Gefährliche und schwere Körperverletzung

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Gefährliche Körperverletzung, § 224 StGB[Bearbeiten]

Autor: Daniel Zühlke

A. Deliktsstruktur[Bearbeiten]

§ 224 StGB normiert die „gefährliche Körperverletzung“. Die Norm listet aufgeteilt auf fünf Nummern besondere Merkmale auf, die eine einfache Körperverletzung zur gefährlichen Körperverletzung qualifizieren. Grund für den erhöhten Strafrahmen ist die Gefahr erheblicher Verletzungen oder die eingeschränkten Verteidigungschancen der verletzten Person. Je nach Qualifikationsmerkmal sind diese Gesichtspunkte unterschiedlich stark ausgeprägt. Nach überwiegender Ansicht stellt die Gefährliche Körperverletzung ein abstraktes Gefährdungsdelikt dar. In die Auslegung fließen jedoch auch konkrete Gefährlichkeitsaspekte mit ein (vgl. dazu insb. unter B.II. und B.V.).[1]

Im Gutachten sind stets alle in Betracht kommenden Varianten zu prüfen; diese müssen nicht kumulativ vorliegen.

B. Objektiver Tatbestand[Bearbeiten]

I. Nr. 1: Gift und gesundheitsschädliche Stoffe[Bearbeiten]

1. Gift, § 224 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 StGB[Bearbeiten]

Gifte sind organische oder anorganische Stoffe, die durch chemische oder chemisch-physikalische Wirkung die Gesundheit schädigen.

In Abgrenzung zu § 224 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 (andere gesundheitsschädliche Stoffe) kommt es beim Gift auf die chemische oder chemisch-physikalische Wirkung im Körper an.

Weiterführendes Wissen: Unbedingt bekannt sollte in diesem Zusammenhang der – wenn auch in den Details vorwiegend im allgemeinen Teil (Mittäterschaft bei Gremienentscheidungen) relevante – Lederspray-Fall[2] sein. Zur weiteren Vertiefung eignet sich zudem der Zahnpasta-Fall.[3]

2. andere gesundheitsschädliche Stoffe, § 224 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 StGB[Bearbeiten]

Andere gesundheitsschädliche Stoffe sind solche, die den Körper „anders“ – also nicht-chemisch – schädigen. Diese Wirkung kann thermisch (Verbrennungen, Erfrierungen) oder aber auch biologisch (Bakterien und Viren) sein. Dies schließt Krankheitserreger wie z.B. das SARS-CoV-2 oder auch das HI-Virus[4] ein.

3. Beibringung und Gesundheitsschädlichkeit[Bearbeiten]

„Beigebracht“ ist das Gift oder der Stoff, wenn er dergestalt mit dem Körper der verletzten Person in Kontakt kommt, dass es seine gesundheitsschädliche Wirkung entfalten kann.

Das Gift muss die verletzte Person nach überwiegender Ansicht in die konkrete Gefahr einer erheblichen Gesundheitsschädigung bringen.[5] Der Eintritt einer schweren Folge i.S.d. § 226 Abs. 1 StGB ist nicht erforderlich und (stets) von § 224 StGB zu trennen.

II. Nr. 2: Waffen und gefährliche Werkzeuge[Bearbeiten]

1. Waffe, § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 StGB[Bearbeiten]

Eine Waffe ist ein Gegenstand, der nach Art der Anfertigung dazu bestimmt ist, Menschen zu verletzen.

Typischerweise gilt dies für Schusswaffen, Hieb- und Stichwaffen und Gaspistolen. Die Waffeneigenschaft eines Gegenstandes verdrängt als Spezialfall den Oberbegriff des gefährlichen Werkzeugs, sodass die Verletzung mittels eines Kampfmessers nicht mehr unter das gefährliche Werkzeug zu subsumieren ist (vgl. den Wortlaut des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB: Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs). Nicht erforderlich für die Waffeneigenschaft ist eine Subsumtion unter das WaffG.

Weiterführendes Wissen

Die Waffe muss zudem in konkret gefährlicher Weise verwendet werden. Funktionstypisch muss die Verwendung nach einer in der Literatur vertretenen Meinung jedoch nicht sein: So stellt eine durch den Schlag mit einer Pistole verursachte Platzwunde eine Körperverletzung „mittels“ einer Waffe dar. Überzeugend ist dieses extensive Verständnis der Waffeneigenschaft jedoch letztlich nicht, da die Gefährlichkeit der Verletzung in diesen Fällen nicht aus der Waffeneigenschaft resultiert. Den Anknüpfungsschwerpunkt sollte nicht die äußere Beschaffenheit, sondern die konkrete Art der Verwendung bilden. Eine als Schlagwerkzeug eingesetzte Schusswaffe ist daher ein anderes gefährliches Werkzeug i.S.d. Alt. 2.

2. Gefährliches Werkzeug, § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB[Bearbeiten]

a) Definition[Bearbeiten]

Ein gefährliches Werkzeug ist ein Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und der Art der konkreten Verwendung dazu geeignet ist, erhebliche Verletzungen hervorzurufen.

Im Gegensatz zu Waffen, die zur gefährlichen Verletzung „geboren“ werden, handelt es sich bei gefährlichen Gegenständen um Alltagsgegenstände, die zur Gefährlichkeit „erkoren“ wurden.[6] In Zweifelsfällen ist der konkreten Verwendung ein höheres Gewicht als der objektiven Beschaffenheit beizumessen.

Ob der gefährliche Gegenstand beweglich sein muss, ist umstritten. Nach wohl herrschender Ansicht insb. der Rechtsprechung sind nur solche Gegenstände erfasst, die „durch menschliche Einwirkung irgendwie gegen einen menschlichen Körper in Bewegung gesetzt werden können“.[7] Mit den herkömmlichen sprachlichen Gebrauchsregeln für den Werkzeugbegriff lasse sich nicht vereinbaren, unbewegliche Objekte als Werkzeuge zu bezeichnen.

Die Gegenauffassung argumentiert hingegen zurecht, dass es nicht darauf ankommen könne, ob eine Person gegen einen Felsen geschlagen oder der Felsen gegen die Person geschlagen werde.[8] Sofern auch Vertreter:innen der ersten Ansicht anerkennen, dass es unerheblich sei, ob das Opfer gegen das (bewegliche) Werkzeug oder das (bewegliche) Werkzeug gegen das Opfer geführt werde,[9] bleibt fraglich, wieso der Beweglichkeit eine solch zentrale Rolle bei der Definition einnehmen soll, wenn es sodann in der weiteren Bewertung gar nicht mehr auf diese ankommt. Entscheidendes Kriterium muss für gefährliche Werkzeuge mithin sein, dass das Werkzeug bewusst eingesetzt wird, um eine erhebliche Körperverletzung herbeizuführen.

Weiterführendes Wissen

Letztlich kommt es in der Klausurpraxis kaum auf die Abgrenzung einer Waffe von einem anderen gefährlichen Werkzeug an. Die Rechtsfolge bleibt dieselbe. Von hoher praktischer Bedeutung ist jedoch die Subsumtion üblicher Alltagsgegenstände unter den Begriff des gefährlichen Werkzeugs.

b) Bedeutsame Fallkonstellationen[Bearbeiten]

Im Folgenden sollen einige besonderen Konstellationen hervorgehoben werden, für die sich eine Kasuistik entwickelt hat. Dies soll nicht als Aufforderung zum Auswendiglernen solcher Konstellationen verstanden werden, sondern Möglichkeit zur kritischen Anwendung der oben dargestellten Definitionen auf praxisrelevante Fälle geben.

aa) Beschuhter Fuß und Handschuhe[Bearbeiten]

Bei Tritten mit einem beschuhten Fuß kommt es zur Bestimmung der Gefährlichkeit sowohl auf die Beschaffenheit des Schuhs als auch auf die konkrete Verwendung in Form der getroffenen Körperregionen an. Maßgeblich ist, ob es sich um festes Schuhwerk handelt, das eine besondere Gefährlichkeit der Tritte begründet. Zudem kann auch bei „normalen Straßenschuhen“ ein wuchtiger Tritt gegen empfindliche Körperteile ausreichen.[10]

Dieselben Grundsätze gelten für Handschuhe; insb. bei eingenähter Sandverstärkung (sog. Quarzhandschuhe) ist die Schlagwirkung erheblich verstärkt, sodass diese regelmäßig gefährliche Gegenstände darstellen.[11]

Klausurtaktisch ist dringend anzuraten, jegliche Sachverhaltsangaben zur Beschaffenheit der (Hand-)Schuhe in die Subsumtion miteinfließen zu lassen.

bb) Der Einsatz von Hunden (Tiere)[Bearbeiten]

Eine weitere häufige Problemkonstellation ist eine durch einen Hund hervorgerufene Körperverletzung. Hierbei ist danach zu differenzieren, ob die Verletzung der spezifischen Gefahr des Hundes oder derjenigen Person, die diesen führt, zuzurechnen ist. Es kommt für die §§ 223 ff. StGB darauf an, ob der Täter den Hund auf eine andere Person hetzt. Es bedarf einer bewussten Verwendung des Tieres (vgl. Wortlaut „mittels“). Ist die den Hund führende Person unachtsam, kommt eine Strafbarkeit aus § 229 StGB in Betracht (→ § 7).

Beispiele: A hat Streit mit B. Um die Diskussion zu beenden, befiehlt sie ihrem Hund H, auf den B loszugehen. H beißt den B ins Bein. (à §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB)

E geht entspannt mit seinem nicht angeleinten Hund in einem öffentlichen Park spazieren. Als er gerade sein Handy in der Hand hat, läuft der Hund unbemerkt zu der Spaziergängerin S und beißt dieser in die Hand. (ৠ229 StGB)

cc) Medizinischer Heileingriff[Bearbeiten]

Medizinische Instrumente (insb. Skalpelle, Spritzen, Bohrern etc) stellen nach hM keine gefährlichen Werkzeuge dar. Der medizinische Heileingriff ist zwar tatbestandsmäßig eine Körperverletzung; lege artis verwendete Instrumente seien jedoch nicht als gefährliche Werkzeuge zu kategorisieren.

Diese Ansicht ist letztlich dogmatisch nicht konsequent. Die Privilegierung der Instrumente, mit denen ansonsten aber den Grundtatbestand des § 223 StGB erfüllende Heileingriffe vorgenommen werden, erschließt sich nicht. Die Exklusion von medizinischen Instrumenten erklärt sich aus dem Einbezug normativer Bewertungskriterien wie dem Vorliegen einer Approbation.[12]

dd) Scheren und Messer[Bearbeiten]

Der Einsatz einer Schere beim feindseligen Abschneiden von Haaren stellt keine besondere Verwendung dar, die geeignet ist, erhebliche Verletzungen zuzufügen. Anders verhält es sich, wenn die Schere als Stich- oder Schneidewerkzeug gegen den Körper eingesetzt wird. Gleiches gilt beim Abschneiden von Haaren mittels eines Küchenmessers.[13] 

3. Verletzung „mittels“ eines gefährlichen Tatmittels[Bearbeiten]

Schließlich muss der Verletzungserfolg „mittels“ der Waffe oder des gefährlichen Werkzeugs herbeigeführt werden. Dabei ist nach Rechtsprechung des BGH nicht ausreichend, dass der Verletzungserfolg auf die Verwendung des Werkzeugs folgt. Abzustellen ist vielmehr auf die direkt und von außen auf den Körper stattfindende Einwirkung des gefährlichen Tatmittels.[14]

Der Schuss in den Reifen eines PKW, der daraufhin aufgrund des Erschreckens des Fahrzeugführers verunfallt und zur Verletzung der Insassen führt, sei dabei nicht unmittelbar auslösend für die Verletzungen; die Körperverletzung damit nicht mittels einer Waffe begangen.[15]

Für die Ausbildung ist dieses Merkmal selten relevant, sodass es i.d.R. nicht als eigener Prüfungspunkt, sondern im Rahmen der Verwendung eines gefährlichen Tatmittels zu prüfen ist.

III. Nr. 3: hinterlistiger Überfall[Bearbeiten]

Ein Überfall ist ein unvorhergesehener Angriff, auf den sich das Opfer nicht vorbereiten kann. Hinterlistig ist der Überfall, wenn der Täter planmäßig vorgeht und dabei seine wahre Absicht verdeckt.

Die durch den verdeckten und unerwarteten Angriff deutlich geringeren Verteidigungschancen der angegriffenen Person begründen die erhöhte Strafandrohung.

Zu beachten ist, dass der hinterlistige Überfall – trotz gewisser Ähnlichkeiten – nicht dem Begriff der Heimtücke bei § 211 Abs. 2 Gruppe 2 Var. 1 StGB entspricht. Analog zur Heimtücke bedarf es der Arglosigkeit der angegriffenen Person. Zudem muss der Täter diese Arglosigkeit jedoch auch in planmäßiger List ausnutzen. Dies führt zu dem zunächst kontraintuitiven Ergebnis, dass der hinterlistige Überfall i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB enger auszulegen ist als das Merkmal der Heimtücke (→ § 211 ###).

IV. Nr. 4: mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich[Bearbeiten]

Eine Körperverletzung wird mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begangen, wenn mindestens zwei Personen dabei zusammenwirken und der verletzten Person gegenüberstehen. Nicht erforderlich ist, dass jede Person eigenhändig tätig wird. Die Beteiligten müssen jedoch zur Tatzeit anwesend und zum Eingreifen bereit sein. Das bloße Begleiten zur psychischen Unterstützung ist insofern nicht ausreichend. Dies stützt auch die teleologische Auslegung: Eine starke Einschüchterung der verletzten Person sowie das durch die Mitwirkung eines weiteren Beteiligten erhöhte Eskalationspotential sollen sanktioniert werden.

Nach hM ist nicht erforderlich, dass die verletzte Person von den weiteren Beteiligten weiß.[16] Es genügt, dass die Anwesenheit die Gefährlichkeit der Körperverletzung erhöht und die Verteidigungschancen der verletzten Person vermindert.

Beispiele:

A schlägt auf C ein, während B sie am Handy ermutigt. (-)

A schlägt auf C ein, während B sie vor Ort ermutigt, selbst aber nicht eingreifen will. (-)

A schlägt auf C ein, während B sie vor Ort ermutigt und zum Eingreifen bereit ist. (+)

Die Beteiligung im Sinne der gefährlichen Körperverletzung ist nicht mit einer mittäterschaftlichen Begehung gleichzusetzen. In vielen Fällen werden die Voraussetzungen der Mittäterschaft bei einem planmäßigen Zusammenwirken am Tatort zwar vorliegen, Voraussetzung ist dies jedoch nicht.

Weiterführendes Wissen

Seine zuvor andere Auffassung, die Anwendung auf Fälle mittäterschaftlicher Begehung zu beschränken, hat der BGH aufgegeben.[17] Hierfür spricht auch der Wortlaut des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB, der mit dem „Beteiligten“ ausweislich der Legaldefinition in § 28 Abs. 2 StGB „Täter oder Teilnehmer“ referenziert.

Wichtig zu bedenken ist, dass Täter der gefährlichen Körperverletzung mittels eines anderen Beteiligten nur sein kann, wer auch Täter der Körperverletzung ist. Der Beteiligte i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB bleibt stets Gehilfe und macht sich dann der Beihilfe an der gefährlichen Körperverletzung schuldig, wenn die Voraussetzungen der Täterschaft nicht vorliegen.

Beispiele: A möchte C verprügeln. Zur Unterstützung kommt B mit und steht bedrohlich in der Ecke und ist bereit, im Notfall einzugreifen. A kontrolliert die Situation jedoch vollständig und ist nicht auf den B angewiesen. (à A: §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB; B: §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 4, 27 Abs. 1 StGB)

A und B möchten C verprügeln. A soll den körperlich überlegenen C schlagen, während B ihn nur von hinten festhält, ohne dass C durch das reine Festhalten Verletzungen erleidet. Ohne das Festhalten des B wäre A jedoch nicht möglich, den C zu verprügeln. (à A: §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB; B: §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 4, 25 Abs. 2 StGB)

V. Nr. 5: lebensgefährdende Behandlung[Bearbeiten]

Eine Körperverletzung erfolgt mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung, wenn die Verletzungshandlung[18] im konkreten Einzelfall objektiv allgemein dazu geeignet ist, die verletzte Person in Lebensgefahr zu bringen.

Eine Mindermeinung in der Literatur verlangt eine konkrete Lebensgefährdung im Einzelfall. Das lässt sich jedoch nicht mit der Systematik der gefährlichen Körperverletzung, die ein abstraktes Gefährdungsdelikt mit konkreten Elementen darstellt, in Einklang bringen. Das Abstellen auf eine tatsächliche Lebensgefahr begrenzt den Tatbestand, der durchgehend das Ziel verfolgt, abstrakte Gefahren für die verletzte Person zu bestrafen, zu sehr.

Während dieser Streit mittlerweile nahezu keine praktische Bedeutung mehr zukommt, lässt sich eine herausgehobene Bedeutung für die Ausbildung nicht abstreiten.[19] Von Studierenden – gerade in den ersten Semestern – wird zumeist erwartet, den Streit um die konkrete oder abstrakte Lebensgefährdung im Rahmen der Prüfung von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB zu erkennen und darzulegen.

Auch bei § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB muss die Körperverletzung „mittels“ einer das Leben gefährdenden Behandlung erfolgen. Analog zu den oben[20] dargestellten Grundsätzen genügt es damit nicht, mit der Behandlung lediglich einen Kausalverlauf in Gang zu setzen, der zu einer abstrakten Lebensgefahr führt. Vielmehr muss die Lebensgefahr in der Behandlung direkt angelegt sein.

Beispiele: A wirft den B auf die Fahrbahn einer Straße, ohne ihn weiter zu verletzen.[21] (-)

A wirft den bewusstlosen B auf die Fahrbahn einer dicht befahrenen Straße. (+)

A wirft das Baby B in eiskaltes Wasser.[22] (+)

C. Subjektiver Tatbestand[Bearbeiten]

Der subjektive Tatbestand verlangt vorsätzliches Handeln i.S.d. § 15 StGB. Dolus Eventualis genügt. Es muss zusätzlich zu dem Vorsatz bzgl. der einfachen Körperverletzung auch Vorsatz in Bezug auf das verwirklichte Qualifikationsmerkmal vorliegen.

Bei Nr. 1, 2 und 3 ist die Kenntnis der Umstände, aus denen sich die Gefährlichkeit der Verletzungshandlung ergibt, erforderlich.

Für Nr. 4 muss sich der Vorsatz auf die gemeinschaftliche Begehung der Tat erstrecken.

Am im subjektiven Tatbestand anspruchsvollsten stellt sich die Prüfung der lebensgefährdenden Behandlung (Nr. 5) dar. Hier ist sauber zwischen Körperverletzungsvorsatz und Tötungsvorsatz zu unterscheiden. Regelmäßig liegt (bloßer) Vorsatz zur lebensgefährdenden Behandlung vor, wenn der Täter zwar um die abstrakte Lebensgefährlichkeit seiner Handlungen weiß, aber auf den Nichteintritt des Todes vertraut.[23]

Beispiel: A tritt mit Stahlkappenschuhen mehrfach und mit hohem Kraftaufwand auf den Kopf von B ein.[24] Den Tod von B nimmt A hierbei billigend in Kauf. B überlebt schwer verletzt. (à §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB.[25])

A tritt mit Stahlkappenschuhen mehrfach und mit hohem Kraftaufwand auf den Kopf von B ein. A vertraut darauf, dass die Verletzungen nicht tödlich sind. B überlebt schwer verletzt. (à §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, Nr. 5 StGB)

Abwandlung: B war zu keinem Zeitpunkt in Lebensgefahr. (à §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, Nr. 5 StGB; (P) abstrakte Lebensgefahr)

Weiterführendes Wissen

Besonders in Klausuren für Fortgeschrittene ist zu beachten, dass der Vorsatz zu einem Tötungsdelikt nach der sog. Einheitstheorie auch einen Körperverletzungsvorsatz enthält. Die verwirklichten Körperverletzungstatbestände treten dann jedoch im Wege der Gesetzeskonkurrenz hinter dem vorsätzlichen vollendeten Tötungsdelikt zurück.

D. Aufbauschema §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 StGB[Bearbeiten]

I. Tatbestand

           1. Objektiver Tatbestand

                       a) Tatobjekt: andere Person[26]

                       b) Tathandlung/Taterfolg

                                   aa) körperliche Misshandlung

                                   bb) Gesundheitsschädigung

                                          (P) medizinischer Heileingriff

                       c) Kausalität

                       d) Objektive Zurechnung

                       e) Qualifikationstatbestandsmerkmale (§ 224 StGB[27])

                                   aa) Gift oder gesundheitsschädliche Stoffe

                                   bb) Waffe oder gefährliches Werkzeug

                                               (P) unbewegliche Sachen

                                   cc) hinterlistiger Überfall

                                   dd) mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich

                                              (P) Teilnehmer statt Mittäter

                                   ee) lebensgefährdende Behandlung

                                              (P) abstrakte Lebensgefahr

           2. Subjektiver Tatbestand

           Vorsatz bzgl. des Grunddelikts und etwaiger Qualifikationsmerkmale

II. Rechtswidrigkeit

Ggf. Einwilligung, § 228 StGB

III. Schuld


[1] Paeffgen/Böse, in: NK-StGB, 5. Aufl. (2017), § 224 Rn. 3.

[2] BGHSt 37, 106 – Lederspray.

[3] Vertiefend bei Jahn, JA 2002, 560 (Semesterabschlussklausur); ähnlich Jahn/Schmitt-Leonardy, JuS 2020, 605 (Probeexamensklausur).

[4] Siehe dazu BGHSt 36,1.

[5] Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder-StGB, 30. Aufl. (2019), § 224 Rn. 2a. AA Wolters, in: SK-StGB, § 224 Rn. 9, wonach die abstrakt-generelle Gesundheitsschädlichkeit ausreichen soll.

[6] Vgl. zu diesem Begriffspaar Hardtung, in: MüKo-StGB, 4. Aufl. (2021), § 224 Rn. 17.

[7] BGHSt 22, 235 (236).

[8] Rengier, BT II,  23. Aufl. (2022),  § 14 Rn. 39.

Wessels/Hettinger/Engländer, BT I, 45. Aufl. (2021), Rn. 231.

[10] BGHST 30, 375 (377); BGH NStZ 2010, 151.

[11] Zu Quarzhandschuhen BGH NStZ 2012, 553.

[12] Dieses Kriterium ist ebenfalls anfällig für Kritik, da nicht jedes medizinische Personal approbiert ist, während sich die Art und Gefährlichkeit der Behandlung jedoch nicht anhand dieses Kriteriums differenzieren lässt. Zur Kritik ausf. bei Grünewald, in: LK-StGB Online (2019), § 224 Rn. 22. Allgemein zum medizinischen Heileingriff → § 5 Rn. #X#.

[13] BGH NStZ-RR 2009, 50.

[14] BGH NStZ 2006, 572 (572).

[15] BGH NStZ 2006, 572 (572).

[16] Rengier, BT II,  23. Aufl. (2022), § 14 Rn. 46.

[17] Vgl. BGH NJW 2002, 3788.

[18] Die Verletzungshandlung (nicht: der Verletzungserfolg) muss allgemein lebensgefährlich sein, vgl. Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder-StGB, 30. Aufl. (2019), § 224 Rn. 12.

[19] AA Rengier, BT II,  23. Aufl. (2022),  § 14 Rn. 50.

[20] Siehe bereits oben unter B.II.3.

[21] Beispiel nach BGH NStZ 2010, 276.

[22] Beispiel nach LG Saarbrücken NStZ 1983, 414.

[23] Aus der Prüfperspektive des Tötungsdelikts handelt der Täter damit bewusst fahrlässig hinsichtlich des Todeseintritts. Mangels eingetretenem Taterfolg (Tod) besteht jedoch keine Strafbarkeit nach § 222 StGB.

[24] Vgl. dazu mit weiteren Gewalthandlungen instruktiv BGH NStZ 2005, 384.

[25] Die ebenfalls erfüllten §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, 5 StGB werden im Rahmen der Gesetzeskonkurrenz verdrängt.

[26] In Fortgeschrittenenklausuren ist die gesonderte Prüfung dieses Merkmals im Gutachten i.d.R. entbehrlich; das Tatbestandsmerkmal der „anderen Person“ kann dann in die Prüfung der Tathandlung mit einfließen: „… müsste eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit geschädigt haben“.

[27] Sehr selten: § 340 StGB.

Schwere Körperverletzung, § 226 StGB[Bearbeiten]

Autor: Daniel Zühlke

A. Deliktsstruktur[Bearbeiten]

§ 226 StGB normiert die „schwere Körperverletzung“. Hierbei handelt es sich um ein erfolgsqualifiziertes Delikt. Verwirklicht der Täter den Tatbestand der Körperverletzung (§ 223) und verursacht hierdurch mindestens fahrlässig eine der in § 226 Abs. 1 Nr. 1–3 StGB aufgezählten schweren Folgen (Erfolge), erhöht sich der Strafrahmen auf 1–10 Jahre. Führt der Täter die schwere Folge absichtlich oder wissentlich herbei, ist die Strafe nicht unter drei Jahren, § 226 Abs. 2 StGB. Zur erfolgreichen Klausurbearbeitung ist das systematische Verständnis von Erfolgsqualifikationen erforderlich. Ist § 226 StGB Prüfgegenstand, geht es häufig um die Frage, wann ein wichtiges Körperglied vorliegt.

Die schwere Körperverletzung ist ein Verbrechen (vgl. § 12 Abs. 1 StGB), sodass auch der Versuch der Erfolgsqualifizierung sowie der erfolgsqualifizierte Versuch der schweren Körperverletzung möglich sind.  

Im Gutachten sind stets alle in Betracht kommenden Varianten zu prüfen; diese müssen nicht kumulativ vorliegen. Für den Aufbau empfiehlt es sich, zunächst die (gefährliche) Körperverletzung vollständig zu prüfen, um sodann mit der schweren Körperverletzung als eigenen Prüfungspunkt fortzufahren.

B. Tatbestand[Bearbeiten]

I. Verwirklichung des Grunddelikts[Bearbeiten]

Voraussetzung der schweren Körperverletzung ist die Verwirklichung des vorsätzlichen Grunddelikts (vgl. Wortlaut: „die Körperverletzung“), § 223 StGB. Auf die vorgelagerte bereits erfolgte Prüfung kann hier knapp verwiesen werden.

II. Eintritt der schweren Folge[Bearbeiten]

Sodann ist der Eintritt einer in den Nr. 1–3 aufgezählten schweren Folge zu prüfen. Es werden im Gutachten alle in Betracht kommenden Varianten geprüft. Diese müssen jedoch nicht kumulativ vorliegen

Nr. 1: Verlust des Sehvermögens, Gehörs, Sprechvermögens oder der Fortpflanzungsfähigkeit[Bearbeiten]

Systematisch eint die unter Nr. 1 aufgeführten Merkmale, dass jeweils der (nahezu) vollständige Funktionsverlust eintreten muss. Hervor sticht einzig der Verlust des Sehvermögens, da hier ausreichend ist, dass ein Auge vollständig unbrauchbar wird.

Der Verlust des Sehvermögens ist die Aufhebung der Fähigkeit, mittels der Augen Gegenstände wahrzunehmen. Eine starke Vorschädigung hindert die Anwendung des § 226 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht.

Der Verlust des Gehörs ist die ganze oder nahezu vollständige Aufhebung der Fähigkeit, artikulierte Laute akustisch wahrzunehmen.

Weiterführendes Wissen

Anders als beim Sehvermögen, bei dem der Verlust auf einem Auge ausreichend ist, wird hier auf den Hörsinn abgestellt. Erfasst sind alle Konstellationen, in denen dem Verletzten nur eine wertlose Resthörfähigkeit[1] zurückbleibt.

Der Verlust des Sprechvermögens ist die Aufhebung der Fähigkeit, sich durch artikulierte Laute zu verständigen. Eine bloße Beeinträchtigung (zB bei Stottern) ist nicht ausreichend.

Der Verlust der Fortpflanzungsfähigkeit ist die Aufhebung der zum Tatzeitpunkt noch vorhandenen[2] Fähigkeit, Nachkommen zu zeugen. Diese Qualifikation ist auch auf medizinische Heileingriffe anwendbar.

Nr. 2: Verlust oder dauerhafte Gebrauchsunfähigkeit eines wichtigen Körpergliedes[Bearbeiten]

Ein Erfolg iSv § 226 Abs. 1 StGB tritt auch bei Verlust oder der dauerhaften Gebrauchsunfähigkeit eines wichtigen Körpergliedes ein.

a) Die Frage, wobei es sich um ein Glied handelt, ist umstritten.

Nach der wohl hM ist der Begriff eng auszulegen und umfasst ausschließlich äußerliche Körperteile, die mit dem Körper durch ein Gelenk verbunden sind (Finger, Zehen, Füße etc) und eine in sich abgeschlossene Einheit bilden.

Die Rechtsprechung hat es abgelehnt, auch innere Organe (z.B. eine Niere[3]) einzubeziehen. Dies wird insbesondere damit begründet, dass eine Subsumtion innerer Organe unter den Begriff des Gliedes die Wortlautgrenzen überdehnen. Dies wurde in der Literatur dahingehend kritisiert, dass Organe Körperteile seien, die auch als Körperglieder umschrieben werden könnten, da es sich um selbständige Teile des ganzen Körpers handele. Vor dem Hintergrund aktueller Fälle heimlicher Organentnahmen sei der Begriff daher weit auszulegen und es seien auch innere Organe mit einzubeziehen.[4]

Wenngleich es sicherlich widersinnig erscheinen kann, dass zwar das Abtrennen eines Fingers, nicht aber die Entfernung einer Niere eine schwere Körperverletzung darstellen soll, ist der engeren Auffassung beizupflichten. Hierfür spricht neben dem vom BGH vorgebrachten Argument der Wortlautgrenze auch der Wille des historischen Gesetzgebers, der im Entstehungsprozess der Norm das „wichtige Glied“ anstatt des zuvor vorgeschlagenen Begriffs der „Verstümmelung“ nutzte.[5]

b) Ebenso nicht eindeutig geklärt ist die Frage, wann ein Glied „wichtig“ ist.

Entscheidend hierfür ist die Gesamtfunktion des Körperteils im Organismus. Sind wesentliche Körperfunktionen beeinträchtigt, ist das Glied „wichtig“. Dies betrifft unproblematisch Hände und Füße sowie Daumen, Zeigefinger und große Fußzehen. Soweit man innere Organe als „Glieder“ einstufen möchte, sind diese auch dann „wichtig“, wenn sie nicht lebensnotwendig sind (z.B. bei Entfernung einer Niere).

Nach einer früher vertretenen engen Auffassung kommt es bei der Bestimmung der Wichtigkeit nur auf die generelle Bedeutung für den menschlichen Körper an, während eine weitere – mittlerweile auch vom BGH[6] vertretene – Auffassung individuelle Körpereigenschaften mit einbeziehen möchte (z.B. bei Rechts-/Linkshänder:innen). Nach einer zunehmend verbreiteten noch weiteren Ansicht sollen auch soziale Faktoren berücksichtigt werden.[7] Es soll z.B. der Beruf der verletzten Person einbezogen werden (Einbezug aller Finger einer Chirurgin oder eines Pianisten).

Während der BGH sich bislang nicht eindeutig zum Einbezug sozialer Faktoren positioniert hat, geht diese weite Ansicht, die auch den Beruf der verletzten Person berücksichtigt, zu weit. Zwar ist der Unrechtsgehalt der Tat durch die sozialen Beeinträchtigungen für die verletzte Person erhöht, wenn diese aufgrund der Tat ihren Beruf nicht mehr ausüben kann. Dies ist jedoch iRd allgemeinen Strafzumessung zu beachten. § 226 StGB schützt die körperliche Integrität, nicht die stark personalisierte soziale Funktion von Körperteilen. Zustimmungswürdig ist mit der hM die individuell-generalisierende Betrachtung, die auf die individuelle körperliche Beschaffenheit abstellt, soziale Faktoren jedoch außen vor lässt.

c) Verlieren oder dauernd nicht mehr gebrauchen können

Verlieren meint die dauerhafte Abtrennung vom Körper. Die Möglichkeit, das Körperglied durch künstliche Prothesen zu ersetzen, kann diesen Verlust nicht ausgleichen.

Ob eine dauerhafte Unbrauchbarkeit vorliegt, ist in einer wertenden Gesamtbetrachtung zu ermitteln. Abzustellen ist darauf, ob das Glied derart unbrauchbar geworden ist, dass dies der Wirkung einer Abtrennung entspricht.

Weiterführendes Wissen

Aufgrund der Gleichwertigkeit des Verlustes und der dauerhaften Unbrauchbarkeit ist letzteres Merkmal restriktiv auszulegen. Die Rechtsprechung legt hier einen strengen Maßstab an und hat die dauerhafte Unbrauchbarkeit z.B. bei einem Schuss ins Knie, wonach dieses nicht mehr vollständig gebeugt werden konnte, instabil wurde und eine zukünftige Arthrose wahrscheinlich war,[8] verneint. Nicht ausreichend sind außerdem Taubheitsgefühle, die zur eingeschränkten Benutzbarkeit führen.[9]

Nr. 3: Dauerhafte Entstellung, Siechtum, Lähmung, Geistige Krankheit oder Behinderung[Bearbeiten]

Der Erfolg ist zudem bei Eintritt einer dauerhaften Entstellung sowie bei dem Eintritt von Siechtum, Lähmung, der geistigen Krankheit oder Behinderung zu bejahen.

a) Dauerhaft entstellt ist die verletzte Person, wenn ihr äußeres Erscheinungsbild in erheblicher Weise irreversibel unästhetisch verändert wurde.

Der Schweregrad muss dabei den anderen schweren Folgen des § 226 Abs. 1 StGB entsprechen. Dabei kommt es – wie bereits bei der Frage, wann ein Glied wichtig ist – auf eine generalisierte Betrachtung an, die keine soziale Komponente zulässt (so darf z.B. bei Personen der Öffentlichkeit oder bei Modeln kein anderer Maßstab gelten). Nicht erforderlich ist jedoch, dass die Entstellung immer zu sehen ist (z.B. bei Überdeckung durch Kleidung).

Bei Narben reicht die bloße deutliche Sichtbarkeit (ebenfalls) nicht aus. Für die Vergleichbarkeit mit anderen schweren Folgen bedarf es einer erheblichen Entstellung, die von der restriktiven Rechtsprechung z.B. dann angenommen wird, wenn die Gesichtsproportionen deutlich verzerrt sind oder eine Vielzahl von Narben in derselben Körperregion zurückbleiben.[10]

Weiterführendes Wissen

Besteht die Möglichkeit der operativen Beseitigung der Entstellung, so schließt dies nur dann die Verwirklichung des Erfolgs aus, wenn die Behandlung eine konkrete Möglichkeit darstellt, die dauernde Entstellung ohne unzumutbares Risiko wieder zu beheben. Diese Möglichkeit ist restriktiv zu handhaben und nur bei positiven Indizien gesondert zu prüfen. 

b) Siechtum ist ein chronischer Krankheitszustand des Gesamtorganismus, der mit dem Schwinden der körperlichen und/oder geistigen Kräfte verbunden ist und die allgemeine Hinfälligkeit zur Folge hat. Dies ist in einer Gesamtschau der Tatfolgen zu ermitteln.

c) Lähmung ist eine erhebliche Beeinträchtigung der bestimmungsgemäßen Bewegungsfähigkeit eines Körperteils, die den ganzen Körper beeinflusst.

Weiterführendes Wissen

Mit Recht folgert die Rechtsprechung aus der Gleichstellung der Lähmung mit Siechtum und Geisteskrankheit eine Auswirkung auf den ganzen Körper, sodass die Versteifung größerer Gelenke (Knie, Hüfte) eine Lähmung darstellt, während die Versteifung einzelner Finger regelmäßig nicht ausreicht.

d) Geistige Krankheit oder Behinderung

Eine geistige Krankheit ist jeder krankheitswertige Schaden an der psychischen Gesundheit.

Nach einer Mindermeinung soll sich hierzu am Katalog der krankhaften seelischen Störung iSv § 20 StGB orientiert werden.[11] Während diese Auffassung den Tatbestand zu stark eingrenzt, ist dem grundsätzlichen Gedanken, auch im Rahmen der geistigen Krankheit ein gewisses Maß an Erheblichkeit vorauszusetzen, zuzustimmen.

Eine geistige Behinderung ist eine nicht als geistige Krankheit zu qualifizierende erhebliche Störung der Gehirntätigkeit.

III. Objektive Sorgfaltspflichtverletzung[Bearbeiten]

Wurde die schwere Folge im Ergebnis fahrlässig verursacht, sind bereits an dieser Stelle im objektiven Tatbestand die objektiven Fahrlässigkeitsbedingungen zu erörtern. Der Täter muss also eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung begangen haben – diese liegt regelmäßig bereits in der Verwirklichung des Grunddelikts. Darüber hinaus muss der Eintritt der schweren Folge für einen objektiven, verständigen Dritten aus ex ante-Perspektive vorhersehbar gewesen sein (objektive Vorhersehbarkeit).

IV. Kausalität und objektive Zurechnung[Bearbeiten]

Zwischen dem Grunddelikt, der Körperverletzung, und der schweren Folge, muss ein Kausalzusammenhang bestehen. Es gelten die allgemeinen Grundsätze und Fallgruppen der Äquivalenztheorie und der objektiven Zurechnung; die Tathandlung darf also nicht hinweggedacht werden, ohne dass die schwere Folge entfiele und muss eine rechtlich missbilligte Gefahr darstellen, die sich im Erfolg verwirklicht hat.

V. Tatbestandsspezifischer Gefahrzusammenhang[Bearbeiten]

Der Körperverletzung muss die spezifische Gefahr anhaften, eine schwere Folge herbeizuführen. Es muss eine besondere Verknüpfung zwischen der Tathandlung und dem Eintritt der schweren Folge vorliegen, die über die Grundsätze des Kausalzusammenhangs und der objektiven Zurechnung hinausgeht. Diese dem Grunddelikt spezifisch anhaftende Gefahr muss sich im konkreten Taterfolg niederschlagen. Auszuschließen ist der Zusammenhang insbesondere beim Eintritt der schweren Folge durch ein zusätzliches Handeln eines Dritten oder wenn er durch die verletzte Person herbeigeführt wird.

Siehe zu den Einzelheiten und Streitpunkten des tatbestandsspezifischen Gefahrzusammenhang die ausführlichen Erläuterungen im Rahmen von § 227 StGB → § 8 B.IV.

VI. Subjektive Tatseite[Bearbeiten]

Auch für die schwere Körperverletzung gilt der allgemeine Grundsatz erfolgsqualifizierter Delikte: Die schwere Folge muss „wenigstens“ fahrlässig (vgl. § 18 StGB) verursacht worden sein. Zu prüfen ist daher, ob der Täter hinsichtlich der schweren Folge vorsätzlich oder fahrlässig handelte (dolus eventualis genügt). Abhängig davon, ob der Täter vorsätzlich oder nur fahrlässig hinsichtlich der schweren Folge handelt, variiert der Prüfungsaufbau. Handelt er vorsätzlich, so ist das Delikt wie jedes Vorsatzdelikt mit objektivem und subjektiven Tatbestand aufzubauen. Liegt kein Vorsatz hinsichtlich der schweren Folge vor, so ist der subjektive Tatbestand nicht zu prüfen und es ist stattdessen im objektiven Tatbestand das fahrlässige Handeln zu prüfen. Das unter B.1. geprüfte Grunddelikt muss allerdings immer vorsätzlich verwirklicht worden sein.

Wird die schwere Folge „absichtlich oder wissentlich“, also mit dolus directus herbeigeführt, erhöht sich die Freiheitsstrafe auf nicht unter drei Jahre, § 226 Abs. 2 StGB. Diese Modalität ist als Qualifikation und nicht lediglich als Strafzumessungsvorschrift anzusehen,[12] sodass deren Vorliegen auch im Gutachten festzustellen ist.

C. Versuch[Bearbeiten]

Bei der schweren Körperverletzung handelt es sich um ein Verbrechen, § 12 Abs. 1 StGB, dessen Versuch gem. § 23 Abs. 1 stets strafbar ist.

Zielt der Vorsatz des Täters auf den Eintritt einer schweren Folge ab, deren Eintritt ausbleibt, handelt es sich um einen Versuch der Erfolgsqualifikation.

Beispiel: T möchte, dass O dauerhaft entstellt wird und schüttet hierzu heißes Wasser in das Gesicht von O. Dieser erleidet erhebliche Schmerzen, trägt aber keine bleibenden Schäden davon.

Bleibt das Grunddelikt im Versuchsstadium stecken, tritt die schwere Folge aber dennoch ein, handelt es sich um einen erfolgsqualifizierten Versuch.

Beispiel: Die verletzte Person weicht einem drohenden Schlag mit einer Metallstange in letztem Moment reflexartig aus, stürzt dabei jedoch und verletzt sich so schwer, dass sie halbseitig gelähmt ist.

An dieser Stelle kommt es auf den Anknüpfungspunkt des tatbestandsspezifischen Gefahrzusammenhangs an (vgl. dazu die Ausführungen bei § 227 → § 8 B.IV. sowie F.). Folgt man der Ansicht, dass der tatbestandsspezifische Gefahrenzusammenhang zwingend am Verletzungserfolg anknüpfen muss, ist der erfolgsqualifizierte Versuch abzulehnen.

D. Aufbauschemata § 226 StGB[Bearbeiten]

Aufbauschema für das vorsätzliche Verursachen einer schweren Folge:

I. Tatbestand

           1. Verwirklichung des Grunddelikts (§ 223 StGB)

           2. Eintritt der schweren Folge

           3. Kausalität & objektive Zurechnung

           4. Tatbestandsspezifischer Gefahrzusammenhang

           6. Subjektive Tatseite

Vorsatz (bei dolus directus: Qualifikation des § 226 Abs. 2 StGB beachten.)

II. Rechtswidrigkeit

III. Schuld

Aufbauschema für das fahrlässige Verursachen einer schweren Folge:

I. Tatbestand

           1. Verwirklichung des Grunddelikts (§ 223 StGB)

           2. Eintritt der schweren Folge

           3. Objektive Sorgfaltspflichtverletzung

           4. Kausalität und objektive Zurechnung

           5. Tatbestandsspezifischer Gefahrzusammenhang

II. Rechtswidrigkeit

III. Schuld

Subjektive Fahrlässigkeit


[1] BGH, Beschl. v. 8.12.2010 – 5 StR 516/10; hier: 5 %.

[2] Dies umfasst auch Kinder, bei denen die Anlage zur Fortpflanzung naturgemäß angelegt ist, auch wenn sie zum Tatzeitpunkt noch nicht fortpflanzungsfähig sind. Nicht umfasst sind Frauen in nicht mehr gebärfähigem Alter.

[3] BGHSt 28, 100.

[4] Rengier, BT II,  23. Aufl. (2022), § 15 Rn. 8 f.

[5] Ebenso und mwN Wessels/Hettinger/Engländer, BT 1, 44. Aufl. (2020), Rn. 246.

[6] In BGHSt 51, 252 (255) hat sich das Gericht zumindest dahingehend geäußert, die strenge generalisierende Ansicht sei „zu eng und nicht mehr zeitgemäß“. Der amtliche Leitsatz stellt fest, dass auch „individuelle Körpereigenschaften und dauerhafte körperliche (Vor-)Schädigungen des Verletzten“ zu berücksichtigen sind.

[7] Wenngleich in der Kommentarliteratur weitgehend nicht anerkannt, so vertreten von Rengier, BT II,  23. Aufl. (2022), § 15 Rn. 11.

[8] BGH NStZ 2014, 213.

[9] BGH NStZ-RR 2009, 78.

[10] BGH NJW 2014, 3382 (3384 Rn. 24).

[11] Paeffgen/Böse, in: NK-StGB, 5. Aufl. (2017), § 226 Rn. 35.

[12] Momsen-Pflanz/Momsen, in: SSW-StGB, 5. Aufl. (2021), § 226 Rn. 29.

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Inhaltsverzeichnis des Buches[Bearbeiten]

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Einführung zum Besonderen Teil

Erster Teil: Nichtvermögensdelikte

1. Kapitel: Straftaten gegen das Leben

§ 1: Mord und Totschlag, §§ 211, 212

§ 2: Tötung auf Verlangen, § 216

§ 3: Fahrlässige Tötung, § 222

§ 4: Aussetzung, § 221


2. Kapitel: Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit

§ 5: Einfache Körperverletzung, § 223

§ 6: Gefährliche und schwere Körperverletzung, §§ 224, 226

§ 7: Fahrlässige Körperverletzung, § 229

§ 8: Körperverletzung mit Todesfolge, § 227

§ 9: Beteiligung an einer Schlägerei, § 231

§ 10: Körperverletzung im Amt, § 340


3. Kapitel: Straftaten gegen die persönliche Freiheit

§ 11: Nötigung, § 240

§ 12: Widerstand gegen und tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte, §§ 113 ff.

§ 13: Freiheitsberaubung, § 239

§ 14: Erpresserischer Menschenraub und Geiselnahme, §§ 239a, 239b


4. Kapitel: Urkundendelikte

§ 15: Urkundenfälschung, § 267

§ 16: Fälschung technischer Aufzeichnungen und beweiserheblicher Daten, §§ 268, 269

§ 17: Mittelbare Falschbeurkundung, § 271

§ 18: Urkundenunterdrückung, § 274


5. Kapitel: Straßenverkehrsdelikte

§ 19: Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr, § 315b

§ 20: Gefährdung des Straßenverkehrs, §§ 315c, 315d

§ 21: Trunkenheit im Verkehr, § 316

§ 22: Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, § 142


6. Kapitel: Brandstiftungsdelikte

§ 23: Einfache Brandstiftung, § 306

§ 24: Schwere und besonders schwere Brandstiftung, §§ 306a, 306b

§ 25: Brandstiftung mit Todesfolge, § 306c

§ 26: Fahrlässige Brandstiftung, § 306d

§ 27: Herbeiführen einer Brandgefahr, § 306f


7. Kapitel: Beleidigungsdelikte

§ 28: Beleidigung, § 185

§ 29: Üble Nachrede, § 186

§ 30: Verleumdung, § 187


8. Kapitel: Straftaten gegen die Rechtspflege

§ 31: Aussagedelikte, §§ 153ff

§ 32: Falsche Verdächtigung und Vortäuschen einer Straftat, §§ 164, 145d

§ 33: Strafvereitelung und Strafvereitelung im Amt, §§ 258, 258a


Zweiter Teil: Eigentums- und Vermögensdelikte

9. Kapitel: Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch, Diebstahl und Unterschlagung

§ 34: Sachbeschädigung, §§ 303 ff.

§ 35: Hausfriedensbruch, § 123

§ 36: Einfacher Diebstahl, § 242

§ 37: Besonders schwerer Fall des Diebstahls, § 243

§ 38: Qualifikationen des Diebstahls, §§ 244, 244a

§ 39: Unterschlagung, § 246


10. Kapitel: Betrug und Untreue

§ 40: Betrug, § 263

§ 41: Computerbetrug, § 263a

§ 42: Untreue, § 266

§ 43: Weitere examensrelevante Delikte des 22. Abschnitts, §§ 266b, 265a, 265


11. Kapitel: Raub und Räuberischer Diebstahl

§ 44: Einfacher Raub, § 249

§ 45: Schwerer Raub, § 250

§ 46: Raub mit Todesfolge, § 251

§ 47: Räuberischer Diebstahl, § 252

§ 48: Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer, § 316a


12. Kapitel: Erpressung und Räuberische Erpressung

§ 49: Erpressung, § 253

§ 50: Räuberische Erpressung, § 255


13. Kapitel: Anschlussstraftaten

§ 51: Begünstigung, § 257

§ 52: Hehlerei, § 259

§ 53: Geldwäsche; Verschleierung unrechtmäßig erlangter Vermögenswerte, § 261


Fußnoten[Bearbeiten]