Bundesrat

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Autor:innen: Louisa Linke; Jan-Louis Wiedmann

Notwendiges Vorwissen: Bundestag

Lernziel: die Stellung des Bundesrates im Kompetenzgefüge verstehen und die Zusammensetzung sowie die Stimmabgabe im Bundesrat erlernen

Die Funktion des Bundesrates wird im Grundgesetz durch Art. 50 GG beschrieben. Demnach wirken durch den Bundesrat die Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes und in Angelegenheiten der Europäischen Union mit, wodurch die Länderinteressen auf Bundesebene vertreten werden. Der Bundesrat stellt ein föderativ-demokratisches Verfassungsorgan dar. Er ist ein oberstes Verfassungsorgan (beziehungsweise Staatsorgan) des Bundes (im Sinne des Art. 93 I Nr. 1 GG) und nicht der Länder.[1] Die Länder wirken dabei vermittelnd durch die Mitglieder des Bundesrates an den Gesetzgebungsverfahren mit.[2] Aufgrund der Kompetenzzuweisungen innerhalb des Grundgesetzes wird auch von einem „reaktiven“ Organ gesprochen, dem eine Kontroll- und Interventionsfunktion kommt. Eine vorrangig gestalterische Funktion wird dem Bundesrat dabei abgesprochen.[3]

Die fehlende gestalterische Funktion ist auch aus Art. 77 I 1 GG abzuleiten, wonach der Bundestag die Bundesgesetze beschließt. Dennoch ist der Bundesrat aufgrund seiner Befugnisse als Legislativorgan anzusehen.

Die grundgesetzlichen Regelungen zum Bundesrat präzisieren das Bundesstaats- sowie das Demokratieprinzip. Letzteres zeigt sich insbesondere darin, dass das Landesvolk zumindest mittelbar durch die von den Landtagen legitimierte Landesregierung Einfluss auf den gesamtstaatlichen Willen erhält. Außerdem entspricht es dem Gewaltenteilungsprinzip, denn die staatliche Macht wird vertikal auf die Länder und den Bund verteilt.

Der Bundesrat hat bei seinen Entscheidungen sowohl die Länderinteressen (Mitwirkung der Länder) als auch die Bundesinteressen (oberstes Verfassungsorgan des Bundes) zu berücksichtigen.

Für die Klausuren ist vor allem die Stimmabgabe im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens, insbesondere das Problem der uneinheitlichen Stimmabgabe relevant. Außerdem kann die ordnungsgemäße Durchführung des Gesetzgebungsverfahren (respektive die Beteiligung des Bundesrates) Gegenstand einer Klausur werden.

A. Zusammensetzung[Bearbeiten]

Als wesentliche Norm der Zusammensetzung ist Art. 51 GG heranzuziehen.

I. Mitglieder der Regierungen der Länder[Bearbeiten]

Gemäß Art. 51 I 1 GG besteht der Bundesrat aus Mitgliedern der Regierungen der Länder, die sie bestellen und abberufen. Sie können gem. Art. 51 I 2 GG durch andere Mitglieder ihrer Regierungen vertreten werden. Wer zu den Mitgliedern der Landesregierung gehört, richtet sich nach Landesverfassungsrecht. Demnach ergeben sich für eine Mitgliedschaft folgende Voraussetzungen: Die Person muss Mitglied der Landesregierung sein und von der Landesregierung als Mitglied des Bundesrates bestellt worden sein. Die Bestellung stellt sich dabei als eine Pflicht der Landesregierung dar, die im Wege eines Bund-Länder-Streits (Art. 93 I Nr. 3 GG) über den Bundeszwang (Art. 37 GG) durchgesetzt werden kann. Die Mitgliedschaft endet automatisch mit dem Ausscheiden aus der Landesregierung, dies kann etwa infolge einer Entlassung, dem Rücktritt, dem Verzicht oder dem Tod der Fall sein.[4]

Die Rechtsstellung der Mitglieder ergibt sich zum Teil aus der Geschäftsordnung des Bundesrates (z.B. §§ 19, 40 GOBR), außerdem haben sie gem. Art. 43 II GG Zutritt zu den Sitzungen des Bundestages und seiner Ausschüsse und müssen dort jederzeit gehört werden.

Stimmenverteilung Bundesrat

Jedes Land kann so viele Mitglieder entsenden, wie es Stimmen hat (vgl. Art. 51 III 1 GG). Dabei hat jedes Land mindestens drei Stimmen, Länder mit mehr als zwei Millionen Einwohner:innen haben vier, Länder mit mehr als sechs Millionen Einwohner:innen fünf, Länder mit mehr als sieben Millionen Einwohner:innen sechs Stimmen, vgl. Art. 51 II 1 GG (Stimmengewichtung). Unter Einwohner:innen sind dabei natürliche Personen zu verstehen, die ihren nicht nur kurzfristigen Aufenthalt in diesem Bundesland haben.[5] Aktuell haben Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen demnach sechs Stimmen, Hessen hat fünf Stimmen, Berlin, Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen haben vier Stimmen und Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und das Saarland haben drei Stimmen. Damit hat der Bundesrat 69 Stimmen, sodass der Bundesrat folglich 69 ordentliche Mitglieder hat. Die Landesregierung muss dabei mindestens ein Mitglied entsenden.[6]

II. Kontinuität[Bearbeiten]

Anders als der Bundestag wurde der Bundesrat im Grundgesetz als ein permanentes oder ständiges Verfassungsorgan ausgestaltet. Eine dem Bundestag entsprechende Legislaturperiode von vier Jahren gibt es nicht. Dementsprechend findet auch der Grundsatz der Diskontinuität keine Anwendung. Allerdings wechseln die Mitglieder stetig, da sie gem. Art. 51 I 1 GG von den Landesregierungen bestellt und abberufen werden. Dies wird insbesondere nach einer Landtagswahl der Fall sein.

B. Aufgaben/Pflichten[Bearbeiten]

Die Aufgaben und Pflichten des Bundesrates gestalten sich vielfältig:

I. Mitwirkung an den Gesetzgebungsverfahren[Bearbeiten]

Die wohl wichtigste Aufgabe des Bundesrates[7] ist in der Mitwirkung an den Gesetzgebungsverfahren zu sehen, vgl. Art. 76 ff., 79 II, 81, 110 III GG. Sie ist Ausdruck des föderalen Prinzips. Die meisten Bundesgesetze werden durch die Länder ausgeführt (Art. 83 f. GG), wobei diese auch grundsätzlich die hierfür anfallenden Kosten zu tragen haben (Art. 104a I GG), sodass eine Beteiligung interessengerecht ist.

Der Bundesrat stellt dabei aber keine „zweite Kammer“ dar, die neben der „ersten Kammer“ des Bundestages am Gesetzgebungsverfahren in gleicher Weise beteiligt ist.[8] Vielmehr werden dem Bundesrat spezifische Rechte im Gesetzgebungsverfahren zugewiesen, wie etwa das Initiativrecht (Art. 76 I GG), das Recht zur Stellungnahme zu Vorlagen der Bundesregierung (Art. 76 II 1, 110 III GG) oder die Möglichkeit eines Einspruches bei Einspruchsgesetzen (Art. 77 III GG) beziehungsweise bei Zustimmungsgesetzen die Zustimmung (Art. 77 IIa GG). Außerdem kann er die Einberufung eines Vermittlungsausschusses verlangen, der aus Mitgliedern des Bundesrates und des Bundestages besteht (vgl. Art. 77 II 1 GG).

Wiederholung

Einspruchsgesetz bedeutet, dass der Bundesrat mit der Mehrheit seiner Stimmen Einspruch gegen ein Gesetz einlegen kann, Art. 77 III GG, wobei dieser Einspruch vom Bundestag überstimmt werden kann.

Bei Zustimmungsgesetzen bedarf es für ein Zustandekommen des Gesetzes der Zustimmung des Bundesrates, Art. 77 IIa GG, ansonsten kommt das Gesetz nicht zustande. Die Zustimmungsbedürftigkeit eines Gesetzes ist im Grundgesetz ausdrücklich (und abschließend) geregelt. Fehlt es an einer entsprechenden Regelung, handelt es sich um ein Einspruchsgesetz.

II. Mitwirkung an der Verwaltung des Bundes[Bearbeiten]

Außerdem wirkt der Bundesrat gem. Art. 50 GG an der Verwaltung des Bundes mit. Mit dem Begriff der „Verwaltung“ ist dasselbe gemeint, wie mit dem geläufigeren Begriff der „vollziehenden Gewalt“. Im Rahmen der Mitwirkung an der Verwaltung werden etwa Zustimmungsrechte zum Erlass von Rechtsverordnungen (Art. 80 II GG), die Erarbeitung von Vorlagen für Rechtsverordnungen (Art. 80 III GG), die Mitwirkung bei der Bundesaufsicht oder die Kontrolle der Bundesregierung angesprochen. Außerdem werden die Hälfte der Richter:innen des BVerfG durch den Bundesrat gewählt, Art. 94 I 2 GG.

Der Bundesrat hat gegenüber der Bundesregierung in gewissem Maße eine Kontrollfunktion. So kommt dem Bundesrat gegenüber der Bundesregierung ein Zitier- und Informationsrecht über die Führung der Geschäfte gem. Art. 53 GG zu.

Um die Kontrollfunktion des Bundesrates ausüben zu können, stehen dem Bundesrat Antrags- und Beteiligungsrechte in Verfahren vor dem BVerfG zu.

III. Mitwirkung in Angelegenheiten der Europäischen Union[Bearbeiten]

Die Mitwirkung in Angelegenheiten der EU (vgl. Art. 50 GG) umfasst etwa eine Wahrnehmung der Integrationsverantwortung des Bundes.[9]

IV. Rechtsschutz[Bearbeiten]

Der Bundesrat ist antragsberechtigt im Organstreitverfahren (Art. 93 I Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG), in Verfahren zur Feststellung der Erforderlichkeit nach Art. 72 II GG (Art. 93 I Nr. 2a, II GG, §§ 13 Nr. 6a, 76 ff. BVerfGG), im Verfahren der Präsidentenanklage (Art. 61 I GG, §§ 13 Nr. 4, 49 ff. BVerfGG) und im Parteiverbotsverfahren (Art. 21 II GG, §§ 13 Nr. 2, 43 ff. BVerfGG).

Auch die einzelnen Mitglieder sind im Organstreitverfahren antragsberechtigt, wenn sie ihre verfassungsmäßigen Rechte geltend machen wollen (Art. 93 I Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG). In Betracht kommt z.B. ihr Anwesenheits- oder Rederecht im Bundestag und in den Ausschüssen (Art. 43 II GG).

C. Stimmabgabe[Bearbeiten]

I. Stimmabgabe durch die Mitglieder[Bearbeiten]

Insgesamt hat der Bundesrat 69 Stimmen. Die Stimmabgabe eines Landes erfolgt durch die Bundesratsmitglieder, wobei die Stimmen durch eine:n physisch anwesende:n Vertreter:in des Landes (Mitglied) (meist Stimmführer:in) abgegeben werden. Der:die Stimmführer:in wird durch die Vertreter:innen oder durch die Landesregierung bestimmt.[10]

Ausreichend ist es, sobald ein Mitglied oder sein:ihre Vertreter:in anwesend ist. Demnach müssen für eine ordentliche Stimmabgabe (aller Stimmen eines Landes) nicht alle Mitglieder des Landes anwesend sein.[11]

Der Bundesrat ist beschlussfähig, sofern die Mehrheit seiner Stimmen vertreten ist. Bei Beschlussunfähigkeit hat der Präsident gem. § 28 II GOBR die Sitzung aufzuheben und den Zeitpunkt der nächsten Sitzung bekanntzugeben.

Gemäß Art. 52 III 1 GG fasst der Bundesrat seine Beschlüsse mit mindestens der Mehrheit seiner Stimmen. Damit ein Beschluss gefasst ist, bedarf es daher der absoluten Mehrheit, folglich 35 Stimmen. Für eine zuweilen notwendige Zweidrittelmehrheit bedarf es 46 Stimmen (Art. 23 I 3, 63 I 3, 79 II GG).

Zu beachten ist, dass gem. Art. 51 III 2 GG die Stimmen eines Landes nur einheitlich und nur durch physisch anwesende Mitglieder oder deren Vertreter:in abgegeben werden können.

II. Weisungsgebundenheit bei der Stimmabgabe[Bearbeiten]

Gegenüber den Mitgliedern des Bundesrates besteht seitens der Landesregierungen (Kollegialorgan) ein Weisungsrecht im Innenverhältnis[12], sodass die Mitglieder des Bundesrates bei ihren Stimmabgaben an Weisungen gebunden sind. Im Gegensatz zu den Abgeordneten des Bundestages können sie sich folglich nicht auf das Recht des freien Mandates berufen (Art. 38 I 2 GG). Die Stimmenabgabe ist aber auch bei einer Stimmabgabe entgegen der Weisung gültig. Die Weisungsbefugnis entfaltet nämlich nur im Innenverhältnis Wirkung, um Rechtssicherheit in der Abstimmung zu garantieren. Allerdings besteht dann die Gefahr, dass das Mitglied aus dem Bundesrat abberufen wird, vgl. Art. 51 I 1 GG.

III. Einheitliche Stimmabgabe[Bearbeiten]

Gem. Art. 51 III 2 GG können die Stimmen eines Landes nur einheitlich abgegeben werden. Dies hat den Hintergrund, dass die Mitglieder des Bundesrates ihr Bundesland einheitlich repräsentieren sollen.[13] Politische Konflikte auf Ebene des Landes sollen im Vorfeld der Stimmabgabe geklärt werden. Es stellt sich die Frage, welche Folgen es hat, wenn die Stimmen nicht einheitlich abgegeben werden.

Beispiel: Relevant wurde diese Frage im Jahr 2002. Damals hing das Zustandekommen des „Zuwanderungsgesetzes“ von der Zustimmung des Bundesrates ab. Ausschlaggebend war die Stimme des Landes Brandenburg. Doch die Vertreter dieses Landes konnten sich nicht einigen. Während der Innenminister (Schönbohm, CDU) das Gesetz ablehnte, stimmte der Ministerpräsident (Stolpe, SPD) für das Gesetz. Auf erneute Nachfrage des Bundesratspräsidenten (Wowereit, SPD) bekräftigte Ministerpräsident Stolpe seine Ja-Stimme. Innenminister Schönbohm, der nicht erneut gefragt worden war, rief dazwischen: „Sie kennen meine Auffassung, Herr Präsident!“.[14] Das BVerfG hatte daher zu entscheiden, ob das Land Brandenburg zugestimmt hatte, oder nicht.[15] Hiervon hing ab, ob das Zuwanderungsgesetz wirksam war oder nicht. Der Fall zeigt, dass selbst vermeintlich kleinteilige Verfahrensfragen größte Auswirkungen auf die Rechtswirklichkeit haben können.

Ursprünglich wurde im Schrifttum der Ansatz vertreten, im Streitfall sei die Stimme des Regierungschefs ausschlaggebend.[16] Hiernach hätte die Stimme des Ministerpräsidenten Stolpe den Ausschlag gegeben. Dieser Ansatz lässt sich aber mit dem Wortlaut des Art. 51 GG nicht vereinen. Ihm steht zudem die Stellung der Bundesratsmitglieder als gleichberechtigte Vertreter:innen ihres Bundeslands entgegen. Diese Auffassung wird heute daher kaum noch vertreten.[17]

Vielmehr wird überwiegend vertreten, dass uneinheitliche Stimmabgaben ungültig seien.[18] Die Stimmen des Landes gelten also als abgegeben, werden allerdings bei der Auswertung der Stimmen nicht berücksichtigt. Angesichts des Wortlauts des Art. 51 III GG („können“) ist aber auch ein anderer Schluss denkbar: Wenn die Stimmen eines Landes nur einheitlich abgegeben werden können, ließe sich die uneinheitliche Stimmabgabe auch als nicht-abgegebene Stimme werten (Unwirksamkeit der uneinheitlichen Stimmen). [19]

Ob man die uneinheitlich abgegebenen Stimmen als ungültig (erste Ansicht) oder unwirksam (zweite Ansicht) behandelt, hat in den meisten Fällen keine Relevanz. Im oben genannten Beispielsfall (Zustimmungsgesetz) kommen die beiden Ansichten aber doch zu unterschiedlichen Ergebnissen. Hier hatte der Bundesratspräsident nach der uneinheitlichen Stimmabgabe nämlich noch einmal nachgefragt und vom Ministerpräsidenten Stolpe die Antwort „Ja“ erhalten. Wertet man die ursprünglich uneinheitliche Stimmabgabe als unwirksam („Nicht-Stimme“), so handelt es sich bei der Stimme des Ministerpräsidenten um die erste Stimmabgabe des Landes Brandenburg. Dieser wurde durch den Zwischenruf des Innenministers („Sie kennen meine Auffassung“) auch nicht rechtsförmig widersprochen, sodass letztlich die Ja-Stimme des Landes Brandenburg stehen bliebe.[20]

Diesen Weg hat das BVerfG aber nicht eingeschlagen. Es hat die uneinheitliche Stimmabgabe als bewusst ungültige Stimme des Landes Brandenburg gewertet. Das Land Brandenburg habe von seinem Stimmrecht daher Gebrauch gemacht, wenngleich die Stimmen im Ergebnis nicht zu berücksichtigen seien. Die erneute Nachfrage des Bundesratspräsidenten Wowereit (SPD), die sich zudem nur an den Ministerpräsidenten (ebenfalls SPD), nicht aber an den Innenminister (CDU) richtete, sei daher ein verfassungswidriger Eingriff in den Abstimmungsvorgang gewesen. Daher sei das weitere Geschehen (insbesondere die zweite Ja-Stimme des Ministerpräsidenten) nicht zu berücksichtigen.

Weiterführendes Wissen

Diesen Ansatz haben die Richterinnen Lübbe-Wolff und Osterloh in ihrem Sondervotum[21] zu der Entscheidung kritisiert. Das Sondervotum ist ein Lehrstück für präzise juristische Argumentation und wird daher zur Lektüre empfohlen. Die Richterinnen weisen auf die einhellig angenommene Möglichkeit hin, eine ursprünglich uneinheitliche Stimmabgabe zu korrigieren. Diese Möglichkeit könne nicht deshalb verloren gehen, weil sich der Bundesratspräsident falsch verhalte. Sonst würde das Land Brandenburg, das ein Interesse daran hat, seine Stimme einzubringen, für das Fehlverhalten eines Dritten pönalisiert. Zum Verlust der Stimmbefugnis könne aber nur ein eigenes Fehlverhalten führen. Daher hätte richtigerweise auch das BVerfG das weitere Geschehen berücksichtigen müssen.

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D. Organe des Bundesrates[Bearbeiten]

Der Bundesrat hat eine:n Bundesratspräsident:in sowie zwei Vizepräsident:innen (vgl. Art. 52 I GG, § 5 I GOBR), die das Präsidium bilden (vgl. § 8 I GOBR). Gemäß Art. 52 I GG wählt der Bundesrat seinen:ihre Präsdent:in für ein Jahr (gem. § 3 GOBR jeweils v. 1.11. bis zum 31.10.). Wenngleich eine Wiederwahl zulässig wäre, wird von dieser Möglichkeit kein Gebrauch gemacht. Denn eine Verienbarung unter den Ministerpräsident:innen besagt, dass der:die Bundesratspräsident:in jährlich wechselt, wobei sich die Reihenfolge der Wahl allein an der Bevölkerungszahl der Länder bestimmt. Die Aufgaben und Pflichten finden sich zum Teil im Grundgesetz (vgl. Art. 52 II 1 GG Einberufung der Sitzungen; Art. 57 GG Vertretung des:der Bundespräsident:in) und in der Geschäftsordnung des Bundesrates ( § 6 1 GOBR Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in allen Angelegenheiten des Bundesrates).

Darüber hinaus kann der Bundesrat Ausschüsse (ständige Ausschüsse und Ausschüsse für besondere Angelegenheiten) bilden, die als Hilfsorgane die Entscheidungen des Bundesrates vorbereiten.

Weiterführende Studienliteratur[Bearbeiten]

  • Hebeler, Verfassungsrechtliche Stellung und Funktion des Bundesrates, JA 2003, 522.
  • Blanke, Der Bundesrat im Verfassungsgefüge des Grundgesetzes, Jura 1995, 57.
  • Voßkuhle/Kaufhold, Grundwissen – Öffentliches Recht: Der Bundesrat, JuS 2020, 1160.

Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte[Bearbeiten]

  • Der Bundesrat ist ein oberstes Verfassungsorgan des Bundes und nicht der Länder, wobei die Länder vermittelnd durch die Mitglieder des Bundesrates an den Gesetzgebungsverfahren mitwirken. Es handelt sich um ein permanentes Verfassungsorgan (keine Legislaturperioden).
  • Gemäß Art. 51 I 1 GG besteht der Bundesrat aus Mitgliedern der Regierungen der Länder, die sie bestellen und abberufen. Sie können gem. Art. 51 I 2 GG durch andere Mitglieder ihrer Regierungen vertreten werden.
  • Der Bundesrat hat derzeit 69 Stimmen. Die Stimmenverteilung ergibt sich aus Art. 51 II 1 GG. Jedes Land kann so viele Mitglieder entsenden, wie es Stimmen hat (vgl. Art. 51 III 1 GG).
  • Die wohl wichtigste Aufgabe des Bundesrates ist in der Mitwirkung an den Gesetzgebungsverfahren zu sehen, vgl. Art. 76 ff., 79 II, 81, 110 III GG.
  • Gemäß Art. 52 III 1 GG fasst der Bundesrat seine Beschlüsse mit mindestens der Mehrheit seiner Stimmen.
  • Zu beachten ist, dass gem. Art. 51 III 2 GG die Stimmen eines Landes nur einheitlich und nur durch anwesende Mitglieder oder deren Vertreter:innen abgegeben werden können. Was aber passiert, wenn die Vertreter:innen eines Landes doch uneinheitlich stimmen, ist umstritten. Nach Ansicht des BVerfG muss dies zur Ungültigkeit der Stimmen führen.

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Inhaltsverzeichnis des Buches[Bearbeiten]

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1. Kapitel – Die Grundlagen des Staatsorganisationsrechts - Verfassung und Staat als zentrale Anknüpfungspunkte

2. Kapitel – Staatsstrukturprinzipien – Die Fundamentalnormen des Staates

3. Kapitel – Staatszielbestimmungen

4. Kapitel – Verfassungsorgane

5. Kapitel – Kompetenz und Verfahren

6. Kapitel – Verfassungsgerichtsbarkeit

7. Kapitel – Methodik der Fallbearbeitung im Staatsorganisationsrecht

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. BVerfG, Urt. v. 18.12.2002, Az.: 2 BvF 1/02, Rn. 136 = NJW 2003, 339 (339).
  2. BVerfG, Urt. v. 18.12.2002, Az.: 2 BvF 1/02, Rn. 136 = NJW 2003, 339 (339).
  3. Dörr, in: BeckOK GG, 48. Ed. 8.2021, Art. 50 Vorbemerkung.
  4. Dörr, in: BeckOK GG, 48. Ed. 8.2021, Art. 51 Rn. 4.
  5. Müller-Terpitz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG Kommentar, 95. EL 7.2021, Art. 51 Rn. 52 m.w.N.
  6. Dörr, in: BeckOK GG, 48. Ed. 8.2021, Art. 51 Rn. 3.
  7. Die Beteiligung der Länder erfolgt durch den Bundesrat, es handelt sich dabei aber nicht um eigene Rechte der Länder, siehe dazu BVerfG, Beschl. v. 29.4.1996, Az.: 2 BvG 1/93 = DVBl 1996, 1365 (1365).
  8. BVerfG, Beschl. v. 25.6.1974, Az.: 2 BvF 3/73 u.a. = BeckRS 1974, 104390.
  9. Nach dem BVerfG ist die Integrationsverantwortung „darauf gerichtet, bei der Übertragung von Hoheitsrechten und bei der Ausgestaltung der europäischen Entscheidungsverfahren dafür Sorge zu tragen, dass in einer Gesamtbetrachtung sowohl das politische System der Bundesrepublik Deutschland als auch das der Europäischen Union demokratischen Grundsätzen im Sinne des Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG entspricht.“, siehe BVerfG, Urt. v. 30.6.2009, Az.: 2 BvE 2/08 u.a., Rn. 245 = NJW 2009, 2267 (2273).
  10. BVerfG, Urt. v. 18.12.2002, Az.: 2 BvF 1/02, Rn. 137 = NJW 2003, 339 (339).
  11. Dörr, in: BeckOK GG, 48. Ed. 8.2021, Art. 52 Rn. 14.1 m.w.N.
  12. BVerfG, Urt. v. 18.12.2002, Az.: 2 BvF 1/02, Rn. 149 = NJW 2003, 339 (341). Siehe zu den vertretenen Argumenten, aus denen sich eine Weisungsgebundenheit ergibt auch Müller-Terpitz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG Kommentar, 95. EL 7.2021, Art. 51 Rn. 40 ff. m.w.N.
  13. Zwar sind in personeller Hinsicht die Regierungsvertreter:innen „Mitglieder“ des Bundesrats. In institutioneller Hinsicht sind im Bundesrat aber nur die Bundesländer vertreten, vgl. Kloepfer, Verfassungsrecht I, 2011, § 16 Rn. 25 ff. Da ein Bundesland aber nur einen einheitlichen Willen haben kann, besteht ein Bedürfnis nach einheitlicher Stimmabgabe, Schwerdtfeger, in: v Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 51 Rn. 21.
  14. Plenarprotokoll 774, Stenografischer Bericht, S. 171 D; nachzulesen auch in BVerfG, Urt. v. 18.12.2002, Az.: 2 BvF 1/02, Rn. 5 ff. = BVerfGE 106, 310 (312 ff.).
  15. BVerfG, Urt. v. 18.12.2002, Az.: 2 BvF 1/02 = BVerfGE 106, 310 ff.
  16. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 1980, S. 136 f.
  17. Vgl. aber Küpper, Der Staat 42 (2003), 387 (401 ff.).
  18. Dörr, in: BeckOK GG, 48. Ed. 15.8.2021, Art.51 Rn. 22; Robbes, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 51 Rn. 14; Schwerdtfeger, in: v. Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 51 Rn. 21.
  19. So insb. BVerfG, Urt. v. 18.12.2002, Az.: 2 BvF 1/02, Rn. 154 f. = BVerfGE 106, 310 (338 ff.) – abweichende Meinung Osterloh, Lübbe-Wolff; zustimmend Küpper, Der Staat 2003, 387 (406).
  20. So die Richterinnen Osterloh und Lübbe-Wolff in ihrem Sondervotum, BVerfG, Urt. v. 18.12.2002, Az.: 2 BvF 1/02, Rn. 154 ff. = BVerfGE 106, 310 ff.
  21. BVerfG, Urt. v. 18.12.2002, Az.: 2 BvF 1/02, Rn. 154 ff. = BVerfGE 106, 310 (337 ff.).