Pathologie: Ursachen und Folgen

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Ursachen von zellulären Schäden[Bearbeiten]

  • Physikalisch: Mechanische Einwirkung, Strahlung, Hitze, Kälte, Elektrizität
  • Chemisch: Säuren/Laugen/pH-Verschiebung, Toxine, Pharmaka, ROS (reaktive Sauerstoffspezies)
  • Mikrobiell: Viren, Bakterien, Parasiten, Pilze
  • Metabolisch-nutritiv: Über- oder Unterversorgung mit Nährstoffen
  • Hypoxie (Sauerstoffmangel) und Ischämie (Durchblutungsstörungen)
  • Immunologische Reaktionen (autoaggressiv oder „Kollateralschaden“)
  • Genetische Störungen (Enzymdefekte, Chromosomenaberration, erbliche Dispositionen)

Noxen können akut oder chronisch, einzeln oder kombiniert in unterschiedlichem Ausmaß einwirken.

Allgemeine Schädigungsmechanismen[Bearbeiten]

  • Membranschädigung
    • Plasmalemm: Wasser- und Ca2+-Einstrom -> Hydropische Schwellung der Zelle und der Zellorganellen, Mitochondrienschädigung, Enthemmung Ca2+-aktivierter Enzyme
    • Mitochondrien (s.u.)
    • Lysosomen -> Freisetzung von zellulären Verdauungsenzymen -> Autolyse
  • Mitochondrienschädigung
    • -> ATP-Defizit
      • -> Steigerung der anaeroben Glycolyse -> Azidose (Lactat)
      • -> Erliegen der Na+/K+-Pumpe -> Zusammenbruch der Ionengradienten und der sekundären Transportprozesse -> Wasser- und Ca2+-Einstrom (s.o.)
      • -> Erliegen des Zellstoffwechsels (viele ATP-abhängige Reaktionen inklusive der Proteinbiosynthese)
    • Freisetzung von Cytochrom c -> Apoptose-Induktion
  • DNA-Schädigung (Mutationen) -> Zelltod, bei Stammzellen Krebsentstehung, bei Keimzellen Enzymdefekte u.a.
  • Hemmung der Proteinsynthese -> Mangel an Bauproteinen, Enzymen usw.
  • Akkumulation von physiologischen oder pathologischen Stoffwechselprodukten durch vermehrten Anfall oder Störung der Weiterverstoffwechselung

Spezielle Schädigungsmechanismen findet man im Kapitel Exogene Noxen.

Folgen[Bearbeiten]

  • Reversibler Zellschaden -> Regeneration
  • Irreversibler Zellschaden (in Art und/oder Ausmaß)
    • -> Nekrose (bei massiver Schädigung)
    • -> Apoptose-Induktion (eher bei geringergradiger nicht-letaler Schädigung)
    • -> Maligne Transformation (bei irreparablen DNA-Schäden, wenn keine Apoptose induziert wird)
    • -> Defekte (pathologische Veränderungen von Zellorganellen)

Morphologisch sichtbare Schäden der Zellorganellen[Bearbeiten]

Viele pathologische Prozesse führen zu mehr oder weniger spezifischen Veränderungen einzelner Zellorganellen in bestimmten Zellpopulationen. Diese sind neben der Histologie und anatomischen Pathologie vielfach wegweisend bei der Diagnose und Beurteilung von Erkrankungen.

Zellkern[Bearbeiten]

  • Unspezifische Reaktionen des Zellkerns auf Noxen
    • Kernschwellung
    • Kernpyknose - Kernschrumpfung durch Kondensation des Chromatins
    • Karyorrhexis - Kernfragmentierung
    • Karyolyse - Kernzerfall
    • Apoptose - Suizidprogramm der Zelle, ausgelöst durch Aktivierung des Fas-Ligand-Rezeptor-Weges oder Freisetzung von Cytochrom C aus den Mitochondrien -> morphologisch: Apoptosekörperchen
  • Kerneinschlüsse
    • Glykogen („Lochkerne“) - Z.B. bei Diabetes mellitus
    • Zytoplasma („Milchglaskerne“) - Z.B. beim papillären Schilddrüsenkarzinom
    • Viren („Eulenaugen“) - Einschluss von Virusmaterial, z.B. bei CMV-Infektion
  • Mehrkernige Riesenzellen - Sie entstehen durch Verschmelzung mehrerer Zellen oder bei inhibierter Zellteilung und kommen sowohl physiologisch als auch im Rahmen pathologischer Prozesse vor.
    • Physiologisch: Skelettmuskelzellen, Megakaryozyten, Osteoklasten, Trophoblast
    • Pathologisch:
      • Histiozytäre Zellen:
        • Fremdkörper-Riesenzellen - Typisch in Fremdkörpergranulomen, die Zellkerne sind etwas zufällig und oft in einem Haufen zusammengelagert, Nachweis von birefringentem (doppelbrechendem) Fremdmaterial.
        • LANGHANS-Riesenzellen - In Tuberkulosegranulomen, die Kerne sind hufeisenförmig angeordnet
        • ANITSCHKOW-Riesenzellen - Bei rheumatischer Myokarditis
        • TOUTON-Riesenzelle - Schaumzellen, bei denen um eine kleine schaumfreie Insel mehrere Kerne ringförmig angeordnet sind, Vorkommen z.B. bei juveniler Xanthogranulomatose
        • Riesenzelle bei Epulis
      • Tumor-Riesenzellen:
        • REED-STERNBERG-Riesen-Zellen (Morbus HODGKIN)
        • Karzinom/Sarkom-Riesenzellen
  • Polymorphie - Zeichen der Malignität
Typische große intranukleäre Einschlußkörperchen mit klarem Halo bei CMV-Infektion der Niere.
LANGHANS- Riesenzellen in einem Tbc-Granulom, transbronchiale Biopsie
Fremdkörper- Riesenzellen bei Aspirationspneumonie, Autopsiepräparat, H&E.
Riesenzelle und diffuser Alveolarschaden bei SARS-Infektion.
Riesenzelle mit intrazytoplasmischen inclusion bodies bei Masernpneumonie, Histopathologie.
TOUTON-Riesenzelle bei juveniler Xanthogranulomatose.
Physiologische Riesenzellen (Osteoklasten), hier am unphysiologischen Ort (heterotope Ossifikation in der Lunge). H&E.

Nukleolus[Bearbeiten]

  • Vergrößerung

Zeichen eines erhöhten RNA-Umsatzes und damit Indikator für Aktivität, Proliferation oder Malignität der Zelle.

  • Veränderungen

Schalen-, Ring-, Schwammnukleolen

  • AgNOR - Versilberbare Nucleolus-Organisator-Regionen

Anzahl, Größe und Fläche geben Auskunft über Aktivität und Malignität

Glattes Endoplasmatisches Retikulum[Bearbeiten]

Pathologische Veränderungen:

  • Feinvakuoläre Degeneration
  • Hyperplasie bei chronischer Detoxifikation, z.B. in der Leberzelle bei langjähriger Medikamenteneinnahme
  • Milchglaszellen bei Hepatitis B durch Ablagerung von HBs-Ag
  • Dilatation und Zisternenbildung bei zellulären Sekretionsstörungen

Raues Endoplasmatisches Retikulum[Bearbeiten]

Vergrößerung bei gesteigerter und/oder gestörter Funktion (vakuoläre Degeneration), z.B. bei Fibroblastom (Fibroblastentumor) oder Osteogenesis imperfecta (Osteoblasten).

Golgi-Apparat[Bearbeiten]

  • Sekretionsstörungen führen zu Dilatation und Einschlüssen
  • Verstärkte Sekretionsleistung führt zur Hyperplasie

Mitochondrien[Bearbeiten]

  • Verkalkung (Mitochondrien sind Kalziumfänger)
  • Megamitochondrien bei chronisch-toxischen Einflüssen
  • Schwellung: Crista-Typ (reversibel) oder Matrixtyp (irreversibel)
  • Feingranuläre Degeneration, trübe Schwellung
  • Einschlüsse
  • In Onkozyten (geschwollene, eosinophile Zellen mit vergrößerten Mitochondrien)

Lysomen[Bearbeiten]

  • Lysosomale Restkörperchen - Bestehen aus Ablagerungen von Lipofuszin (Alterspigment)
  • Lysosomale Defekte - CHEDIAK-HIGASHI, Morbus WHIPPLE
  • Lysosomale Speicherkrankheiten - Morbus POMPE, Morbus GAUCHER, Morbus NIEMANN-PICK

Zellmembran[Bearbeiten]

Z.B. Verlust der Mikrovilli des Darmepithels bei Zöliakie.

Zytoplasma[Bearbeiten]

Verschiedene Viren führen zu intrazytoplasmatischen Einschlusskörperchen, so z.B. Tollwutviren (Negri bodies).

Purkinje-Zelle des Kleinhirns mit zytoplasmatischen NEGRI bodies bei Tollwut, post mortem.

Zelltod[Bearbeiten]

Apoptose

„Programmierte Zelltod“

Ursachen:

  • Freisetzung von Cytochrom c aus Mitochondrien oder Bindung von Fas-Ligand an den Fas-Ligand-Rezeptor (Todes-Rezeptor) -> Aktivierung von Caspasen -> Aktivierung von Proteasen, Endonucleasen usw., die den Zellkern und andere Zellbestandteile fragmentieren.
  • Aktiver, energieverbrauchender Prozess der Zelle („Suizidprogramm“).
  • Das Apoptose-Programm wird durch intra- und extrazelluläre Signal getriggert. Pathologische Auslöser sind Zellschäden (Mitochondrien, DNA). Physiologisch werden mittels Apoptose gezielt überflüssige oder gefährliche Zellen ausgeschaltet, z.B. im Rahmen der embryologischen Entwicklung oder zur Abtötung autoreaktiver T-Zell-Klone im Thymus.

Mikro: Keine Entzündungsreaktion, Beginn mit Kernpyknose, später Apoptose-Körperchen, Phagozyten (Makrophagen).

Nekrose

Nekrose ist das intravitale Absterben von Zellen. Es beinhaltet den Zelltod und die Abwehrreaktion des Körpers (Inflammation). Die Nekrose ist immer pathologisch.

Mikro: (nach Ablauf der Manifestationszeit!)

  • Zellschwellung
  • Homogenisierung des Zytoplasmas
  • Azidophilie, Eosinophilie
  • Kernpyknose, -lyse, -rhexis
  • Verlust zellspezifischer Parameter (z.B. Querstreifung beim Herzinfarkt)
  • Entzündungsreaktion

Einteilung nach Ausmaß:

  • Einzellzellnekrosen
  • Gruppenzellnekrosen - Bsp.: Tubulusnekrosen bei der Schockniere
  • Gewebs-/Organnekrosen

Morphologische Formen:

  • Koagulationsnekrose - Eiweißdenaturierung, Verfestigung, Narbenbildung, Bsp.: Anämische Infarkte in eiweißreichen Organen (Herz, Niere, Milz), Säureverätzungen
  • Kolliquationsnekrose - Verflüssigung, Pseudocysten statt Narben, Bsp.: Infarkt in eiweißarmen, fettreichen Organen (Gehirn), Laugenverätzungen, bakteriell infizierte Nekrosen

SF:

  • Enzymatische Fettgewebsnekrose - Bsp.: Pankreatitis: Die freigesetzten Lipasen setzten aus dem Fettgewebe z.B. des Mesenteriums Fettsäuren frei, die mit Calzium Kalkseifen bilden.
  • Traumatische Fettgewebsnekrose
  • Käsige Nekrose - Bsp.: Tbc (Epitheloidzelliges Granulom mit LLANGHANS-Riesenzellen und zentraler käsiger Nekrose)
  • Gangränöse Nekrose (chirurgischer Begriff)
    • Trockene Gangrän - Oft oberflächlich, Koagulationsnekrose
    • Feuchte Gangrän - Sekundärinfektion mit Fäulniserregern (Anaerobier), Verflüssigung und übler Geruch
  • Hämorrhagische Nekrose - Nekrose mit Einblutung, Bsp.: Hämorrhagische Pankreatitis
  • Fibrinoide „Nekrose“ - Keine echte Nekrose, Entstehung im Bindegewebe oder in der glatten Muskulatur, Makrophagenreaktion (Histiozyten), Bsp.: Autoimmunerkrankungen (CP, M. Wegener).
  • Infarkt: Nekrose durch mangelnde Blut- (Ischämie) oder Sauerstoffverorgung (Hypoxie), z.B. durch arterielle Thrombose, Embolie, Kompression von außen, Schock.
    • Anämischer Infarkt - Makro: Blass.
    • Hämorrhagischer Infarkt - Makro: Rotbraun.
      • primär: Immer bei Lunge und Leber (doppelte Blutversorgung) sowie Darm (venöse Kollateralen)
      • sekundär: Einblutung nach anämischem Infarkt aus der Randzone, gehäuft z.B. nach Lysetherapie eines akuten Herzinfarktes
Myokardinfarkt 7.Tag, Sektionspräparat, H&E-Färbung.
Traumatische Nekrose.
Gangrän bei pAVK.
Hämorrhagischer Dünndarminfarkt bei inkazerierter Hernie, H&E.
Idem. Beginnende Entzündungsreaktion

Regeneration[Bearbeiten]

Die Regenerationsfähigkeit verhält sich reziprok zur Gewebedifferenzierung.

  • Physiologische Regeneration
    • Einmalig: Milchgebiss
    • Zyklisch: Endometrium
    • Dauernd: „Mausergewebe“, z.B. Endothel, Epidermis, hämatopoetisches System, Spermatogenese
  • Pathologische bzw. reparative Regeneration
    • Vollständig: Restitutio ad integrum.
    • Unvollständig: Defektheilung mit Bildung von Ersatzgewebe (Narbe).

Wundheilung[Bearbeiten]

Phasen:

  • Exsudationsphase (seröses Exsudat, Antikörper, Fibrin, Plasmafaktoren)
  • Resorptionsphase (Granulozyten, Makrophagen, Lymphozyten)
  • Proliferationsphase (Fibroblasten, Myofibroblasten, Kapillareinsprossung (Granulationsgewebe), Reepithelialisierung)
  • Reparationsphase (Bildung extrazellulärer Matrix v.a. Kollagen, Schrumpfung) -> Narbe (nach 3 Monaten volle Belastbarkeit).

Formen der Wundheilung:

  • Primäre Wundheilung (per primam, p.p.) - Frische, saubere Wunde, adaptierte Wundränder - rasche Heilung, minimale Bindegewebsneubildung und geringe Narbenbildung.
  • Sekundäre Wundheilung (per secundam, p.s.) - Ältere, offene, infizierte, chronische Wunden - Heilung aus der Tiefe, längere Heilungsdauer, Narbenbildung.

Störungen:

  • „Wildes Fleisch“ : Überschießendes Granulationsgewebe.
  • Narben-Keloid : Hypertrophische Narbe bei überschießender Bindegewebsbildung.
  • Kontrakturen : Insbesondere bei großflächigen Verbrennungen durch starke Schrumpfung der Narben.
  • Infektionen : Verzögerte Wundheilung, je nach Erreger und Abwehrlage eitrig-phlegmonöse/abszedierende Entzündung, Sepsis, verstärkte Narbenbildung,...
Defektheilung mit überschießender Narbenbildung nach schwerer Verbrennung.
Primäre Wundheilung, Pyloromyotomie-Narbe 30 Std. nach OP.
Granulationsgewebe nach Verletzung am Finger.
Granulationsgewebe bei infizierter Wunde. H&E.

Knochenheilung nach Frakturen[Bearbeiten]

Arten der Knochenheilung:

  • Primäre/direkte Knochenheilung (nur bei anatomischer Reposition und Ruhigstellung, Osteosynthese) : direkte knöcherne Überbrückung des Frakturspalts (Osteoklasten bohren sich in den gegenüberliegenden Knochen, Osteblasten füllen die verbindenden Kanälchen wieder auf).
  • Sekundäre/indirekte Knochenheilung (bei konservativer Frakturbehandlung) : Frakturhämatom -> Kallusbildung (bindegewebige Organisation) -> Faserknochen -> Lamellenknochen

Störungen:

  • Pseudarthrose - Bindegewebige Überbrückung des Frakturspalts. Hypertrophe Pseudarthrose durch mangelnde Ruhigstellung, atrophe Pseudarthrose durch mangelnde Versorgung.
  • Frakturkrankheit, SUDECK-Dystrophie - Lokale Atrophie und Schrumpfung von Muskeln, Knorpel, Knochen, Gelenkkapsel und Bandapparat in der Nähe der Fraktur durch chronische Störungen der Trophik (Mikrozirkulation, Innervation).
  • VOLKMANN-Kontraktur - Ischämische und/oder neurogene Kontraktur der Armmuskulatur nach inadäquat versorgter Humerusfraktur mit Kompression der A. brachialis, des N. ulnaris, des N. medianus oder anderer Strukturen. Nekrose und Atrophie der Unterarmmuskulatur, besonders der Flexoren, die Hand befindet sich häufig in Krallenhandstellung.
  • Osteomyelitis - Bakterielle Entzündung des Knochenmarks, insbesondere bei offenen Frakturen zu erwarten.

Nervenheilung[Bearbeiten]

Periphere Nerven können heilen, da sich jede Schwannsche Gliazelle in zahlreichen Windungen um jeweils nur ein Axon wickelt und nach Absterben des Axons die Axonhülle stehen bleibt. Im ZNS isolieren Oligodendrozyten gleichzeitig zahlreiche Axone, hier ist keine Heilung möglich.

Verletzung mit Durchtrennung des Axons -> WALLER'sche Degeneration des peripheren Axonteils -> proximales Axon wächst wieder in die stehengebliebene periphere Axonhülle (ca. 1 mm/Tag). Voraussetzung: Genaue Adaptation, z.B. durch Nervennaht.

Störungen:

  • Neurom - Bei Amputationsverletzungen oder nicht adaptierten durchtrennten Nerven wachsen die Axone unkontrolliert aus und bilden schmerzempfindliche Nervenfaserknoten.