Bund-Länder-Streit

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Autor:innen: Johannes Siegel

Notwendiges Vorwissen: Verfassungsgerichtsbarkeit, sowie Organstreitverfahren

Lernziel: Bund-Länder-Streit lernen und prüfen können

Der Bund-Länder-Streit ist in Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG, §§ 13 Nr. 7, 68 ff. BVerfGG normiert. Er ähnelt in vielerlei Hinsicht dem Organstreitverfahren. Es handelt sich ebenfalls um ein kontradiktorisches Verfahren, jedoch diesmal zwischen zwei unterschiedlichen Körperschaften, dem Bund und den Ländern,[1] und nicht wie beim Organstreitverfahren zwei Organen einer Körperschaft. Diese strukturellen Ähnlichkeiten spiegeln sich auch rechtlich wider, indem § 69 BVerfGG für den Bund-Länder-Streit auf entsprechend Anwendung der Normen des Organstreitverfahrens verweist. In der Rechtspraxis spielt der Bund-Länder-Streit nur eine untergeordnete Rolle und kommt daher selten zur Anwendung.[2] Das hat vor allem damit zu tun, dass sich bei Streitigkeiten zur Gesetzgebungskompetenz die abstrakte Normenkontrolle im Gegensatz zum Bund-Länder-Streit besser anbietet. Sie hat zum einen kein Fristerfordernis und zum anderen gem. § 78 S. 1 BVerfGG die Möglichkeit einer Nichtigkeitserklärung im Tenor der Entscheidung. Beim Bund-Länder-Streit erfolgt, wie schon beim Organstreitverfahren, lediglich gem. § 67 S. 1 BVerfGG eine Feststellung.

Examenswissen: Im Rahmen der Verwaltungskompetenzen und der Auftragsverwaltung gem. Art. 85 GG behält der Bund-Länder-Streit weiterhin Bedeutung. So kam es insbesondere im Zusammenhang mit Weisungen durch den Bund zu Verfahren.[3]

A. Prüfungsschema der Zulässigkeit[Bearbeiten]

Formulierungsbeispiel Obersatz.
„Der Antrag müsste zulässig sein.“

Klausurtaktik

Für die Zulässigkeitsprüfung muss neben dem GG auch das BVerfGG genutzt werden.

I. Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts[Bearbeiten]

Die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts für den Bund-Länder-Streit ergibt sich aus Art. 93 I Nr. 3 GG und § 13 Nr. 7 BVerfGG. An dieser Stelle muss man sich bereits darüber klar sein, welches Verfahren einschlägig ist. Dabei sind alle Verfahren nach dem sog. Enumerativsystem geregelt (Enumeration = Aufzählung). Die Zuständigkeit des BVerfG ergibt sich nur, wenn die Streitigkeit in § 13 BVerfGG aufgelistet ist und nicht schon dann, wenn die Streitigkeit Verfassungsrecht betrifft.

Formulierungsbeispiel Obersatz
„Das Bundesverfassungsgericht ist nach Art. 93 I Nr. 3 GG und § 13 Nr. 7 BVerfGG für den Bund-Länder-Streit zuständig.“

Klausurtaktik

Bei der Zuständigkeitsprüfung wird es regelmäßig keine Probleme geben. Bitte kurz fassen.

II. Antragssteller:in und Antragsegner:in, § 68 BVerfGG[Bearbeiten]

§ 68 BVerfGG regelt ausdrücklich, dass für den Bund lediglich die Bundesregierung und für ein Land lediglich die Landesregierung Antragsteller:in oder Antragsgegner:in sein kann. Daraus folgt auch, dass die jeweiligen Parlamente nicht für ihr Land Antragsbefugt sind.[4]

Beispiel zu Landesparlament als Antragstellerin: Das BVerfG erklärte einen Bund-Länder-Streit aus Schleswig-Holstein zur Schuldenbremse für unzulässig, da er durch das Landesparlament und nicht die Landesregierung, erhoben wurde.[5] Es stellte insbesondere fest, dass eine Beschränkung der Antragsstellung auf die Landesregierung mit der Garantie des effektiven Rechtsschutzes, dem Rechtsstaatsprinzip und dem Grundsatz der Bundesstaatlichkeit vereinbar sei.[6] Im Falle eines Konflikts zwischen dem Landesparlament und der Landesregierung stehe dem Parlament auch die Möglichkeit einer Organklage (Gem. des jeweiligen Landesrechts und nicht das Organstreitverfahren nach Art. 93 I Nr. 1 GG. Darüber hinaus subsidiär gem. Art. 93 I Nr. 4 GG.) gegen die Regierung auf Durchführung des Bund-Länder-Streits offen.[7]

III. Antragsgegenstand, §§ 69, 64 I BVerfGG[Bearbeiten]

Für den Antragsegenstand verweist das BVerfGG gem. §§ 69, 64 I BVerfGG auf das Organstreitverfahren.

Klausurtaktik

Durch den Verweis in § 69 BVerfGG ist die Norm auch stets mitzuzitieren, da sie erst erlaubt die Normen des Organstreits auch für den Bund-Länder-Streit zu verwenden.

Demnach muss gem. §§ 69, 64 I BVerfGG eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners vorliegen. Für die Maßnahme oder das Unterlassen bestehen gewisse Anforderungen, sodass nicht jede Maßnahme oder jedes Unterlassen taugliches Antragsgegenstand ist. Zum einen muss die Maßnahme oder das Unterlassen die verfassungsrechtlichen Rechte der Antragssteller:in verletzen oder unmittelbar gefährden und zum anderen muss sie rechtserheblich sein.[8]

Beispiel eines Antragsgegenstandes: Der Bund erhält Einnahmen, indem er Funkfrequenzen versteigert. Die Länder sind der Auffassung, dass der Bund diese Einnahmen mit ihnen zu teilen habe. Der Bund behält die Einnahmen jedoch für sich allein und unterlässt es den Ländern einen Anteil auszuzahlen.[9]

IV. Antragsbefugnis, §§ 69, 64 I BVerfGG[Bearbeiten]

Gemäß § 64 I BVerfGG muss eine Verletzung oder unmittelbaren Gefährdung von Rechten geltend gemacht werden. Dabei genügt lediglich die Möglichkeit einer Verletzung oder unmittelbaren Gefährdung, sodass diese nicht evident ausgeschlossen werden kann.[10] Taugliche Rechte sind dabei lediglich solche des Landes. Rechte der Regierung können dagegen nicht vorgetragen werden, da sie das Land lediglich im Verfahren vertritt. Ebenso können Rechte des Bundesrates nicht vorgetragen werden. Zwar sind die Länder in ihm vertreten, jedoch handelt es sich beim Bundesrat um ein Organ des Bundes, weswegen für ihn gem. § 63 BVerfGG lediglich der Organstreit offensteht.[11]

V. Form und Frist, §§ 23 I, 69, 64 III BVerfGG[Bearbeiten]

Für die Form und die Frist gilt das gleiche, wie beim Organstreitverfahren, insbesondere die Frist von 6 Monaten ab Kenntnis der Maßnahme gem. §§ 69, 64 III BVerfGG.

VI. Rechtsschutzbedürfnis[Bearbeiten]

Das Rechtsschutzbedürfnis stellt in der Klausur regelmäßig kein Problem dar, da es durch die Möglichkeit der Rechtsverletzung bereits besteht.[12]

VII. Ergebnis[Bearbeiten]

Formulierungsbeispiel Obersatz
„Der Bund-Länder-Streit ist mithin zulässig.“

B. Typischer Aufbau der Begründetheit[Bearbeiten]

Wie bereits zum Organstreitverfahren dargelegt, besteht kein allgemeingültiger Aufbau zur Begründetheit des Bund-Länder-Streits. [13] Eine regelmäßige Konstellation ist die, dass eine verfassungsrechtliche Rechtsverletzung vorgetragen wird, die es dann zu prüfen gilt.

Formulierungsbeispiel Obersatz
„Der Antrag ist begründet, soweit die Handlung oder Unterlassung des Antragsgegners den Antragsteller in seinen verfassungsrechtlichen Rechten verletzt, vgl. §§ 69, 67 BVerfGG.“

Klausurtaktik

Bitte "soweit" bzw "insoweit" nutzen (und nicht "wenn") - denn die Handlung oder das Unterlassung kann auch nur teilweise die Antragsteller:in in ihren verfassungsrechtlichen Rechten verletzten.

Der Schwerpunkt liegt dabei in der Darlegung und Prüfung des konkreten Rechts.

Beispiel zur Prüfung: Aufbauend auf dem Beispiel vom Antragsgegenstand: Der Antrag ist begründet, wenn der Bund die Pflicht hat, den Ländern einen Anteil zu zahlen. Dafür muss

  1. dargelegt werden, wann ein solcher Anspruch besteht, beispielweise sind gem. Art. 106 III GG gewisse Steuereinnahmen des Bundes aufzuteilen.
  2. Geprüft werden, ob vorliegend die Voraussetzungen des Anspruchs erfüllt sind, also ob im Sachverhalt die Einnahmen des Bundes solche aufteilungspflichtigen Steuereinnahmen darstellen.[14]

Das Ergebnis ist stets zum Abschluss der Prüfung und als Antwort auf den Obersatz anzugeben.

Formulierungsbeispiel Obersatz
„Die Antragsteller:in ist (teilweise) in ihren Rechten aus Art. ... GG verletzt. Insoweit ist der Bund-Länder-Streit begründet.“

Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte[Bearbeiten]

  • Der Bund-Länder-Streit ist dem Organstreitverfahren sehr ähnlich und verweist über § 69 BVerfGG auf dessen Normen.
  • Er behandelt Streit zwischen dem Bund und einem oder mehreren Ländern.
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Inhaltsverzeichnis des Buches[Bearbeiten]

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1. Kapitel – Die Grundlagen des Staatsorganisationsrechts - Verfassung und Staat als zentrale Anknüpfungspunkte

2. Kapitel – Staatsstrukturprinzipien – Die Fundamentalnormen des Staates

3. Kapitel – Staatszielbestimmungen

4. Kapitel – Verfassungsorgane

5. Kapitel – Kompetenz und Verfahren

6. Kapitel – Verfassungsgerichtsbarkeit

7. Kapitel – Methodik der Fallbearbeitung im Staatsorganisationsrecht

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. Kämmerer, Staatsorganisationsrecht, 3. Aufl. 2017, Rn. 300.
  2. vgl. Maurer, Staatsrecht I, 6. Aufl. 2010, § 20 Rn. 59; Ipsen, Staatsrecht, 30. Aufl. 2018, Rn. 901; Morlock/Michael, Staatsorganisationsrecht, 4. Aufl. 2019, Rn. 1048.
  3. Beispielsweise die beiden Verfahren zu Atomkraftwerken, BVerfG, Urt. v. 22.5.1990, Az: 2 BvG 1/88=BVerfGE 81,310-347 - Kalkar II und BVerfG, Urt. v. 19.2.2002, Az: 2 BvG 2/00 = BVerfGE 104, 249-287; sowie der Entsorgung von radioaktiven Abfällen, BVerfG, Beschl v. 5.12.2001, Az: 2 BvG 1/00 = BVerfGE 104, 238-249.
  4. Ipsen, Staatsrecht, 30. Aufl. 2018, Rn. 898.
  5. BVerfG, Beschl. v. 19.8.2011, Az: 2 BvG 1/10, Rn. 34= BVerfGE 129, 108-124 Rn. 34.
  6. BVerfG, Beschl. v. 19.8.2011, Az: 2 BvG 1/10, Rn. 35= BVerfGE 129, 108-124 Rn. 35.
  7. BVerfG, Beschl. v. 19.8.2011, Az: 2 BvG 1/10, Rn. 38= BVerfGE 129, 108-124 Rn. 38.
  8. Siehe dazu auch die Ausführungen zum Organstreitverfahren entsprechend.
  9. Stark verkürzt entsprechend des erfolglosen Bund-Länder-Streits zur UMTS-Versteigerung, vgl. BVerfG, Urt. v. 28.3.2002, Az: 2 BvG 1/01, 2 BvG 2/01= BVerfGE 105, 185 (190 f.).
  10. BVerfG, Beschl. v. 21.5.1996, Az.: 2 BvE 1/95 =BVerfGE 94, 351 (362 f.) - Abgeordnetenprüfung; BVerfG, Beschl. v. 28.4.2005, Az.: 2 BvE 1/05, Rn. 8= BVerfGE 112, 363-368.
  11. Kämmerer, Staatsorganisationsrecht, 3. Aufl. 2017, Rn. 303.
  12. Maurer, Staatsrecht I, 6. Aufl. 2010, § 20 Rn. 50.
  13. Siehe deshalb entsprechend die Ausführungen beim Organstreit.
  14. Erneut stark verkürzt entsprechend des erfolglosen Bund-Länder-Streits zur UMTS-Versteigerung, vgl. BVerfG, Urt. v. 28.3.2002, Az: 2 BvG 1/01, 2 BvG 2/01= BVerfGE 105, 185 (194 f.).