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Mehrheitsprinzip

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Autor: Patrick Vrielmann

Notwendiges Vorwissen: Bundestag, Bundesrat, Bundesversammlung

Lernziel: Notwendige Mehrheiten erkennen können

Das Mehrheitsprinzip zählt zu den „fundamentalen Prinzipien der Demokratie“ und ist deshalb – nicht ausdrücklich, aber implizit – bereits in Art. 20 I, II GG verankert.[1] Es ist Ausfluss der demokratischen Gleichheit und Freiheit der Bürger. Im Idealzustand würden freie und gleiche Bürger:innen immer einstimmig über sich selbst herrschen. Rein praktisch würde das Einstimmigkeitserfordernis aber zu einer Blockade der Demokratie führen. Außerdem hätte die Minderheit durch ihre Vetoposition eine größere Macht als die Mehrheit, weil stets nur ihr Minimalkonsens umgesetzt würde. Folglich ist das Mehrheitsprinzip nicht nur Vorbedingung für die Praktikabilität der Demokratie, sondern auch für die Freiheit und Gleichheit der Entscheidungen in ihr.[2]

I. Systematik der Mehrheiten

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Das Mehrheitsprinzip ist in Klausuren meistens ganz praktisch relevant bei Abstimmungen oder Wahlen, um festzustellen, ob z.B. ein Gesetz im Bundestag wirksam beschlossen wurde.

Examenswissen: Das Mehrheitsprinzip ist natürlich nicht auf das Staatsrecht begrenzt, sondern gilt für alle Gremienentscheidungen, sodass die folgenden Ausführungen insbesondere auf Examensniveau auch für das Privatrecht und das sonstige öffentliche Recht sehr hilfreich sind. Anwendungsbeispiele sind hier §§ 32 I 3, 33 I 1, 709 II BGB, § 119 II HGB, § 47 I GmbHG, §§ 133 I AktG, §§ 23 III 2, 25 I WEG.

1. Bezugsgröße

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In einem ersten Schritt ist stets die Bezugsgröße der Mehrheit festzustellen, also die Gesamtzahl „derjenigen, die zur Entscheidung ein und derselben Frage aufgerufen sind.“[3] So wird differenziert zwischen der Abstimmungsmehrheit, Anwesendenmehrheit und Mitgliedermehrheit.

Bei der Abstimmungsmehrheit werden nur die tatsächlich abgegebenen Stimmen zugrunde gelegt. Es werden weder die ungültigen Stimmen noch die Enthaltungen zu den abgegebenen Stimmen gezählt.[4] Zur Begründung wird häufig neben der Entstehungsgeschichte durchaus zutreffend vorgebracht, dass derjenige, der sich der Stimme enthalte, gerade nicht abstimmen, also auch nicht mit Nein stimmen wolle. Zudem schreibt § 46 S. 1 GOBT für Abstimmungsfragen im Bundestag vor, dass sie vom Bundestagspräsidenten oder von der Bundestagspräsidentin so gestellt werden müssen, dass sie sich mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten lassen. Enthaltungen sind also als abgegebene Stimmen auch in der GOBT nicht vorgesehen. Die Stimmenthaltung wirkt demnach bei der Abstimmungsmehrheit wie das Fernbleiben von der Abstimmung.

Bei der Anwesendenmehrheit oder auch Anwesenheitsmehrheit muss die Anzahl der Ja-Stimmen größer sein als die Hälfte der Gesamtzahl der Anwesenden bei der Abstimmung.

Bei der Mitgliedermehrheit kommt es allein auf die Anzahl aller Abstimmungsberechtigten an, unabhängig davon, ob sie anwesend sind oder nicht.[5] Beim Bundesrat sind es 69 ordentliche Mitglieder. Beim Bundestag ist die Bestimmung der stimmberechtigten Abgeordneten dagegen etwas schwieriger, deshalb wird die Anzahl der Bundestagsabgeordneten meistens in den Sachverhalten mitgeteilt. Gem. Art. 121 GG ist auf die „gesetzliche Mitgliederzahl“ abzustellen. Was das heißt, ist rechtlich umstritten.[6] Zunächst einmal ist damit die Mitgliederzahl des § 1 I 1 BWahlG gemeint: 598 Abgeordnete. Hinzu kommen die Überhang- und Ausgleichsmandate (§ 6 IV-VI BWahlG). Im Laufe der Wahlperiode können aber auch Bundestagsmandate dauerhaft entfallen, was dann zu einer Reduktion der gesetzlichen Mitgliederzahl führt.[7] Nach h.M. ist hierbei auf die Zahl der zum Zeitpunkt der Wahl oder Abstimmung sitz- und stimmberechtigten Abgeordneten abzustellen.[8]

Beispiel: Es entfallen in der laufenden Wahlperiode u.a. Sitze,

  • wenn ein:e Abgeordnete:r ausscheidet und die Landesliste, anhand der ein:e Nachfolger:in bestimmt werden soll, erschöpft ist (§ 48 I 5 BWahlG), oder
  • bei einem Parteiverbot (§ 46 I 1 Nr. 5, IV BWahlG).
Klausurtaktik

Wenn keine Angabe im Sachverhalt über die Abgeordnetenanzahl im Bundestag erfolgt, sind für die Klausur zwei Mitgliederzahlen möglich:

  • Sollten keine weiteren Hinweise gegeben sein, ist von 598 Abgeordneten auszugehen (§ 1 I 1 BWahlG). Falls die Zahl der Ausgleichs- und Überhangmandate genannt wird, sind sie hinzuzurechnen.
  • Enthält der Sachverhalt dagegen Angaben wie „im 20. Deutschen Bundestag“ oder Jahresangaben, die einen eindeutigen Schluss auf den aktuellen Bundestag zulassen, dann ist von der Mitgliederzahl des amtierenden Bundestages zum Zeitpunkt der konstituierenden Sitzung auszugehen. (Im 20. Bundestag ab 2021 sind das 736 Mandate.) Wenn im Laufe der Legislaturperiode einzelne Mandate entfallen sind, so kann von den Studierenden für die Klausur nicht erwartet werden, dass sie dies tagesaktuell nachhalten. Das Wissen über die Abgeordnetenzahl des aktuellen Bundestages bei seiner Konstituierung wird allerdings regelmäßig vorausgesetzt.
Typische Klausurfehler

Häufig wird bei Abstimmungen in Klausursachverhalten auch die Anzahl der Enthaltungen mitgeteilt, um die Studierenden auf eine falsche Fährte zu locken. Bei im Bundestag grundsätzlich erforderlichen einfachen Stimmenmehrheiten (Art. 42 II 1 GG) ist die Anzahl der Enthaltungen für die Mehrheit irrelevant. Da dieser Umstand nicht vollkommen unumstritten ist, ist dies wie oben kurz zu begründen.[9] Die Zahl der Enthaltungen kann dann allenfalls bei der Beschlussfähigkeit des Gremiums von Bedeutung sein.

Wenn es allerdings auf die Zustimmung der Anwesenden- oder der Mitgliedermehrheit ankommt, wirken Enthaltungen de facto wie Nein-Stimmen, so z.B. der Grundsatz im Bundesrat (Art. 52 III 1 GG).

Insofern ist gerade bei Enthaltungen zwischen den Bezugsgrößen der Mehrheit zu differenzieren!

2. Stimmenquote

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In einem zweiten Schritt ist der Anteil der Stimmen festzustellen, der für den Beschluss oder die Wahl nötig ist.

a) Grundsatz: Einfache Mehrheit

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Auf den eingangs genannten Überlegungen basiert der Grundsatz für demokratische Abstimmungen: Eine einfache Mehrheit genügt für die Wahl einer Person oder das Zustandekommen eines Beschlusses, wenn nichts anderes bestimmt ist. Eine solche liegt dann vor, wenn die Anzahl der Ja-Stimmen größer ist als die der Nein-Stimmen. Stimmengleichheit reicht nicht aus. So ist auch für einen Beschluss des Bundestages grundsätzlich die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich (Art. 42 II 1 Hs. 1 GG). Ausnahmen von diesem Grundsatz bedürfen für Bundestagsbeschlüsse der expliziten Anordnung des Grundgesetzes (Art. 42 II 1 Hs. 2 GG).

Beispiel zur einfachen Mehrheit: 10 Stimmen für Ja, 5 Stimmen für Nein. Einfache Mehrheit ist erreicht.

Nur wenn lediglich zwei Alternativen zur Auswahl stehen, kann von einer einfachen Mehrheit gesprochen werden.[10] Erst ab drei Optionen kann sinnvoll differenziert werden zwischen relativer und absoluter Mehrheit. Die relative Mehrheit erlangt die Option, die die meisten Stimmen auf sich vereinigen kann. Es reicht bereits aus, dass diese Option eine Stimme mehr erhält als jede der anderen Optionen. Die absolute Mehrheit ist erreicht, wenn eine Option mehr Stimmen auf sich vereinigen kann als die anderen Optionen zusammengenommen, wenn sie also mehr als die Hälfte aller abgegebenen Stimmen erhält.

Klausurtaktik

Die Begriffe werden sehr uneinheitlich und zum Teil sogar falsch verwendet. Der Begriff der „absoluten Mehrheit“ wird sowohl umgangssprachlich als auch von Teilen der Wissenschaft ohne Benennung der Bezugsgröße für die einfache Mitgliedermehrheit verwendet.[11] Das ist aus oben genannten Gründen verwirrend und führt zu Unklarheiten. Dieser uneinheitlichen Verwendungsweise sollte man sich bewusst sein. Sie ist allerdings für die Klausurbearbeitung unproblematisch, da diese Begriffe fast nie vom Gesetz verwendet werden. Für die eigene Vorgehensweise gilt: Solange man die Bezugsgröße nennt, können Missverständnisse leicht vermieden werden.

Beispiel 1 zur relativen und absoluten Mehrheit: 10 Stimmen für Person A, 7 Stimmen für Person B, 5 Stimmen für Person C. Person A hat die relative Mehrheit der Stimmen (da 10 > 7 > 5). Person A hat aber nicht die absolute Mehrheit, dafür müssten bei 22 abgegebenen Stimmen 12 Stimmen erreicht werden.

Beispiel 2 zur relativen und absoluten Mehrheit: 20 Stimmen für Person A, 10 Stimmen für Person B, 5 Stimmen für Person C. Person A hat die relative Mehrheit der Stimmen (da 20 > 10 > 5). Person A hat ebenfalls die absolute Mehrheit erreicht, da bei 35 abgegebenen Stimmen 18 Stimmen hierfür ausreichen.

Eine Differenzierung zwischen einfachen, relativen und absoluten Mehrheiten auf Basis der zur Auswahl stehenden Optionen ergibt nur bei Zugrundelegung der abgegebenen Stimmen Sinn.[12] Sofern nur eine relative Mehrheit erreicht werden muss, wird allein auf die Stimmen abgestellt, die jede der Optionen erhalten hat, sodass es auf die Gesamtheit der Stimmen nicht ankommt. Andersherum ist die einfache Mehrheit identisch mit der absoluten Mehrheit, wenn die Gesamtzahl der Stimmen feststeht und insofern relevant ist, als die Anzahl der Gegenstimmen – gleich wie viele Möglichkeiten zur Auswahl stehen – ohne Bedeutung ist. Bei der Anwesendenmehrheit und bei der Mitgliedermehrheit sind also einfache und absolute Mehrheit identisch, weil es immer nur darauf ankommt, ob über 50 Prozent der Stimmen einer Bezugsgröße sich auf eine Option vereinigen. Wenn dagegen bei der Abstimmungsmehrheit nur zwei Handlungsalternativen bestehen, ist die einfache gleich der relativen gleich der absoluten Abstimmungsmehrheit. Das liegt daran, dass Enthaltungen nach h.M. nicht als abgegebene Stimmen anzusehen sind.

b) Qualifizierte Mehrheiten

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In einigen Fällen müssen höhere Stimmanteile als die Überschreitung der Hälfte erreicht werden. So können Normen vorsehen, dass zwei Drittel oder drei Viertel des Quorums erreicht werden müssen (z.B. Art. 42 I 2, 79 II, 80a I 2 GG). Insofern spricht man von einer qualifizierten Mehrheit.

Solche Qualifizierungserfordernisse sind stets rechtfertigungsbedürftig, weil durch sie die Position der Minderheit gegenüber der Mehrheit aufgewertet wird. Es genügt dann z.B. wenn die Minderheit ein Drittel der Stimmen aufbringt, um die von der Mehrheit bevorzugte Option zu verhindern (sogenannte  Sperrminorität). Dadurch werden die Stimmgewichte von Mehrheit und Minderheit verschoben, mithin wird die demokratische Gleichheit aufgehoben.[13]

Klausurtaktik

Diese Ausnahmen müssen in der Klausur nicht gerechtfertigt werden, weil die Ausnahmen entsprechend normiert sein werden. Die Rechtfertigung kann aber oft zur Argumentation herangezogen werden, da sie regelmäßig das Telos der Norm bildet, die eine andere Mehrheit voraussetzt. Solche Gründe sind z.B. Schutz struktureller (nicht parlamentarischer) Minderheiten,[14] Schutz zentraler Grundrechtsbereiche und Verfassungsstabilität,[15] rechtsstaatlicher Bestands- beziehungsweise Vertrauensschutz sowie die Sicherung der Funktionsfähigkeit des Parlaments.[16]

Anders als bei der einfachen oder relativen Mehrheit muss nicht eine Stimme mehr als für die anderen Optionen erreicht werden, sondern es reicht aus, dass der Stimmanteil genau erfüllt wird.

Beispiel: Bei 600 Abgeordneten im Bundestag ist eine Zweidrittelmehrheit bereits bei 400 Abgeordneten erreicht, nicht erst bei 401. (Dagegen reicht es für eine einfache Mehrheit nicht aus, wenn nur 300 Abgeordnete mit Ja stimmen. Hier wären 301 Stimmen notwendig.)

In Sonderfällen muss neben dem erhöhten Stimmanteil ein weiteres Kriterium erfüllt sein. Hierbei handelt es sich um sogenannte doppelt qualifizierte Mehrheiten.

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II. Überblick und Beispiele

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Auf den ersten Blick scheinen die verschiedenen Möglichkeiten von Mehrheiten vollkommen unübersichtlich. Die folgende Tabelle stellt den Versuch einer Systematisierung dar und kombiniert dafür alle möglichen Bezugsgrößen (Spalten) mit den verschiedenen Stimmanteilen (Zeilen). Entsprechend ergibt sich die Bezeichnung der einzelnen Mehrheiten (in fett). Teils existieren alternative Bezeichnungen (=). Kurze Zusammenfassungen der Mehrheiten sowie Beispiele aus dem Staatsorganisationsrecht (mit →) werden angegeben. In einer zweiten Zeile soll ein Zahlenbeispiel die Berechnung der Mehrheit veranschaulichen (in kursiv).

Eine Besonderheit bildet die Dreiteilung in einfache, relative und absolute Abstimmungsmehrheit. Bei der doppelt qualifizierten Mehrheit werden mindestens zwei unterschiedliche Bezugsgrößen in den Blick genommen, was zur Darstellung in einer gemeinsamen Spalte führt.

Abstimmungsmehrheit Anwesendenmehrheit Mitgliedermehrheit
einfach:
2 Optionen
einfache Abstimmungsmehrheit
  • mehr Ja- als Nein-Stimmen (nicht bei Stimmgleichheit)
  • Enthaltungen zählen nicht (h.M.)

= „Stimmenmehrheit“
→ Regelfall für Bundestags­beschlüsse, Art. 42 II GG

einfache (= absolute) Anwesendenmehrheit
  • mehr als die Hälfte der anwesenden Stimm­berechtigten muss zustimmen
  • nur wenige Anwendungsfälle

→ Feststellung der Beschluss­fähigkeit des Bundestags, § 45 III 4 GOBT

einfache (= absolute) Mitgliedermehrheit
  • mehr als die Hälfte der Mitglieder des Beschluss­organs muss zustimmen
  • weist auf besondere Wichtigkeit des Abstimmungs­gegenstandes hin

= „Abgeordnetenmehrheit“ (Bundestag)
= „Kanzlermehrheit“ (Bundestag)[17]
→ Regelfall im Bundesrat, Art. 52 III 1 GG
→ maßgeblich für Bundestag und Bundesversammlung: Art. 121 GG
→ Wahl des Bundespräsidenten, Art. 54 VI GG
→ Wahl des Bundeskanzlers, Art. 63 II 1, III, 67 I 1, 68 I 2 GG

Bsp.: insgesamt 20 Stimmen, 6x JA, 5x NEIN, 2 Enthaltungen Mehrheit (+), da 6 > 5 Mehrheit (-), da 13 Anwesende, sodass 7x JA erforderlich Mehrheit (-), da 20 Stimmen insgesamt, sodass 11x JA erforderlich
mehr als 2 Optionen relative Mehrheit
  • die Option mit den meisten Stimmen, unabhängig von der Bezugsgröße

→ Bundes­präsidenten­wahl im dritten Wahlgang, Art. 54 VI 2 GG
→ Wahl des Bundestags­abgeordneten im Wahlkreis (Erststimme), § 5 S. 2 BWahlG
→ Auswahl des Sitzes einer Bundesbehörde, § 50 II 2 GOBT

absolute Mehrheit
  • mehr als die Hälfte aller abgegebenen Stimmen muss auf eine Option entfallen
  • diese Option muss also mehr Stimmen erhalten als alle anderen Optionen zusammengenommen
  • jedenfalls bei mehr als zwei Abstimmungs­optionen kein Anwendungs­beispiel im Staats­recht bekannt
  • im Kommunal­verfassungs­recht oft z.B. Bürger­meister­wahl[18]
(s.o.) (s.o.)
Bsp.: 25 Mit­glieder, 10x A, 7x B, 2x C, 2 Ent­haltungen
  • relative Mehrheit für A, da 10 > 7 > 2
  • irrelevant, dass Gegenstimmen + Enthaltungen > A
  • absolute Mehrheit für A, da 10 > 9 (= 7 + 2)
  • irrelevant, dass Gegenstimmen + Enthaltungen > A
Mehrheit (-), da 21 Anwesende, sodass 11x für A erforderlich Mehrheit (-), da 25 Mitglieder, sodass 13x für A erforderlich
qualifiziert qualifizierte Abstimmungsmehrheit
  • ein größeres Quorum als die Hälfte der Abstimmenden muss zustimmen (i.d.R. zwei Drittel oder drei Viertel)

→ Ausschluss der Öffentlich­keit von Sitzungen des Bundes­tages (2/3), Art. 42 I 2 GG
→ Feststellung des Spannungs­falles durch den Bundestag (2/3), Art. 80a I 2 GG

qualifizierte Anwesendenmehrheit
  • ein größeres Quorum als die Hälfte der Anwesenden muss zustimmen

→ Beschluss über Abweichung von der GOBT (2/3), § 126 GOBT

qualifizierte Mitgliedermehrheit
  • ein größeres Quorum als die Hälfte der Mitglieder muss zustimmen

→ Beschluss von Verfassungs­änderungen durch Bundestag und Bundesrat (2/3), Art. 79 II GG
→ Wahl von Bundes­verfassungs­richtern durch den Bundesrat (2/3), § 7 BVerfGG

Bsp.: 300 Mit­glieder, 180x JA, 50x NEIN, 40 Ent­haltungen → 2/3-Mehrheit? Mehrheit (+), da 180/230 > 2/3 Mehrheit (+), da 180/270 = 2/3 Mehrheit (-), da 180/300 < 2/3, 200x JA erforderlich
doppelt qualifiziert doppelt qualifizierte Mehrheit
  • zusätzlich zu einem bestimmten Quorum, das größer ist als die Hälfte der Abstimmenden oder Mitglieder, muss ein weiteres Kriterium erfüllt sein
  • sehr selten

→ Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates durch den Bundestag: Zwei­drittel­mehrheit der Abstimmenden muss gleichzeitig einfache Mitglieder­mehrheit sein, Art. 77 IV 2 GG
→ Wahl von Bundes­verfassungs­richtern durch den Bundestag: Zwei­drittel­mehrheit der Abstimmenden muss gleichzeitig einfache Mitglieder­mehrheit sein, § 6 I 2 BVerfGG
→ vgl. auch Art. 16 III, IV EUV, Art. 238 II AEUV

Bsp.: Art. 77 IV 2 GG, BTag = 603 Abg., 300 für Zurück­weisung des Einspruchs, 100 dagegen, 50 Ent­haltungen[19]
  • doppelt qualifizierte Mehrheit i.S.d. Art. 77 IV 2 GG (-)
  • Zweidrittelmehrheit (+), da 300/450 = 2/3
  • (einfache) Mitglieder­mehrheit (-), da 603 Abg. insgesamt, sodass 302x JA erforderlich
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Weiterführende Studienliteratur

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  • Übungsklausur (in Teilen auch für Anfänger geeignet) u.a. zu unterschiedlichen Mehrheiten und zur Behandlung von Enthaltungen (636 f.): Droege/Broscheit, (Original-)Referendarexamensklausur – Öffentliches Recht: Staatsorganisationsrecht – Land unter... Der Einsatz der Bundeswehr als letztes Mittel?, JuS 2015, 633.
  • Systematischer Überblick mit Fallbeispielen: Kaiser, Mehrheitserfordernisse im Staatsrecht, JuS 2017, 221.
  • Eventuell zur Vertiefung (sehr ausführlich): Magsaam, Mehrheit entscheidet. Ausgestaltung und Anwendung des Majoritätsprinzips im Verfassungsrecht des Bundes und der Länder, 2014, S. 63 ff.


Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte

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  • 1. Schritt: Bezugsgröße der Mehrheit festlegen: Abstimmende, Anwesende, Mitglieder.
  • 2. Schritt: Stimmanteil festlegen: die meisten Stimmen (relativ), mehr als die Hälfte (einfach beziehungsweise absolut), zwei Drittel oder Ähnliche (qualifiziert).
  • Abhängig von der Bezugsgröße sind Enthaltungen einzuordnen: Abstimmungsmehrheit – irrelevant ↔ Anwesenden-/Mitgliedermehrheit – wie Nein-Stimmen.

Dieser Text wurde von der Initiative für eine offene Rechtswissenschaft OpenRewi erstellt. Wir setzen uns dafür ein, Open Educational Ressources für alle zugänglich zu machen. Folge uns bei Bluesky oder X oder trage dich auf unseren Newsletter ein.

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Inhaltsverzeichnis des Buches

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1. Kapitel – Die Grundlagen des Staatsorganisationsrechts - Verfassung und Staat als zentrale Anknüpfungspunkte

2. Kapitel – Staatsstrukturprinzipien – Die Fundamentalnormen des Staates

3. Kapitel – Staatszielbestimmungen

4. Kapitel – Verfassungsorgane

5. Kapitel – Kompetenz und Verfahren

6. Kapitel – Verfassungsgerichtsbarkeit

7. Kapitel – Methodik der Fallbearbeitung im Staatsorganisationsrecht

Fußnoten

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  1. BVerfG, Beschl. v. 6.10.1970, Az.: 2 BvR 225/70 = BVerfGE 29, 154 (165). Einführung bei Krüper, ZJS 2009, 477–486.
  2. Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG Kommentar, 95. EL 7.2021, Art. 20 Rn. 41 f.
  3. BVerfG, Urt. v. 23.10.1951, Az.: 2 BvG 1/51 = BVerfGE 1, 14 (46) – Südweststaat.
  4. Ganz überwiegende Ansicht, statt vieler: Klein/Schwarz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG Kommentar, 95. EL 7.2021, Art. 42 Rn. 94, insbesondere Fn. 6 m.w.N.; a.A. wohl Versteyl, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. I, 6. Aufl. 2012, Art. 42 Rn. 25 sowie die Gleichsetzung von Abstimmenden und Anwesenden in Rn. 17; Höfling/Burkiczak, Jura 2007, 561 (562).
  5. Brocker, in: BeckOK GG, 47. Ed. 15.5.2021, Art. 121 Rn. 5.
  6. Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG Kommentar, 95. EL 7.2021, Art. 121 Rn. 17–20.
  7. Brocker, in: BeckOK GG, 47. Ed. 15.5.2021, Art. 121 Rn. 10–12.
  8. Klein, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG Kommentar, 95. EL 7.2021, Art. 121 Rn. 18 f.
  9. Zur Behandlung im Fall siehe auch die weiterführende Studienliteratur am Ende.
  10. Magsaam, Mehrheit entscheidet, 2014, S. 71.
  11. Zu den unterschiedlichen Systematiken von relativer und absoluter Mehrheit Kaiser, JuS 2017, 221 (223 f.), mit Nachweisen zur Verwendung durch die Wissenschaft in Fn. 36.
  12. Heun, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, 1983, S. 127 f., Fn. 133–135; Magsaam, Merheit entscheidet, 2014, S. 71.
  13. Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG Kommentar, 95. EL 7.2021, Art. 20 Rn. 43; Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, 3. Aufl. 2004, § 24 Rn. 52 f.; a.A. Sachs, in: Sachs, GG Kommentar, 9. Aufl. 2021, Art. 20 Rn. 24.
  14. BVerfG, Beschl. v. 3.12.2002, Az.: 2 BvE 7/02, Rn. 62 = BVerfGE 106, 253 (273).
  15. BVerfG, Urt. v. 2.3.1977, Az.: 2 BvE 1/76 = BVerfGE 44, 125 (141) – Öffentlichkeitsarbeit.
  16. Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG Kommentar, 95. EL 7.2021, Art. 20 Rn. 43.
  17. BVerfG, Urt. v. 8.12.2004, Az.: 2 BvE 3/02, Rn. 77 = BVerfGE 112, 118 (145) – Sitzverteilung im Vermittlungsausschuss.
  18. Beispielsweise für Niedersachsen § 45g II 2 NKWG i.V.m. § 80 I 1 NKomVG. Erreicht im ersten Wahlgang kein:e Kandidat:in die absolute Mehrheit, kommt es zu einer Stichwahl zwischen den beiden Bewerber:innen mit den meisten Stimmen, in der die einfache Mehrheit entscheidet (§ 45g II 3 NKWG).
  19. Beispiel entlehnt von Degenhart, Staatsrecht I, 36. Aufl. 2020, Rn. 652.