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Methodik der Fallbearbeitung im Staatsorganisationsrecht

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Autor: Jaschar Kohal

Notwendiges Vorwissen: Auslegungsmethoden, Gutachtenstil Lernziel: Schemata bzw. Gliederung der Staatsorganisationsrechtsklausur, Lösungstechniken bei problematischen Fallkonstellationen erlernen


Die Durchsicht von Prüfungsarbeiten im Staatsorganisationsrecht zeigt oftmals, dass die Mehrheit der Bearbeiter:innen ein großes Fundament an dogmatischen Wissen aufzeigen, die gutachterliche Darstellung dieses Wissen aber oftmals misslingt. Hier zeigt sich die besondere Schwierigkeit der staatsorganisationsrechtlichen Fallbearbeitung. Während das Gutachten im Strafrecht sehr schematisch abläuft und damit kaum Gliederungsfragen offen bleiben, fehlen solche festen Schemata im Staatsorganisationsrecht, insbesondere innerhalb der Begründetheit (bzw. materiellen Rechtmäßigkeit). Hier zeigt sich, dass die Bezeichnung des öffentlichen Rechts als „prüfungsschematafreundlichstes Rechtsgebiet“ nicht nur Vorteile mit sich bringt.[1] Der fehlende Rückgriff auf Schemata kann gerade auch verunsichern und verlangt ein besonderes Maß an Eigenregie.

Auch was die Bearbeitungsleistung angeht zeigen Klausuren im Verfassungsrecht Eigenheiten auf. Insbesondere wird ein hohes Maß an eigenständiger Argumentation abverlangt, was auf die wenig determinierungsscharfen Normen zurückzuführen ist. Anders als im Zivil- und Strafrecht spielen zudem prozessuale Fragen regelmäßig eine Rolle.

I. Aufbauprobleme in der Zulässigkeit

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Innerhalb der Zulässigkeit kann auf bewährte Schemata zurückgegriffen werden. Die relevantesten Verfahrensarten (Organstreit, Bund-Länder-Streit und abstrakte Normenkontrolle) ähneln sich dabei zu einem großen Teil. Es sollte schnell festgestellt werden, ob ein kontradiktorisches Verfahren einschlägig ist oder nicht.

Die Zulässigkeit ist, gleich nach dem Deckblatt, für den Ersteindruck der Klausur von großer Bedeutung. Zumeist tauchen hier nur wenige Probleme auf, die durch achtsames Subsumieren in den Griff zu bekommen sind.

II. Grundlagen der Falllösungstechnik

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Es bietet sich an bereits frühzeitig mit einer Ritualisierung der folgenden Schritte zu beginnen. Als Grundlagen der Falllösung dienen sie zur schnellen Sortierung der Bearbeitungsaufgabe.

1) Bearbeiter:innevermerk genau und als erstes lesen

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Noch vor der eigentlichen Lektüre des Sachverhalts, sollte der Bearbeiter:innenvermerk gelesen werden. So kann der Fokus dann, bei der Erfassung des Sachverhalts, bereits auf die Fallfrage angepasst werden. Teilweise schränkt die Aufgabenstellung den Bearbeitungsumfang massiv ein.

Beispiel: Der Sachverhalt beinhaltet detaillierte Angaben über die Abstimmungsverhältnisse zu einem zu erlassenden Gesetz. Die Aufgabenstellung lautet: „Prüfen Sie, ob das Gesetz verfassungskonform ist. Die formelle Rechtmäßigkeit ist gegeben.“ Hier ist es fatal Mehrheitsverhältnisse und dergleichen anzuprüfen.

2) Prozessualer Einstieg?

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Anders als in den anderen Rechtsgebieten wird im öffentlichen Recht regelmäßig eine Zulässigkeitsprüfung erwartet. Regelmäßig bedeutet in diesem Fall nicht immer. Die Differenzierung, ob nun eine Zulässigkeitsprüfung stattfinden muss, oder eben nicht, bereitet oftmals Probleme. Aufgrund der knappen Zeit und dem Grundsatz, dass überflüssige Ausführungen als fehlerhaft zu werten sind, ist man gut beraten hier kurz inne zu halten und sich genau zu überlegen was nun geprüft werden muss.

Denkbar sind damit folgende Klausurkonstellationen:

a) Prüfung von Zulässigkeit und Begründetheit („Klassiker“)

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Beispiele für Bearbeiter:innenvermerke, die diesen Klausurtyp indizieren: „Wie wird das BVerfG entscheiden?“; „Prüfen Sie die Erfolgsaussichten eines möglichen Vorgehens vor dem BVerfG.“; „Wie kann gegen das Gesetz/andere Maßnahme vorgegangen werden?“

b) Prüfung nur der Zulässigkeit (sehr selten)

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Beispiele für Bearbeiter:innenvermerke für diesen Klausurtyp: „Welches Verfahren ist vorliegend einschlägig?“; „Wäre hier eine abstrakte Normenkontrolle zulässig?“; „Ist die Klage zulässig?“

c) Nur Prüfung der Begründetheit beziehungsweise Rechtmäßigkeitsprüfung (häufig!)

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Diese Konstellation bereitet erfahrungsgemäß die meisten Schwierigkeiten.

Für das weitere Verständnis sollte zunächst verinnerlicht werden, dass die „Begründetheit“ nichts anderes ist als eine reine Rechtmäßigkeitsprüfung. Die Prüfprogramme sind in beiden Fällen identisch. Sofern eine Zulässigkeit geprüft wurde, schließt sich an diese eine Begründetheitsprüfung an. Ansonsten handelt es sich um eine reine Rechtmäßigkeitsprüfung.#

Sofern nur nach der Begründetheit gefragt wird ist es falsch das Gutachten mit „B. Begründetheit“ zu beginnen. Der Prüfungspunkt B. ist niemals der erste Punkt eines Gutachtens (sondern, wenn überhaupt, A.). In dieser Konstellation bietet sich ein differenziertes Vorgehen an:

Sofern die Aufgabenstellung den Begriff „Begründetheit“ explizit erwähnt (z.B. „Ist die zulässige Verfassungsbeschwerde auch begründet?“), so sollte einfach wie folgt aufgebaut werden:


I. Begründetheit

Obersatz

1) Prüfungspunkt

...

II. Ergebnis

Sofern die Aufgabenstellung den Begriff der Begründetheit nicht erwähnt, sollte schlichtweg das zuvor beschriebene Schema angewandt werden. Es handelt sich dann um eine reine Rechtmäßigkeitsprüfung.

Beispiele für Bearbeiter:innenvermeke dieses Klausurtyps:

  • „Erstellen Sie ein wissenschaftliches Gutachten zu den materiellrechtlichen Fragen.“
  • „Der X sucht den Rechtsanwalt Y auf und möchte wissen, ob das Gesetz wirklich verfassungskonform ist. Schreiben Sie das dazugehörige Gutachten.

Achtung: Besonders trickreich ist der Bearbeiter:innenvermerk: „Erstellen Sie ein Gutachten zu den aufgeworfenen Rechtsfragen“; Hier findet keine Prüfung der Zulässigkeit statt, außer es wurden eben solche Fragen im Sachverhalt auch aufgeworfen werden. Letzter Fall ist untypisch und selten.

3) Fiktive Prüfer:in vorstellen

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Insbesondere in den Anfangssemestern ist es ein großes Problem überhaupt einen Überblick über das zu bekommen, was vertieft vorgetragen werden muss und was im Feststellungsstil (Urteilsstil) kurz und knapp dargelegt werden sollte.

Beachte: In der rechtswissenschaftlichen Methodik gelten überflüssige Ausführungen/die Beantwortung nicht gestellter Probleme als falsch und führen unweigerlich zu teilweise massivem Punktabzug.

Beispiel: Der Sachverhalt problematisiert den Zählwert der Wahlstimme. Bearbeiter:in möchte mit Wissen glänzen und tätigt weitreichende Ausführungen zu den weiteren Punkten des Art. 38 I 1 GG. Diese sind überflüssig und falsch. Hier werden Punkte (und Zeit) verschenkt.

Wenngleich das universitäre Gutachten sehr theorielastig ist, sollte der praktische Nutzen des Gutachtens (diese sind letztlich die notwendigen Vorarbeiten für ein Urteil!) im Auge behalten werden. Allzu theoretische Ausführungen sind damit zu unterlassen.

Beispiel: Bearbeiter:in möchte aufzeigen, dass die Vorlesung besonders tief verinnerlicht wurde und schreibt in die Klausurlösung weitgehende Ausführungen zur Auslegungsmethodik mit Wörtern wie „original intend“ und dergleichen. Solche, eher philosophischen Fragen, sind regelmäßig fehl am Platz. Weitere Beispiele: Der Wahlrechtsgrundsatz der Erfolgswertgleichheit ist im Fall problematisch, es werden aber breite Ausführungen zu sämtlichen Wahlrechtsgrundsätzen getätigt; Ausführungen zu Art. 103 II GG, obgleich keine Strafnorm vorliegt; breite Ausführungen zum Rechtsstaatsprinzip, obwohl speziellere Normen (wie z.B. Art. 80 GG) einschlägig sind.

Wichtig: Erfahrungsgemäß handelt es sich hierbei um Vermeidungsverhalten: Die eigentliche Problematik des Falls wird erkannt, erfordert jedoch eigenes Argumentationsgeschick. Dieses trauen sich Anfänger:innen oft nicht zu, weswegen weniger wichtige Probleme seitenweise durchgeprüft werden (Phänomen des „Seiten voll schreiben“).

Merke: Wenn das zu lösende Problem sich „unangenehm“ anfühlt, dann ist man gerade auf dem richtigen Weg!

4) Lösungstaktiken und Notfalllösung:

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Sollte die abgefragte Problematik kein Standardproblem darstellen, so bietet sich folgendes Vorgehen an. Dieses bietet sich auch dann an, wenn die Klausur zu scheitern droht und sich gar kein Einstieg finden lässt.

a) Auslegungsmethoden konsultieren

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Auch wenn das Verfassungsrecht, wie eben erläutert, eher unbestimmt ist, gilt auch hier, dass zunächst der Gesetzeswortlaut das Maß aller Dinge ist. Sofern der Wortlaut unergiebig ist (was oftmals der Fall sein dürfte), sind die weiteren bekannten Auslegungsmethoden heranzuziehen.

Die Darlegung und Anwendung von Auslegungsmethoden wirkt auf Prüflinge oftmals wie eine lästige Formalität und auch dilettantisch. Es bietet sich, an die Auslegungsmethoden bereits frühzeitig als mächtige Werkzeuge zur Falllösung zu betrachten und sie regelmäßig anzuwenden.

b) Entscheidungsmaßstab erläutern

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Das konkrete Ergebnis in der Bearbeitung ist oftmals nachrangig. Ähnlich wie bei einer Mathematik Klausur ist der „Rechenweg“, in unserem Fall also der Begründungsweg, von Interesse. Entsprechend sind immer Operatoren und Operationalisierungsmaßstäbe zu erläutern.

Folgende Fragen helfen bei der Erläuterung:

a) Was genau ist das Rechtsproblem hier?

b) Wie genau sieht eine allgemeine Regel aus, um dieses Rechtsproblem zu lösen?

c) Vorstellen dieser allgemeinen Regel (= Operator)

d) Anwenden des Operators (=Determinierung)

Selbst wenn der Operator nicht gut ist und das Ergebnis letztlich nicht überzeugt: Die Ausführungen zeigen dem:der Korrektor:in, dass der:die Bearbeiter:in die Methodik des rechtswissenschaftlichen Denkens verstanden hat. Das führt automatisch zu Punkten.

5) Notfalllösung erstellen und vom Ergebnis her denken

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Tritt der Fall ein, dass keine Lösung zu einem Problem bekannt ist oder ad hoc gefunden wird, so bietet sich eine Notfalllösung an.

Ein juristisches Problem kann, vom Ergebnis her gedacht, eigentlich nur auf drei Arten gelöst werden: Positiv, negativ oder differenziert positiv/negativ. Eine streitige Problematik ist damit immer in das eine oder andere Extrem aufzulösen oder aber es wird ein differenzierter Mittelweg vorgeschlagen. Es bietet sich an, vom Ergebnis her zu denken und dann eine Argumentation zu diesem Ergebnis aufzubauen.

Beispiel: Ob eine Verfassungsbeschwerde per E-Mail eingereicht werden kann ist umstritten. Es existieren, grob, nur drei mögliche Lösungen: Dies ist möglich, dies ist nicht möglich, dies ist nur unter bestimmten Bedingungen möglich. Für jeden Weg kann eine Argumentation überlegt werden. Damit wurden bereits tiefergreifende Ausführungen mittels rechtswissenschaftlicher Methodik getätigt, was die Korrektor:in bereits besänftigt.

6) Ruhe bewahren

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Sie werden nicht die einzige Person mit Problemen sein!

7) Ritualisieren der Bearbeitungsschritte

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Jede:r geht anders an eine Klausur heran. Es ist hilfreich sich einen Weg, bei welchem man sich

8) Vorschlag: Leitfaden Klausurlösung

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1) Ruhe bewahren!

2) Den Bearbeiter:innenvermerk zweimal lesen – Prozessualer Einstieg notwendig?

3) Den Sachverhalt lesen

4) Sachverhalt lesen und Assoziationen möglicher Probleme auf Papier bringen

5) Sachverhalt erneut lesen und, wenn nötig, skizzieren (Strichmännchen, Zeitstrahl etc., im Staatsorganisationsrecht eher selten notwendig)

6) Klausurlösung gliedern und auf der Gliederung bereits Schwerpunkte kennzeichnen

7) Prüfen, ob alle im Sachverhalt angesprochenen Probleme in der Lösungsskizze enthalten sind

8) Reinschrift anfertigen und dabei die Schwerpunktsetzung beachten

Hierbei gilt es die Zeit im Auge zu behalten.

Sofern Zulässigkeit und Begründetheit zu prüfen sind, kann man auch zunächst mit der Begründetheit auf einem separaten Zettel beginnen und die Klausurblätter später in die richtige Reihenfolge bringen.

III. Begründetheit bzw. inhaltliche Prüfung

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Die Begründetheit, bzw., die eigentliche Rechtmäßigkeitsprüfung, stellt regelmäßig den Schwerpunkt einer Staatsorganisationsrechtsklausur dar. Hier zeigen sich Aufbauprobleme insbesondere bei der Prüfung der Staatsstrukturprinzipien. Zur besseren Darstellung soll das hier vorgeschlagene Aufbauschema von einem Beispiel begleitet werden.

Fallbeispiel

Die Bundesregierung beschließt, dass die bereits geltende 5%-Hürde auf 10% angehoben wird. Begründet wird dies damit, dass nur so eine drohende Zersplitterung des Parlaments aufzuhalten sei. Das Gesetz wird in den Bundestag gebracht und mehrheitlich angenommen. Immer mehr kleinere Parteien stoßen ins Parlament vor und behindern die Arbeit der Regierung massiv. Ist die neue 10%-Hürde verfassungsgemäß? Formelle Gesichtspunkte des Gesetzgebungsverfahrens nicht zu prüfen.


1) Schritt: Benennung des einschlägigen Prinzips

Das gesamte Prüfungsprogramm läuft nach dem Prinzip „von allgemeinen Beschreibungen, zu speziellen Beschreibungen“. Entsprechend ist zunächst das einschlägige Prinzip möglichst allgemein und abstrakt zu beschreiben. Als Überschrift bietet sich damit der Name des Prinzips an.

Fallbeispiel

Die Anhebung der Hürde auf 10% ist dann verfassungsgemäß, wenn sie im Einklang mit dem Grundgesetz ist, mithin insbesondere kein Staatsstrukturprinzip verletzt. Vorliegend kommt ein Verstoß gegen Art. 38 I 1 GG in der Ausprägung der Wahlrechtsgleichheit in Betracht.

1) Wahlrechtsgleichheit: Die Wahlrechtsgleichheit des Art. 38 I 1 GG kennt insbesondere eine Zählwert- und Erfolgswertgleichheit. Die Zählwertgleichheit regelt, dass jede Stimme gleich viel zählt, während der Erfolgswert das Gewicht zwischen der Anzahl der Stimmen und der Macht im Parlament beziehungsweise die Anzahl der Mandate garantiert. Hierbei muss ebenfalls Gleichheit gewahrt sein, theoretisch also jede Stimme denselben Einfluss auf die Regierungskonstellation im Parlament haben. Vorliegend möchte die Regierung die Sperrklausel auf 10% anheben. Der Erfolgswert aller Parteien, die weniger als 10% der Stimmen bei einer Wahl erreichen, resultiert folglich auf 0. Das Prinzip der Erfolgswertgleichheit ist somit tangiert.


2) Schritt: Abstrakte Darstellung möglicher Einschränkungen und Grenzen dieses Prinzips

Staatsstrukturprinzipien gelten nicht uferlos und unterliegen immanenten Einschränkungen. Diese Einschränkungen sind hier darzulegen.

Fallbeispiel

Fraglich verweilt indessen, ob jede Erfolgswertungleichheit schlichtweg verboten ist. Legitimiert wird die Einschränkung auf eine bestimmte Prozentklausel durch zwingende Gründe, konkret durch die Funktionsfähigkeit des Parlaments. Insbesondere die Erfahrungen zu Zeiten der Weimarer Reichsverfassung, der eine solche Einschränkung durch Sperrklausel fremd war, zeigten, dass dies zur Entstehung von Splitterparteien führen kann, welche die Regierungsfähigkeit stark einschränkt.


3) Schritt: Hier findet die Anwendung auf den konkreten Sachverhalt statt, entsprechend die eigentliche Subsumtion. Als Überschrift bietet sich „Anwendung auf den Fall“ an. Hier sind die meisten Punkte zu holen. Es sollte besonders sauber subsumiert werden.

Keine Subsumtion: „Dies ist hier der Fall.“; „So liegt der Fall auch hier.“

Fallbeispiel

Die Bundesregierung argumentiert vorliegend, dass eine drohende Zersplitterung die Funktionsfähigkeit des Parlaments einschränke.

Ab hier ist nun ganz konkret auf den Sachverhalt einzugehen und unter den oben entwickelten Gesichtspunkten zu subsumieren.

Fallbeispiel

Aufgabe einer Demokratie ist jedoch auch gerade der Vorgang der gemeinsamen Konsensbildung im Zuge eines Diskurses und die damit einhergehende Repräsentation des gesamten deutschen Volkes. Es bedarf damit einer besonders dezidierten Begründung. Bloßes Schwierigkeiten oder behauptete Instabilitäten (die Bundesregierung hat die Existenz dieser vorliegend nicht näher begründet), sind damit zu pauschal.

Festzuhalten ist, dass eine angemessene Klausel zur Stabilisierung des Parlaments anzuwenden ist. Diese steht im Spannungsverhältnis zum Demokratieprinzip, Art. 20 II 1 GG. Ein schonender Ausgleich ist bereits bei 5% erreicht, bedenkt man, dass diese 5% eine Fraktion bilden können, wo der größte Teil der politischen Arbeit stattfindet, mithin von einer wirklichen Behinderung der politischen Arbeit nur in Ausnahmefällen auszugehen ist. Diese Behinderung steht der Opposition als ihr gutes Recht regelmäßig auch zu, stellt ergo keinen „Instabilitätsgrund“ dar. Die Anhebung der Klausel auf 10% erscheint insofern unangemessen, da ein zu großer Teil der Bevölkerung nicht repräsentiert wird.

IV. Typische Fehlerquellen (Überblick)

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Hier ein Überblick typischer Fehler:

– Zitieren Sie genau: Nicht: „Das BVerfG ist zuständig nach Art. 93 GG, 65 ff. BVerfGG“, sondern: „Das BVerfG ist zuständig nach Art. 93 I Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG“

– Lesen Sie den Text genau und auch langsam: Ließt man zu schnell, so wird „Bundestagspräsident:in“, im Kopf, schnell mal zu „Bundespräsident:in“. Das ist einfach ein unnötiger Fehler.

– Art. 79 III GG schützt nur die Grundsätze des Art. 1 und Art. 20 GG (nicht Art. 1 bis Art. 20 GG). Das bedeutet auch, dass die einzelnen Artikel theoretisch frei geändert werden können, sofern die Grundsätze nicht angegriffen werden. Ohne weiteres möglich sind z.B. auch Erweiterungen der Normen, welche final zur „Besserstellung“ führen.

– Art. 103 GG und Art. 20 GG beinhaltet jeweils unterschiedliche → Bestimmtheitsgebote: Art. 103 II GG gilt nur für das Strafrecht, Art. 20 III GG für alle anderen Normen. Niemals beide gleichzeitig zitieren!

Weiterführende Studienliteratur

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Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte

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  • Es gibt kein festes Prüfungsschema im Staatsorganisationsrecht.
  • Die Gutachtentechnik ist nicht zu vernachlässigen.
  • Der Bearbeiter:innenvermerk ist von großer Wichtigkeit im Staatsorgansrecht, insb. die Frage, ob ein prozessualer Einstieg vonnöten ist oder eine reine inhaltliche Prüfung verlangt wird.

Dieser Text wurde von der Initiative für eine offene Rechtswissenschaft OpenRewi erstellt. Wir setzen uns dafür ein, Open Educational Ressources für alle zugänglich zu machen. Folge uns bei Bluesky oder X oder trage dich auf unseren Newsletter ein.

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Inhaltsverzeichnis des Buches

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1. Kapitel – Die Grundlagen des Staatsorganisationsrechts - Verfassung und Staat als zentrale Anknüpfungspunkte

2. Kapitel – Staatsstrukturprinzipien – Die Fundamentalnormen des Staates

3. Kapitel – Staatszielbestimmungen

4. Kapitel – Verfassungsorgane

5. Kapitel – Kompetenz und Verfahren

6. Kapitel – Verfassungsgerichtsbarkeit

7. Kapitel – Methodik der Fallbearbeitung im Staatsorganisationsrecht

Fußnoten

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  1. Valerius, Einführung in den Gutachtenstil, S. 179.