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Gewaltenteilung

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Autor:innen: Johannes Siegel

Notwendiges Vorwissen: Rechtsstaatsprinzip

Lernziel: Konzept Gewaltenteilung sowie Verhältnis von Legislative, Exekutive und Judikative verstehen; Konzept auf Grundgesetz übertragen

Wenn die gesamte Macht in einem Staat bei einer Person oder Personengruppe gebündelt ist, dann liegt das Risiko eines Missbrauchs der Macht nahe. Aus diesem Grund soll das Konzept der Gewaltenteilung die Ausübung der Macht verteilen und somit dieses Risiko senken. Darüber hinaus ist es auch unwahrscheinlich, dass eine Person in allen Bereichen besonders kompetent ist. Daher kann die Aufteilung der Aufgaben im Staat auch dazu führen, dass stets die kompetentesten und spezialisiertesten Personen am Werk sind.[1]

Charles de Montesquieu (1689-1755) setzte sich, aufbauend auf John Locke, mit diesen Problemen auseinander. Er beschrieb eine Aufteilung der Macht, die heute als das klassische Konzept der Gewaltenteilung verstanden wird. Demnach gebe es im Staat drei Gewalten: Die gesetzgebende Gewalt, die vollziehende Gewalt und die richterliche Gewalt. Diese drei Gewalten, die Legislative, die Exekutive und die Judikative, seien im Staat aufzuteilen und voneinander zu trennen. Ohne eine Aufteilung drohe sonst stets eine Gefahr für die Freiheit.[2] Modernere Perspektiven auf die Gewaltenteilung sehen diese auch als Grundlage für eine demokratische Herrschaft, also dass das Recht nicht Freiheit vor der Herrschaft schaffe, sondern Freiheit durch die demokratische Herrschaft.[3]

So ist festzuhalten, dass die Gewaltenteilung unterschiedliche Ziele verfolgt. An erster Stelle soll dem Machtmissbrauch entgegengewirkt werden. Durch die Aufteilung soll eine gegenseitige Kontrolle erfolgen, die Risiken limitiert. In gleicher Weise soll durch die Schaffung spezialisierter Organe die Effektivität der Arbeit gefördert werden.

Auf diese Organe ist vertieft einzugehen. Der Begriff des Organs ist dabei als eine Institution oder Funktionseinheit zu verstehen. Zur Organisation des Staates wurden mehrere Organe geschaffen. Bei den Organen, die für die Grundstruktur des Staates notwendig sind und die die Verfassung vorschreibt, spricht man von Verfassungsorganen. Sie haben alle gemein, dass ihnen kein weiteres Organ übergeordnet ist. Sie stehen alle hierarchisch auf der gleichen Ebene.

Beispiel zu Verfassungsorganen: Das Grundgesetz schreibt vor, dass es die Verfassungsorgane Bundestag (Art. 38 ff. GG), Bundesrat (Art. 50 ff. GG), Bundesregierung inklusive Bundeskanzler:in (Art. 62 ff. GG), Bundespräsident:in (Art. 54 ff. GG), Bundesverfassungsgericht (Art. 92 ff. GG), sowie die Bundesversammlung (Art. 54 GG) und den Gemeinsamen Ausschuss (Art. 53a GG) gibt.

Diese Verfassungsorgane sind als gesamte Funktionseinheit zu verstehen. Sie sind von den Personen, die dem Verfassungsorgan vorstehen und es leiten zu trennen. Man spricht dabei von den Organwalter:innen.[4]

Beispiel zu Organwalter:innen: Verfassungsorgan Bundespräsident:in; Organwalter Frank-Walter Steinmeier.

Examenswissen: Die unterschiedlichen Abstufungen sind dabei in der Klausur stets auseinanderzuhalten und Abzugrenzen, sodass man nicht durcheinander kommt. So ist das Verfassungsorgan Bundesregierung als Kollektivorgan von dem Organ Bundeskanzler:in zu trennen. Das Organ Bundeskanzler:in ist eine Behörde in Form des Bundeskanzleramtes mit zahlreichem Personal. Ihm ist beispielweise der Bundesnachrichtendienst untergeordnet. Das Organ Bundeskanzler:in wird dabei von der Organwalter:in "Bundeskanzler:in" geleitet.

Schließlich erhofft man sich aus der Aufteilung der Aufgaben und den spezialisierten Organen auch vielseitige Ansichten und Meinungen, womit der Gewaltenteilung auch eine integrierende Funktion zu Teil wird. Diese Ziele sollen maßgeblich über drei Methoden erreicht werden.[5]

A. Methoden zur Gewaltenteilung

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Zur Bildung einer Gewaltenteilung wurden mehrere Methoden entworfen. Als Gesamtkonzept, also wenn sie alle zusammenwirken, sind sie in der Lage eine Gewaltenteilung zu konstruieren. Diese Methoden werden in jeweils unterschiedlicher Intensität und Ausprägung in der Organisation von Staaten verwendet.Sie sind allgemein zu verstehen und finden sich in vielen Verfassungen wieder.

I. Funktionale Aufteilung

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Im Sinn einer funktionalen Aufteilung soll im Staat nach Aufgaben differenziert werden. Als klassische Aufgaben im Staat gelten die Gesetzgebung (Legislative), die Ausführung der Gesetze (Exekutive) und die Gerichte, die Streitigkeiten wegen des Rechts lösen (Judikative). Im Sinn einer Gewaltenteilung sollen diese drei Gewalten getrennt arbeiten.

II. Organisatorische Aufteilung

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Die drei Gewalten sollen nicht nur getrennt arbeiten, sie sollen auch in ihrer Organisationstruktur getrennt sein. Das heißt, dass sie unterschiedlichen Organen im Staat angehören sollen.

III. Personelle Aufteilung

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Schließlich soll es auch keine personellen Überschneidungen geben. Organwalter:innen sollen demnach stets nur eine Aufgabe wahrnehmen und nicht in zwei Ämtern parallel tätig sein.[6]

Weiterführendes Wissen zur Gewaltenteilung im engeren und weiteren Sinne

Die hier beschriebenen Methoden zur Erfüllung einer Gewalteneilung beschreiben eine Gewaltenteilung im engeren Sinn. Dabei sind in der Regel spezifische Prinzipien, wie die dargestellten Methoden, gemeint. Im weiteren Sinn können jegliche gewaltenteilende Ansätze erfasst sein. Dabei ist an den Föderalismus zu denken. In einem föderalen Staat ist ebenso Macht auf die verschiedenen Gliedstaaten sowie den Bundesstaat aufgeteilt. Man spricht dabei von vertikaler Gewaltenteilung.[7] Darüber hinaus wirkt die europäische Integration ebenso gewaltenteilend, da durch die Übertragung von Kompetenzen auf die Europäische Union eine weitere Kontrollinstanz im Staatsaufbau existiert sowie durch die spezifischen Anforderungen an gewaltenteilende Strukturen durch das Recht der Europäischen Union.[8] Die Europäische Union als Element einer Gewaltenteilung zeigt sich auch sehr anschaulich am Beispiel der Debatten und Gerichtsverfahren rund um die Reformen der Mitgliedsstaaten Polen und Ungarn.[9]

B. Gewaltenteilung gemäß des Grundgesetzes

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Auch das Grundgesetz ist über eine Gewaltenteilung organisiert.[10] Der Verfassungstext selbst erwähnt die drei Gewalten in Art. 1 III GG, Art. 20 II 2 GG, Art. 20 III GG ausdrücklich, wenn jeweils von der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung die Rede ist. Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes ist jedoch als Gesamtkonzept zu verstehen, weshalb sie auch als Organisationsstruktur des Grundgesetzes bezeichnet wird.[11] Sie besteht aus vielen einzelnen Regelungen und ist nicht absolut. Das heißt, dass es Durchbrechungen und Überschneidungen zwischen den drei Gewalten gibt. Somit existieren in der Gewaltenteilung des Grundgesetzes Elemente aller drei zuvor beschriebenen Methoden.

Im Grundgesetz selbst wird die Gewaltenteilung nicht ausdrücklich benannt. Sie wird jedoch im Rechtsstaatsprinzips Art. 20 II 2 GG verortet.[12] Das BVerfG erklärt in Bezug auf Art. 20 II GG:

"Die dort als Grundsatz normierte organisatorische und funktionelle Unterscheidung und Trennung der Gewalten dient zumal der Verteilung von politischer Macht und Verantwortung sowie der Kontrolle der Machtträger; sie zielt auch darauf ab, daß staatliche Entscheidungen möglichst richtig, das heißt von den Organen getroffen werden, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen, und sie will auf eine Mäßigung der Staatsgewalt insgesamt hinwirken."[13] Als in Art. 20 II 2 GG verortetes Prinzip unterliegt die Gewaltenteilung dem Schutz der sog. Ewigkeitsklausel gem. Art. 79 III GG.[14]

I. Drei Gewalten

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In der Struktur des Grundgesetzes sind die drei Gewalten wie folgt aufgeteilt:

  • Legislative
    • Die Legislative, die gesetzgebende Gewalt, stellt der Bundestag dar. Im Bundestag werden die Gesetze erlassen (Art. 77 I 1 GG).
  • Exekutive
    • Die Exekutive, die vollziehende Gewalt, stellt die Bundesregierung und die Verwaltung dar. Die Exekutive führt die Gesetze aus. Sie subsumiert das Recht im Einzelfall.

Beispiel: Die Bundespolizei (BPol) und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) unterstehen dem Bundesministerium des Innern und für Bau und Heimat (BMI). Sie sind ebenso, wie die Bundesregierung, Teil der Exekutive und führen Gesetze aus.

  • Judikative
    • Die Judikative, die rechtssprechende Gewalt, stellen die Gerichte dar. Sie entscheiden über Streitigkeiten wegen des Rechts, Art. 92 GG. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist im Grundgesetz in Art. 97 I GG eigens hervorgehoben.

II. Gewaltenverzahnung

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Das Grundgesetz selbst kennt keine strikte, beziehungsweise reine, Verwirklichung des Prinzips der Gewaltenteilung. Das BVerfG stellt dazu fest, dass das Grundgesetz keine absolute Trennung vorschreibe. "Das Prinzip der Gewaltenteilung ist nirgends rein verwirklicht".[15] Vielmehr bestehe ein System aus zahlreichen Einzelregelungen, welche im Gesamtgefüge eine gegenseitige Kontrolle ermögliche. Deshalb sei die Gewichtung der einzelnen Gewalten stets im Blick zu behalten, sodass es kein Übergewicht zu Gunsten einer Gewalt gebe, welches die Verfassung selbst nicht vorsehe. Der Kernbereich jeder Gewalt sei dabei die Grenze. Er sei stets unveränderbar. [16]

Deshalb lohnt es sich die kleinteilige Verzahnung zwischen den Gewalten anzusehen, um dabei die Kontrollmechanismen zu erkennen und zu verstehen. Anhand der dargestellten Beispiele zeigt sich die Anwendung der Methoden zur Gewaltenteilung im Grundgesetz. Die Beispiele zeigen anschaulich, wie es funktionale, organisatorische sowie personelle Aufteilungen zwischen den drei Gewalten gibt, aber auch die teilweise fließenden Übergange.

1. Verhältnis Legislative zu Exekutive

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Zwischen der Legislative, dem Bundestag, und Exekutive, der Bundesregierung, gibt es mehrere Überschneidungen und Kontrollmechanismen. Der Bundestag wählt gem. Art. 63 GG die Bundeskanzler:in und somit das Oberhaupt der Exekutive. Weiter hat der Bundestag mehrere Kontrollfunktionen gegenüber der Bundesregierung, wie die Untersuchungsausschüsse gem. 43 ff. GG. Darüber hinaus gelten der Vorrang und der Vorbehalt des Gesetzes für die Exekutive. Das bedeutet verkürzt, dass die Exekutive zum einen nicht entgegen des Gesetzes handeln darf (Vorrang des Gesetzes) und zum anderen dass sie grundsätzlich auch nicht ohne gesetzliche Handlungsermächtigung handeln darf (Vorbehalt des Gesetzes).

2. Verhältnis Legislative zu Judikative

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Im Verhältnis zur Judikative gibt es dagegen weniger Verzweigungen. Lediglich die Mitglieder des BVerfG werden gem. Art. 94 I GG zur Hälfte vom Bundestag gewählt Darüber hinaus hat der Bundestag natürlich die Möglichkeit auf ihm "ungelegene" gerichtliche Auslegungen von Gesetzen mit einer schlichten Änderung des Gesetzes zu reagieren, um die Auslegung für die Zukunft zu präzisieren oder eine andere Auslegung darzulegen.[17]

3. Verhältnis Exekutive zu Legislative

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Das Verhältnis zwischen Exekutive und Legislative ist dagegen wieder deutlich enger. An erster Stelle ist festzuhalten, dass die Bundesregierung, beispielsweise in Form der Bundesminister:innen, weiterhin ihr Bundestagsmandat hält und somit Teil der Legislative bleibt. Das bedeutet, dass Bundesminister:innen gleichzeitig Teil der Exekutive und der Legislative sind.[18] Im Bundestag genießt die Bundesregierung das Recht zur Gesetzesinitiative gem. Art. 76 I GG. Darüber hinaus kann die Bundesregierung gem. Art. 80 GG auch selbst Rechtsverordnungen erlassen. Im Zusammenhang mit dem Haushaltsrecht ergeben sich gem. Art. 113 GG Zustimmungsvorbehalte zu Gunsten der Bundesregierung, sodass Gesetze, welche die vorgeschlagenen Ausgaben des Haushaltsplanes der Bundesregierung erhöhen, die Zustimmung der Bundesregierung verlangen. Schließlich ist die Bundesregierung gem. Art. 93 I Nr. 2 GG auch im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle befugt Gesetze beim BVerfG auf deren Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen.[19]

Weiterführendes Wissen

Das Verhältnis zwischen Exekutive und Legislative ist im Grundgesetz besonders ineinander verzahnt ist. Das ist nicht selbstverständlich. In den Vereinigten Staaten von Amerika besteht beispielsweise eine strikte Trennung zwischen der Regierung und dem Repräsentantenhaus, welche auch getrennt gewählt werden. Diese enge Verzahnung in der deutschen Staatsorganisation kann auch kritisiert werden, da nach diesem System die Regierung, lediglich unter der Ausnahme einer Minderheitsregierung, stets auch die Legislative dominiert.

Beispiel zu weiteren gewaltenteilenden Anforderungen: Art. 66 GG erklärt bezahlte Nebentätigkeiten, beispielsweise in Unternehmen für unvereinbar mit dem Amt der Bundeskanzler:in oder dem einer:eines Bundesministers:in.

Bla bla bla bla

4. Verhältnis Exekutive zu Judikative

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Das Verhältnis zur Judikative ist dagegen deutlich stärker eingeschränkt. Es besteht lediglich gem. Art. 95 II GG eine Mitwirkung bei der Wahl der Bundesrichter:innen.[20]

5. Verhältnis Judikative zu Legislative

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Im Sinne einer personellen Trennung können Richter:innen nicht Teil der Legislative sein.[21] Die Judikative kann jedoch in Form der konkreten Normenkontrolle gem. Art. 100 GG Gesetze zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit dem BVerfG vorlegen. Gegen Satzungen kann vor den Oberverwaltungsgerichten auch gem. § 47 VwGO direkt ein Normenkontrollantrag gestellt werden, um sie auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Darüber hinaus haben die Gerichte im Wege der Auslegung und richterlichen Rechtsfortbildung auch die Möglichkeit in ihren konkreten Gerichtsverfahren selbst rechtsgestaltend aufzutreten. Das BVerfG stellte dazu fest, dass der Umstand, dass das Grundgesetz der Legislative die Gesetzgebung zugeschrieben habe, die Gerichte nicht daran hindere das Recht fortzuentwickeln. Es führte weiter aus, dass zwar ein Gericht eine die Gesetze anwendende Instanz bleibe und gerade keine normsetzende Instanz werde. Dennoch müsse auch ein Gericht auf beschleunigte Veränderungen in der Gesellschaft reagieren können. Dies sei gerade notwenig, um das Recht an veränderte Umstände anzupassen.[22] Die Reichweite dieser Gestaltungsmöglichkeiten der Gerichte ist jedoch umstritten.[23]

6. Verhältnis Judikative zu Exekutive

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Ebenso, wie beim Verhältnis zur Legislative, besteht für die Judikative eine personelle Trennung zur Exekutive.[24] Die Judikative kontrolliert jedoch in Gerichtsverfahren Maßnahmen der Exekutive und kann deren Rechtswidrigkeit feststellen. Darüber hinaus besteht lediglich eingeschränktes Verhältnis zur Exekutive. Der Grund dafür liegt in der besonderen Unabhängigkeit der Judikative, die in der Verfassung durch Art. 97 I GG ausdrücklich hervorgehoben ist und in einfachen Gesetzen, wie § 25 DRiG, wiederholend betont wird.

Weiterführendes Wissen zu exekutiven Tätigkeiten der Judikative

In ihrer eigenen Organisation treten Gerichte als Behörden auf. Darüber hinaus führen sie in Einzelfällen auch klassische Verwaltungstätigkeiten aus. Sie führen beispielsweise gemäß der Grundbuchordnung das Grundbuch. Das ist die Datenbank, in der alle Grundstücke und Häuser in Deutschland erfasst sind. Darüber hinaus führen Gerichte als Registergerichte auch beispielsweise das Vereinsregister. Letztlich können Gerichte auch exekutiv in Form der Sitzungspolizei auftreten. Im Gerichtsaal selbst hat das Gericht gem. § 177 GVG für Ordnung zu sorgen und kann zu diesem Zweck auch exekutiv handeln, beispielweise Menschen mit Zwang aus dem Saal entfernen lassen.

III. Grenzen zwischen den Gewalten

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1. Kein Übergewicht zu Gunsten einer der Gewalten

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Diese dargelegten Überschneidungen und Durchbrechungen der Gewaltenteilung finden jedoch auch ihre Grenzen. Das BVerfG stellte fest, dass die Grenze der Kernbereich der jeweiligen Gewalt sei. Es dürfe zu keinem Übergewicht zu Gunsten einer Gewalt und zu Lasten der jeweils anderen Gewalten kommen.[25] Am Beispiel des Verhältnisses zwischen Legislative und Exekutive stellte das BVerfG fest, dass gemäß des Grundgesetzes die Staatsgewalten nicht scharf getrennt seien, sondern sich vielmehr gegenseitig zu kontrollieren haben. Auf diese Art sei die Freiheit der Einzelnen zu schützen und ein Übergewicht zu Gunsten einer Gewalt zu verhindern. Daher dürfe keine Gewalt eine andere Gewalt um die verfassungsgemäßen Aufgaben ihres Zuständigkeitsbereichs berauben. Dies liege jedoch noch nicht bei einer gewissen Gewichtsverlagerung vor, sondern erst bei einem Einbruch in den Kernbereich einer Gewalt. So stellte das BVerfG fest, dass "[n]icht jede Einflußnahme des Parlaments auf die Verwaltung bedeutet schon einen Verstoß gegen die Gewaltenteilung. Selbst eine gewisse Gewichtsverlagerung auf Kosten der Exekutive zugunsten des Parlaments ist in der parlamentarischen Demokratie unbedenklich. Erst wenn zugunsten des Parlaments ein Einbruch in den Kernbereich der Exekutive erfolgt, ist das Gewaltenteilungsprinzip verletzt. " [26]

Klausurtaktik

In der Klausur ist daher immer auf den Sachverhalt zu achten. Wird eine Beschränkung des klassischen Aufgabenbereichs und Kompetenzen einer Gewalt beklagt? Stellen diese den originären Kernbereich, die Haupttätigkeit der Gewalt dar? Beispielsweise die Ausführung und Durchsetzung von Gesetzen für die Exekutive, der Beschluss von Gesetzen durch die Legislative oder die Rechtsprechung durch die Judikative?

2. Kernbereiche der jeweiligen Gewalten

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Wann ein solches Übergewicht zu Gunsten einer Gewalt oder ein Eingriff in den Kernbereich einer anderen Gewalt vorliegt, muss stets im Einzelfall festgestellt werden.

Beispiel zum Kernbereich: Ein Gesetz erlaubt der Exekutive (Bundesministerium A) Genehmigungen für Atomkraftwerke zu erteilen. Aufgrund dieses Gesetzes erteilt das Bundesministerium A eine Genehmigung für den Bau eines speziellen neuen Typs eines Atomkraftwerkes. Gegen die Genehmigung und das Gesetz wird geklagt. Dabei wird vorgetragen, dass eine so wichtige Entscheidung, wie die Genehmigung zum Bau eines so speziellen Atomkraftwerkes, vom direkt gewählten Parlament mitentschieden werden müsse. Das jetzige Vorgehen würde gegen das Demokratieprinzip gem. Art. 20 I, II GG, die Gewaltenteilung gem. Art. 20 II 2 GG und das Rechtsstaatsprinzip gem. Art. 20 III GG verstoßen. In dem hier stark vereinfachten Fall entschied das BVerfG, dass das Parlament keinen allumfassenden Vorrang bei grundlegenden, politischen Entscheidungen habe. Die Gewaltenteilung im Grundgesetz gebe beispielsweise der Exekutive über das Organ des:der Bundeskanzler:in gem. Art. 65 S. 1 GG ausdrücklich die Richtlinienkompetenz für politische Entscheidungen. Der Bundestag könne jedoch gem. Art. 67 I 1 GG dem:der Bundeskanzler:in das Misstrauen aussprechen und eine:n neue:n Bundeskanzler:in wählen. [27]

An diesem Beispiel lässt sich der Kernbereich der Exekutive erklären. Die Exekutive führt die Gesetze aus, sie erteilt auf Grundlage der Gesetze Genehmigungen und vollzieht das Recht. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um einen BAföG-Bescheid oder die Genehmigung zum Bau eines Atomkraftwerkes handelt. Das Argument, dass die Entscheidung besonders weitreichende Folgen habe, schlägt nicht durch. Die direkte demokratische Legitimation des Parlaments durch die Wahlen führt ebenso nicht dazu, dass es in andere Gewalten eingreifen dürfe oder höher zu gewichten sei. Daraus kann auch umgekehrt festgestellt werden, dass der Legislative kein allumfassender Parlamentsvorbehalt zusteht.[28]

Darüber hinaus steht der Exekutive ein Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung zu. Das bedeutet, dass es Bereiche der Exekutive gibt, beispielsweise Entscheidungsfindungsprozesse und Beratungen, denen der Zugriff durch Untersuchungsausschüsse verwehrt bleibt, also die Exekutive sich dazu nicht äußern muss.[29] Für die Judikative regelt dagegen bereits das Grundgesetz in Art. 92 GG ausdrücklich, dass den Gerichten das Rechtsprechungsmonopol zusteht.[30] Daraus folgt, dass eine Gesetzesänderung, die Behörden Rechtsprechungskompetenzen übertragen würde, mit dem Kernbereich der Judikative nicht vereinbar wäre und somit gegen die Gewaltenteilung verstoßen würde. So bleibt festzuhalten, dass in den übrigen Fällen anhand der Gesamtstruktur der gegenseitigen Kontrolle der Gewalten stets im Einzelfall deren Grenzen auszuloten sind.

Eine unmittelbare Folge aus der Gewaltenteilung oder ein direkter Verstoß prägen die Gewaltenteilung nicht so stark, wie ihr Einfluss auf die Auslegung des Verfassungsrechts und die Gesetzgebungsverfahren. Hier kann die Gewaltenteilung als Argumentationsstütze herangezogen werden.[31]

Klausurtaktik

In einer Klausur ist daher die Konstellation denkbar, dass ein Untersuchungsausschuss von der Regierung die Herausgabe von Dokumenten verlangt. Hier kann geprüft werden, ob die Regierung dies aufgrund des Kernbereichs der exekutiven Eigenverantwortung verweigern kann.

Darüber hinaus ist die Gewaltenteilung stets bei der Prüfung einer materiellen Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes heranzuziehen, um bei Kompetenzverschiebungen einen Eingriff in den Kernbereich einer anderen Gewalt zu prüfen, beispielsweise Rechtssprechungsrechte für Exekutivorgane.

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Weiterführende Studienliteratur

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  • Möllers, Dogmatik der grundgesetzlichen Gewaltengliederung, Archiv des öffentlichen Rechts 2007, 493.
  • Voßkuhle/Kaufhold, Grundwissen öffentliches Recht: Der Grundsatz der Gewaltenteilung, JuS 314.

Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte

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  • Es gibt die drei Gewalten der Legislative, Exekutive und Judikative.
  • Gewaltenteilung ist als Gesamtkonzept der gegenseitigen Kontrolle zu verstehen.
  • Das Grundgesetz kennt keine absolute Trennung der Gewalten.
  • Es darf zwischen den Gewalten nicht zu einem Übergewicht zu Gunsten einer Gewalt kommen.
  • Jeder Gewalt steht ein exklusiver Kernbereich zu, worauf keine Zugriffsmöglichkeiten für die anderen Gewalten besteht.

Dieser Text wurde von der Initiative für eine offene Rechtswissenschaft OpenRewi erstellt. Wir setzen uns dafür ein, Open Educational Ressources für alle zugänglich zu machen. Folge uns bei Bluesky oder X oder trage dich auf unseren Newsletter ein.

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Inhaltsverzeichnis des Buches

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1. Kapitel – Die Grundlagen des Staatsorganisationsrechts - Verfassung und Staat als zentrale Anknüpfungspunkte

2. Kapitel – Staatsstrukturprinzipien – Die Fundamentalnormen des Staates

3. Kapitel – Staatszielbestimmungen

4. Kapitel – Verfassungsorgane

5. Kapitel – Kompetenz und Verfahren

6. Kapitel – Verfassungsgerichtsbarkeit

7. Kapitel – Methodik der Fallbearbeitung im Staatsorganisationsrecht

Fußnoten

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  1. Maurer, Staatsrecht I, 6. Aufl. 2010, § 12 Rn. 4.
  2. Maurer, Staatsrecht I, 6. Aufl. 2010, § 12 Rn. 8 ff.
  3. Möllers, AoR 2007, 493 (496 f).
  4. Maurer, Staatsrecht I, 6. Aufl. 2010, § 12 Rn. 22 ff.
  5. Maurer, Staatsrecht I, 6. Aufl. 2010, § 12 Rn. 1 ff.
  6. Voßkuhle/Kaufhold, JuS 2012, 314 (314 f).
  7. Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL. 7.2021, Art. 20 Rn. 109 ff.
  8. Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 7.2021, Art. 20 Rn. 114 ff.
  9. Siehe dazu Scheppele, VerfBlog, 24.10.2016; Sangi, VerfBlog, 14.10.2016; sowie von Bogdandy, VerfBlog, 31.3.2016.
  10. Teilweise wird auch der Begriff der Gliederung anstatt der Trennung vorgeschlagen, da das Grundgesetz gerade keine Trennung vollziehe, vgl. Möllers, AoR 2007, 493 (501).
  11. BVerfG, Urt. v. 17.7.1984, Az.: 2 BvE 11, 15/83 = BVerfGE 67, 100 (130) - Flick-Untersuchungsausschuss.
  12. Ebenso sind auch andere Anknüpfungspunkte denkbar, wie eine Ableitung aus der Gesamtstruktur des Grundgesetzes, darauf hinweisend: Sachs, in Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 20 Rn. 75.
  13. BVerfG, Urt. v. 17.7.1984, Az.: 2 BvE 13/83 = BVerfGE 68, 1 (86) - Atomwaffenstationierung.
  14. BVerfG, Urt. v. 15.12.1970, Az.: 2 BvF 1/69 u.a.= BVerfGE 30, 1 (27 f.) - Abhörurteil.
  15. BVerfG, Urt. v. 17.7.1996, Az.: 2 BvF 2/93 = BVerfGE 95, 1 (15) - Südumfahrung Stendal.
  16. Sehr anschaulich dazu, BVerfG, Urt. v. 17.7.1996, Az.: 2 BvF 2/93 = BVerfGE 95, 1 (15) - Südumfahrung Stendal.
  17. Maurer, Staatsrecht I, 6. Aufl. 2010, § 12 Rn. 15.
  18. Das gleiche gilt für parlamentarische Staatssekretär:innen. Diese behalten ihr Bundestagsmandat und führen zusätzlich, im Rahmen eines öffentlichen-rechtlichen Amtsverhältnisses, Aufgaben der Exekutive aus. Siehe dazu § 1 ParlStG.
  19. Dieses Recht steht jedoch ebenso dem Bundestag zu, sofern er das Quorum von einem Viertel der Mitglieder des Bundestages erreicht.
  20. Auf Landesebene erfolgt die Ernennung von Richer:innen dagegen regelmäßig durch Ausschreibungen der Landesjustizministerien und somit durch die Exekutive oder durch einen sogenannten Richterwahlausschuss (siehe dazu beispielhaft für das Land Berlin § 11 ff. RiGBln).
  21. Siehe dazu die unvereinbaren Aufgaben gem. § 4 DRiG.
  22. Vgl. dazu anschaulich BVerfG, Urt. v. 12.11.1997, Az.: 1 BvR 479/92 u.a. = BVerfGE 96, 375 (394) - Kind als Schaden.
  23. Kritisch dazu: Rüthers, Die heimliche Revolution vom Rechtsstaat zum Richterstaat, 2. Aufl. 2016, S. 107 ff.
  24. Siehe dazu die unvereinbaren Aufgaben gem. § 4 DRiG.
  25. Vgl. BVerfG, Urt. v. 17.7.1996, Az.: 2 BvF 2/93 = BVerfGE 95, 1 (15) - Südumfahrung Stendal.
  26. Vgl. BVerfG, Urt. v. 27.4.1959, Az.: 2 BvF 2/58 = BVerfGE 9, 268 (279-280) - Bremer Personalvertretung.
  27. BVerfG, Beschl. v. 8.8.1978, Az.: 2 BvL 8/77 = BVerfGE 49, 89 (125) - Kalkar I.
  28. Mit weiteren Ausführungen dazu, Sachs, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 20 Rn. 88.
  29. BVerfG, Urt. v. 17.7.1984, Az.: 2 BvE 11, 15/83 = BVerfGE 67, 100 (139) - Flick-Untersuchungsausschuss.
  30. Kotzur, in: von Münch/ Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 20 Rn. 134.
  31. Sachs, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 20 Rn. 93.