kommt, bei denen entschieden werden muss, ob dem Grunddelikt eine solche spezifische Gefahr anhaftet. Vor allem wird es deshalb Prüfungsschwerpunkt sein, da an dieser Stelle in der Regel auf einen bekannten Streit eingegangen werden muss: Welcher Anknüpfungspunkt im Rahmen des Grunddelikts ist entscheidend hinsichtlich der Frage, ob eine spezifische Gefahr vorlag?
Die Rechtsprechung knüpft hierfür, neben dem Körperverletzungserfolg, an die Handlung des Grunddelikts an: Liegt bereits in der Handlung des Grunddelikts eine spezifische Gefahr, die den Tod herbeiführen könnte, so reicht dies aus, um den tatbestandsspezifischer Gefahrenzusammenhang zu bejahen. Es wird also auf die Gefährlichkeit des gesamten Vorgangs inklusive der Ausführungshandlung abgestellt.[14] Es ist also nicht notwendig, dass ein spezifischer Zusammenhang zwischen dem Körperverletzungserfolg und dem Todeseintritt besteht.[15] Vielmehr reicht für die Zurechnung ein genereller Verletzungsvorsatz sowie dass der Zusammenhang zwischen Vorsatz, Verletzung und schwerer Folge nicht außer jeder Lebenserfahrung liegt.[16]
Beispiel: Der Täter T schlägt mit einer geladenen Pistole auf den Kopf des Opfers. Dabei löst sich versehentlich ein Schuss, an dem das Opfer stirbt. Der Täter wollte das Opfer lediglich mit einem Schlag auf den Kopf zur Ruhe bringen. Sein Vorsatz bezog sich also auf den Körperverletzungserfolg "Beule durch Schlag mit hartem Gegenstand", dem nicht die spezifische Gefahr anhaftet, zum Tode zu führen. Vielmehr ist auf die Handlung, mit einer geladenen Pistole einer anderen Person auf den Kopf zu schlagen, abzustellen, der eine solche spezifische Gefahr innewohnt.
Als Argument für die Anknüfung an die Handlungsgefährlichkeit des Grunddelikts wird der Wortlaut der Vorschrift, die in Abs. 1 auf die "Körperverletzung" als Grunddelikt verweist, angeführt. Damit sei sowohl der Körperverletzungserfolg als auch die Körperverletzungshandlung umfasst.[17] Außerdem habe sich der Gesetzgeber bewusst entschieden, im Tatbestand des § 227 Abs. 1 StGB im Klammerzusatz auf die §§ 223–226a StGB zu verweisen. Es wird damit auch auf die Versuchsregelungen wie z.B. in § 223 Abs. 2 StGB verwiesen.[18] Wenn nun aber auch eine Versuchsstrafbarkeit als Grunddelikt ausreicht, dann kann denklogisch nur an die spezifische Gefährlichkeit der Handlung angeknüpft werden, da ein Körperverletzungserfolg ja in diesen Fällen gerade ausbleibt.
Genau an diesen Körperverletzungserfolg knüpfen viele Vertreter:innen in der Literatur an: Der tatbestandsspezifischer Gefahrenzusammenhang könne nur dann bejaht werden, wenn sich die spezifische Gefahr im Erfolg des Grunddelikts verwirklicht.[19] Also nur, wenn der Erfolg der Körperverletzung derart gefährlich ist, dass er den Tod der verletzten Person herbeiführen kann, ist ein tatbestandsspezifischer Gefahrenzusammenhang zu bejahen.
Beispiel: Der Täter T sticht mit einem scharfen Messer mehrmals in den Bauch- und die Brustgegend des Opfers. Da auch schwere Schäden an den Organen eintreten, verstirbt das Opfer kurze Zeit später an den Folgen seiner Verletzungen.
Als Argument für diese Ansicht wird ebenfalls der Wortlaut der Norm herangezogen: So wird in § 227 Abs. 1 StGB der "Tod der verletzten Person" gefordert. Dies spreche nun dafür, dass eine Verletzung eingetreten sein muss, damit eine Strafbarkeit nach § 227 Abs. 1 StGB angenommen werden kann.[20] Zudem sei die Gefährlichkeit einer Körperverletzungshandlung bereits in § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB unter Strafe gestellt, sodass keine Strafbarkeitslücke und keine Notwendigkeit für eine weitere Strafbarkeit bestehe. Schließlich wird auf die hohe Strafandrohung des § 227 Abs. 1 StGB verwiesen, die aufgrund des Prinzips des schuldangemessenen Strafens (abgeleitet aus Art. 20 Abs. 3 GG) eine restriktive Auslegung gebietet.[21]
Sollte es auf diesen Streit ankommen, so ist unserer Ansicht nach nicht ganz so wichtig, wie sich in der Klausur entschieden wird, da der Streit selbst meist bereits den Schwerpunkt bildet. Wichtig ist, dass das Problem erkannt wird und die beiden Meinungen sauber voneinander getrennt dargestellt und insbesondere subsumiert werden. Dafür muss sich vor Augen geführt werden, worin genau der konkrete Erfolg des Grunddelikts liegt und ob diesem eine spezifische Gefahr, die zum Tode führen kann, anhaftet. Ist dies der Fall, ist ein Streitentscheid nicht notwendig.
V. wenigstens Fahrlässigkeit
[Bearbeiten]Die schwere Folge, der Tod, muss gemäß § 18 StGB "wenigstens fahrlässig" verursacht worden sein. Anhand der Gesetzesformulierung "wenigstens" ist erkennbar, dass bei erfolgsqualifizierten Delikten grundsätzlich auch vorsätzliches Handeln hinsichtlich der schweren Folge erfasst ist. Diese Konstellation kommt bei der Körperverletzung mit Todesfolge jedoch deshalb nicht in Betracht, da bei einem vorsätzlichem Handeln hinsichtlich der schweren Folge vorrangig immer ein Tötungsdelikt (§ 212 oder § 211 StGB) zu prüfen ist.
Fahrlässigkeit setzt wie gewohnt eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung bei objektiver Vorhersehbarkeit voraus. Die objektive Sorgfaltspflichtverletzung liegt in aller Regel bereits in der Begehung des Grunddelikts.[22]
Für die Frage der objektiven Vorhersehbarkeit kommt es anschließend darauf an, ob die schwere Folge, also der Tod, vorhersehbar war. Dabei muss der Tod aus Sicht eines objektiven, verständigen Dritten nur im Ergebnis als Folge der Körperverletzung vorhersehbar gewesen sein; auf die Einzelheiten des Kausalverlaufs kommt es insofern nicht an.[23] Die konkrete Vorhersehbarkeit wird von der Rechtsprechung nur dann verneint, wenn der Todeserfolg so weit außerhalb der Lebenserfahrung lag, dass eine Zurechnung ausscheiden muss.[24]
C. Rechtswidrigkeit
[Bearbeiten]Die Rechtswidrigkeit der Körperverletzung mit Todesfolge liegt dann vor, wenn das Grunddelikt rechtswidrig ist. Es kommen alle Rechtfertigungsgründe in Betracht, es können jedoch nur Grunddelikt und Körperverletzung mit Todesfolge gerechtfertigt sein, da sich die Rechtswidrigkeit nach dem Grunddelikt richtet.[25] Insbesondere ist an dieser Stelle an die rechtfertigende Einwilligung zu denken. Diese wird jedoch häufig nach § 228 StGB gegen die guten Sitten verstoßen, da die Rechtsprechung bei Lebensgefahr regelmäßig annimmt, dass wegen der Wertung des § 216 StGB nicht rechtmäßig in eine solche Körperverletzung eingewilligt werden kann.
D. Schuld
[Bearbeiten]Spiegelbildlich zur objektiven Fahrlässigkeit hinsichtlich des Erfolgs muss auch subjektiv fahrlässig gehandelt worden sein: Es muss eine subjektive Sorgfaltspflichtverletzung bei subjektiver Vorhersehbarkeit vorliegen.
E. Täterschaft und Teilnahme
[Bearbeiten]Hinsichtlich der Beteiligung an der Körperverletzung mit Todesfolge ist § 18 StGB maßgebend. § 18 StGB regelt, dass bei Erfolgsqualifikationsdelikten gegen die Beteiligten nur dann die schwere Strafe der Erfolgsqualifikation verhängt werden kann, wenn der Person selbst hinsichtlich der Folge Fahrlässigkeit zur Last fällt. Das bedeutet, dass für jeden Täter und Teilnehmer selbst geprüft werden muss, ob fahrlässig hinsichtlich der schweren Folge gehandelt wurde.
So ist eine Teilnahme an § 227 Abs. 1 StGB auch in dem Fall möglich, wenn der Haupttäter das Opfer vorsätzlich tötet, der Teilnehmer jedoch nur hinsichtlich der darin enthaltenen Körperverletzung vorsätzlich handelt. Es müssen für die Strafbarkeit des Teilnehmers dann aber die Voraussetzungen der fahrlässigen Begehung vorliegen; die Tötung durch den Haupttäter muss insbesondere für den Teilnehmer objektiv vorhersehbar gewesen sein.[26]
F. Versuch
[Bearbeiten]Prüfungsrelevant ist die Körperverletzung mit Todesfolge im Versuch: der sogenannte erfolgsqualifizierte Versuch. Um dieses Konstrukt sauber in der Klausur prüfen zu können, muss der oben genannte Streit zur Frage des Anknüpfungspunkts beim tatbestandsspezifischen Gefahrenzusammenhang verstanden und beherrscht werden.
Vom sogenannten erfolgsqualifizierten Versuch ist dann die Rede, wenn das Grunddelikt im Versuchsstadium "stecken bleibt", die schwere Folge des § 227 StGB dennoch eintritt.
Beispiel: Der Täter T schlägt mit geladener Pistole in Richtung des Kopfes vom O. Es kommt allerdings nicht zum Schlag, da sich bereits beim Ausholen ein Schuss löst und der O stirbt.
Das Grunddelikt wurde also nicht beendet (es liegen aber alle Voraussetzungen für eine Versuchsstrafbarkeit vor), die schwere Folge des § 227 StGB, der Tod, ist dennoch eingetreten. Wenn man sich nun der Ansicht anschließt, dass für die Bejahung des tatbestandsspezifischen Gefahrenzusammenhangs an den Erfolg des Grunddelikts angeknüpft werden sollte, so ist die Figur des erfolgsqualifizierten Versuchs nicht denkbar. Da es bei einem versuchten Delikt immer am eingetretenen Erfolg fehlt, der eingetretene Erfolg aber nach der Ansicht gerade maßgeblich sein soll für die Beurteilung des tatbestandsspezifischen Gefahrenzusammenhangs, so kann es keinen erfolgsqualifizierten Versuch geben. In dem oben genannten Beispielsfall kommt es dennoch nicht zu einer Strafbarkeitslücke: T wäre wegen versuchter Körperverletzung sowie fahrlässiger Tötung strafbar.
Die andere Ansicht, die für die Beurteilung des tatbestandsspezifischen Gefahrzusammenhangs die Gefährlichkeit der Tathandlung heranzieht, kommt im Beispielsfall zu einem anderen Ergebnis: Die Tathandlung, das Ausholen mit einer geladenen Pistole, beinhaltet bereits eine spezifische Gefahr, die den Tod herbeiführen könnte. Die Voraussetzungen für eine Strafbarkeit der versuchten Körperverletzung mit Todesfolge liegen vor.
Der Prüfungsaufbau des erfolgsqualifizierten Versuchs in der Klausur ist herausfordernd und, da nach einer Ansicht bereits die Figur des erfolgsqualifizierten Versuchs als solches verneint wird, systematisch nicht zufriedenstellend möglich. Sinnvoll erscheint es zunächst, das Grunddelikt isoliert zu prüfen und zum Ergebnis zu kommen, dass es an der Vollendung fehlt. Sodann kann mit dem Versuch des Grunddelikts fortgefahren werden, um im Anschluss den erfolgsqualifizierten Versuch zu prüfen, oder aber der Versuch des Grunddelikts wird im Rahmen des erfoglsqualifizierten Versuchs beim Prüfungspunkt "Grunddelikt" behandelt.
Sollte ein erfolgsqualifizierter Versuch vorliegen (häufig ist bereits die größte Herausforderung der Klausur, dies zu erkennen!), muss der Streit um den Anknüfungspunkt des tatbestandsspezifischen Gefahrenzusammenhangs zwingend angesprochen werden. Dies kann nach hiesiger Meinung entweder vor der Prüfung des eigentlichen Delikts unter dem Punkt "Strafbarkeit des Versuchs" geschehen oder aber beim Prüfungspunkt des tatbestandsspezifischen Gefahrenzusammenhangs selbst. Wird sich der Ansicht aus der Literatur angeschlossen, so wird die erste Variante des Prüfungsaufbaus empfohlen, um die Strafbarkeit des erfolgsqualifizierten Versuchs schon vor Beginn der Prüfung zu verneinen. Die Prüfung endet dann an dieser Stelle.
Folgt man der Ansicht des Rechtsprechung, können beide Aufbauformen gewählt werden. Bei dem Prüfungspunkt "Grunddelikt" wird die versuchte Körperverletzung genannt und ggf. in ihren Voraussetzungen geprüft.
G. Konkurrenzen
[Bearbeiten]Am wichtigsten für Studierende ist im Rahmen der Konkurrenzen zu wissen, dass die Körperverletzung mit Todesfolge in der Regel von vorsätzlichen Tötungsdelikten verdrängt wird.[27] Dies hat für den Prüfungsaufbau zur Folge, dass, sobald ein vorsätzliches Handeln denkbar ist und diskutiert werden muss, mit dem vorsätzlichen Tötungsdelikt begonnen werden sollte. Tateinheitlich nebeneinander können die vorsätzliche vollendete Tötung und die Körperverletzung mit Todesfolge nur dann stehen, wenn die Tötung durch Unterlassen begangen wurde.[28] Tateinheit besteht außerdem zwischen vollendetem § 227 StGB und einem anschließenden Tötungsversuch.[29]
§ 227 StGB verdrängt im Wege der Gesetzeskonkurrenz § 222 StGB und § 223 StGB. Das Verhältnis zwischen § 227 StGB und § 224 StGB und § 226 StGB wird uneinheitlich beurteilt, sodass an dieser Stelle mit guter Begründung fast alles vertretbar ist.[30] Bleibt § 227 StGB im Versuchsstadium "stecken", so bleibt eine Begehung nach § 224 StGB in Vollendung daneben stehen.[31]
Zu § 231 StGB kann Tateinheit bestehen, ebenso zum versuchten Raub mit Todesfolge (§ 251 StGB). Bei vollendetem § 251 StGB tritt § 227 im Wege der Gesetzeskonkurrenz als typische Begleittat zurück.[32]
H. Aufbauschema
[Bearbeiten]Aufbauschema für die vollendete Begehung:
[Bearbeiten]I. Tatbestand
- Grunddelikt
- Eintritt der schweren Folge
- Kausalität & objektive Zurechnung
- tatbestandsspezifischer Gefahrzusammenhang
- wenigstens Fahrlässigkeit
II. Rechtswidrigkeit
III. Schuld
Vorschlag für Aufbauschema für erfolgsqualifizierten Versuch
[Bearbeiten]I. Strafbarkeit des Versuchs
- Hier: Streit um Anknüpfungspunkt im Rahmen des tatbestandsspezifischen Gefahrzusammenhangs
- Wenn sich dafür entschieden wird, für die spezifische Gefahr an den Erfolg des Grunddelikts anzuknüpfen, endet die Prüfung hier, da erfolgsqualifizierter Versuch dann nicht möglich
II. Tatbestand
- Grunddelikt (in diesem Fall: versuchte Körperverletzung, §§ 223, 22, 23 Abs. 1 StGB)
- Eintritt der schweren Folge
- Kausalität & objektive Zurechnung
- tatbestandsspezifischer Gefahrzusammenhang
- wenigstens Fahrlässigkeit
III. Rechtswidrigkeit & Schuld
I. Prozessuales / Wissen für die Zweite Juristische Prüfung
[Bearbeiten]Ebenso wichtig wie selbsterklärend! Denkbare Themen hier: Verjährung, Strafklageverbrauch, Strafantrag, Einziehung, besondere sachliche Zuständigkeiten, Verletztenrechte usw.
Fußnoten
[Bearbeiten]- ↑ Hardtung, in: MüKo-StGB, Bd. IV, 4. Aufl. (2021), § 227 Rn. 1.
- ↑ Taugliche Grunddelikte sind neben § 223 StGB auch §§ 224-226a StGB, wie der Wortlaut des § 227 Abs. 1 StGB deutlich macht. Für die Fallbearbeitung empfehlen wir allerdings, auf eine "große Prüfung", die alle relevanten Tatbestände enthält, zu verzichten. Sollte also eine Strafbarkeit nach §§ 224-226a StGB in Betracht kommen, sollte diese Delikte getrennt von der Strafbarkeit nach §§ 223, 227 Abs. 1 StGB geprüft werden. In den meisten Fällen sorgt dies für mehr Übersicht und Struktur. Erst für Fortgeschrittene und Examenskandidat:innen und wenn eine Strafbarkeit nach §§ 223, 224 Abs. 1 StGB eindeutig zu bejahen ist, kann es sinnvoll sein, die Strafbarkeit nach §§ 223, 224 Abs. 1 StGB als Grundtatbestand zu prüfen.
- ↑ Vertiefend zur Kritik vgl. Paeffgen/Böse, in: NK-StGB, 5. Aufl. (2017), § 227 Rn. 2.
- ↑ BGH NStZ 2006, 686; BGH NJW 2017, 418 (419 f.); Hardtung, in MüKo-StGB, Bd. IV, 4. Aufl. (2021), § 227 Rn. 2.
- ↑ So muss laut BGH die durch das Unterlassen begangene Körperverletzung die Gefahr des Todes begründet haben, BGH NJW 1995, 3194. Insbesondere schwierig wird dies in der Konstellation, wenn das Unterlassen eine eigene Körperverletzung nicht bewirkt, sondern der Täter als Garant einen Dritten an der Begehung einer Körperverletzung nicht hindert. Hier muss zwischen der eigenen Körperverletzungs handlung und der Beihilfe durch Unterlassen unterschieden werden, vgl. Hardtung, in MüKo-StGB, Bd. IV, 4. Aufl. (2021), § 227 Rn. 24.
- ↑ Hinweise für einen sinnvollen Aufbau in der Klausur finden sich in Fn. 2
- ↑ Eschelbach, in: BeckOK-StGB, 51. Ed. (Stand: 1.11.2021), § 227 Rn. 2.
- ↑ Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 227 Rn. 2.
- ↑ Wessels/Hettinger/Englänger, Strafrecht BT 1, 45. Aufl (2022), Rn. 261.
- ↑ Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 227 Rn. 3.
- ↑ BGH NStZ 2008, 278; BGH NStZ-RR 2009, 78.
- ↑ BGH NJW 95, 3194.
- ↑ Dieser hier tatbestandsspezifischer Gefahrenzusammmenhang genannte Zusammenhang hat in der Literatur verschiedene Bezeichnungen, wie beispielsweise "gefahrspezifischer Zusammenhang" oder "Umittelbarkeitszusammenhang". Davon sollte man sich nicht irritieren lassen, da dasselbe gemeint wird, nur bisher kein einheitlicher Begriff gefunden wurde.
- ↑ Wessels/Hettinger/Engländer, Strafrecht BT 1, 45. Aufl. (2022), Rn. 262.
- ↑ BGH NStZ 1995, 287; NStZ-RR 1998, 171; NStZ 2008, 278. Anders Teile der Literatur, mitunter Kühl, in: LK-StGB, 29. Aufl. (2018), § 227 Rn. 2; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 227 Rn. 5.
- ↑ BGH NJW 1982, 2831 (2832).
- ↑ BGH NJW 1982, 2831.
- ↑ Eschelbach, in: BeckOK-StGB, 51. Ed. (Stand: 1.11.2021), § 227 Rn. 5.
- ↑ Kühl, in: LK-StGB, 29. Aufl. (2018), § 227 Rn. 2; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), § 227 Rn. 5.
- ↑ Eschelbach, in: BeckOK-StGB, 51. Ed. (Stand: 1.11.2021), § 227 Rn. 6; Kühl, in: Lackner/Kühl 29. Aufl. (2018), § 227 Rn. 2.
- ↑ Engländer, NStZ 2018, 135 (140).
- ↑ OLG Köln NJW 1963, 2381; Eschelbach, in: BeckOK-StGB, 51. Ed. (Stand: 1.11.2021), § 227 Rn. 13.
- ↑ BGH NStZ 2008, 686; Eschelbach, in: BeckOK-StGB, 51. Ed. (Stand: 1.11.2021), § 227 Rn. 14.
- ↑ BGH NJW 1982, 2831; BGH NStZ 1997, 82; BGH JuS 2006, 758 (760).
- ↑ Hardtung, in: MüKo-StGB, Bd. IV, 4. Aufl. (2021), § 227 Rn. 22.
- ↑ Eschelbach, in: BeckOK-StGB, 51. Ed. (Stand: 1.11.2021), § 227 Rn. 19 f.
- ↑ BGH NJW 1967, 1918.
- ↑ BGH NStZ 2000, 29 (30).
- ↑ BGH NJW 1989, 596 (597).
- ↑ Vgl. zu den verschiedenen Ansichten: Hardtung, in: MüKo-StGB, Bd. IV, 4. Aufl. (2021), § 224 Rn. 59.
- ↑ BGHSt 21, 194 (195 f.).
- ↑ BGHSt 46, 25 (26); Hardtung, in: MüKo-StGB, Bd. IV, 4. Aufl. (2021), § 227 Rn. 28.