18 Monate auf Bewährung Lösung

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Autor: Sebastian Röder

Notwendiges Vorwissen: Keines

Behandelte Themen: Voraussetzungen des Chancen-Aufenthaltsrechts, Anforderungen an das Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung, Einreise- und Aufenthaltsverbot

Zugrundeliegender Sachverhalt: 18 Monate auf Bewährung

Schwierigkeitsgrad: Anfänger*innen und Fortgeschrittene


A. Vorüberlegung[Bearbeiten]

K fragt danach, ob er mit seiner Familie nach Deutschland bleiben "darf", also nach Möglichkeiten der Aufenthaltslegalisierung. Für den rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland benötigen Ausländer*innen grundsätzlich einen der in § 4 I 2 AufenthG abschließend aufgeführten Aufenthaltstitel (§ 4 I 1 AufenthG). Die – nach Verkürzung der erforderlichen Voraufenthaltszeiten auf sechs bzw. vier Jahre denkbare – Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b I, IV AufenthG an K, E und T scheitert derzeit jedenfalls an der Regelung des § 25b I 2 Nr. 3 AufenthG, die eine überwiegende Lebensunterhaltssicherung "durch Erwerbstätigkeit" verlangt, die K und E gerade nicht ausüben.

B. Aufenthaltserlaubnis nach 104c AufenthG (Chancen-Aufenthaltsrecht)[Bearbeiten]

I. Chancen-Aufenthaltsrecht für K (§ 104c I AufenthG)[Bearbeiten]

K müsste zunächst sämtliche Erteilungsvoraussetzungen erfüllen und es dürften keine Versagungsgründe vorliegen.

1. „Geduldeter“ Ausländer[Bearbeiten]

Laut Sachverhalt ist K aktuell im Besitz einer Duldung und deshalb „geduldeter Ausländer“ im Sinne des § 104c AufenthG.

2. Stichtagsgebundener Voraufenthalt[Bearbeiten]

K müsste sich am 31.10.2022 seit fünf Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis in Deutschland aufgehalten haben, also zunächst einmal vor dem 1.11.2017 nach Deutschland eingereist sein. K kam im Juli 2017 nach Deutschland. Fraglich ist aber, ob er sich seitdem ununterbrochen im Sinne des § 104c I 1 AufenthG in Deutschland aufgehalten hat. Daran könnten Zweifel bestehen, weil K sich im Oktober 2020 für einige Tage zu Arbeitszwecken in den Niederlanden aufgehalten hatte. Auf den ersten Blick scheint die Formulierung „ununterbrochen“ einen durchgängigen Aufenthalt in Deutschland zu fordern, mit der Folge, dass jeder noch so kurze Auslandsaufenthalt schädlich wäre, also die „Uhr wieder auf Null“ setzen würde. Im Unterschied etwa zu § 25b AufenthG wird der ununterbrochene Aufenthalt auch nicht nicht nur "regelmäßig" gefordert (vgl. § 25b I 2 AufenthG). Bei genauerem Hinsehen lässt sich die Formulierung aber auch so verstehen, dass nicht der tatsächliche Aufenthalt, sondern vielmehr die „Statuskette“ ununterbrochen gewesen sein muss. [1] K besaß zum Zeitpunkt seiner arbeitsbedingten Ausreise in die Niederlande als Folge seines Asylantrags eine kraft Gesetzes bestehende Aufenthaltsgestattung (§ 55 I 1 AsylG). Auf deren Fortbestand hatte das kurzfristige Verlassen Deutschlands keinerlei Auswirkungen, weil keiner der in § 67 I AsylG geregelten Erlöschenstatbestände einschlägig ist. Selbst wenn man auf den tatsächlichen Aufenthalt abstellte, ließe sich die Formulierung so lesen, dass nur Unterbrechungen des „gewöhnlichen“ Aufenthalts schädlich sind. Für eine Lesart, die jedenfalls kurzfristige Ausreisen als unbeachtlich ansieht, spricht auch die Gesetzesbegründung, nach der Unterbrechungen von bis zu drei Monaten unschädlich sein sollen.[2] Da die besseren Argumente dafür sprechen, Ks Aufenthalt in den Niederlanden als unschädlich anzusehen, hielt K sich am Stichtag ununterbrochen im Sinne des § 104c AufenthG in Deutschland auf.

Problematisch könnte schließlich noch sein, dass K erst seit relativ kurzer Zeit eine Duldung besitzt, er die ganz überwiegende Zeit vielmehr mit einem Visum bzw. einer Aufenthaltserlaubnis und später mit einer Aufenthaltsgestattung in Deutschland gelebt hat. Vor dem Hintergrund des gesetzgeberischen Ziels, durch § 104c AufenthG „Kettenduldungen“ zu vermeiden, könnte möglicherweise eine Mindestaufenthaltszeit im Duldungsstatus erforderlich sein. Gerade jener beabsichtigte Präventivzweck, es gar nicht erst zu "Langzeitduldungen" kommen zu lassen, spricht aber gegen eine derartige Beschränkung, die überdies im Wortlaut keinerlei Rückhalt findet, der die verschiedenen Aufenthaltsstatus gleichrangig nebeneinander stellt. Für die insoweit identisch formulierte Vorschrift des § 25b AufenthG hat das BVerwG bereits entschieden, dass alle Voraufenthaltszeiten anzurechnen sind, die von einem aufenthaltsregelnden Verwaltungsakt gedeckt waren oder in denen eine Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unzulässig war. [3] Diese Rechtsprechung dürfte grundsätzlich auf § 104c AufenthG übertragbar sein, nicht zuletzt, weil die Aufenthaltserlaubnis perspektivisch unmittelbar nur in eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG (oder § 25a AufenthG) münden kann (vgl. § 104c III 4 AufenthG). Bei einem Visum handelt es sich zwar nicht um eine Aufenthaltserlaubnis, die § 104c I 1 AufenthG eigentlich voraussetzt. Gemäß § 6 III 3 AufenthG wird die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts mit einem nationalen Visum aber auf die Zeiten des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis angerechnet.

3. Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung[Bearbeiten]

Gemäß § 104c I 1 Nr. 1 AufenthG muss K sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekennen. Zur Erfüllung dieser – etwa auch in § 25b I 2 Nr. 2 AufenthG und § 10 I 1 Nr. 1 StAG enthaltenen – Voraussetzung, wird in der Verwaltungspraxis regelmäßig die Abgabe einer formularmäßigen Erklärung verlangt.[4] Weil es sich bei dem Bekenntnis um kein bloßes Lippenbekenntnis handeln dürfe, vielmehr eine glaubhafte Hinwendung zu den verfassungsrechtlichen Grundprinzipien erforderlich sei, gehen Teile der Rechtsprechung davon aus, dass die Ausländerbehörden nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet seien, das Vorhandensein entsprechender Grundkenntnisse im Rahmen einer persönlichen Befragung zu überprüfen. [5] Hält man eine solche Befragung, die üblicherweise im Rahmen der persönlichen Vorsprache zur Abgabe der Fingerabdrücke und Aushändigung der Passfotos für den elektronischen Aufenthaltstitel (eAT) erfolgt, für zulässig, müsste sich K dieser stellen, könnte (und sollte) sich darauf also vorbereiten.

Weiterführendes Wissen

Ein gesetzlich vorgegebener Maßstab für diese „Prüfung“ existiert nicht. Dementsprechend verläuft diese in der Praxis ganz unterschiedlich. So werden teilweise Fragen aus dem Test „Leben in Deutschland“ gestellt, teilweise wird den Personen das oben genannte Formular im Rahmen der persönlichen Vorsprache zum Zwecke einer kurzen Lektüre ausgehändigt und dann die Wiedergabe in eigenen Worten verlangt. Diese Verwaltungspraktiken sind mit Blick auf den Gesetzesvorbehalt problematisch, weil sie „durch die Hintertür“ Voraussetzungen einführen – etwa ein bestimmtes Sprachniveau oder, vom Bekenntnis zu unterscheidende, Grundkenntnisse zur Rechts- und Gesellschaftsordnung und den Lebensverhältnissen im Bundesgebiet –, die das Gesetz gar nicht vorsieht. Die Voraussetzung des Bekenntnisses enthält zwar einen materiell-rechtlichen Kern. Dies schließt es aber nicht aus, weitere Nachforschungen nur dann für erforderlich zu halten, wenn konkrete Anhaltspunkte bestehen, dass das Bekenntnis nicht von einer entsprechenden inneren Haltung getragen sein könnte [6].

4. Keine strafrechtliche Verurteilung[Bearbeiten]

K dürfte nicht wegen einer vorsätzlich begangenen Straftat oberhalb der in § 104c I 2 Nr. 2 AufenthG genannten Bagatellgrenzen verurteilt worden sein. Dafür bestehen im Sachverhalt keine Anhaltspunkte. Die strafrechtliche Verurteilung von E schließt die Erteilung des Chancen-Aufenthaltsrechts an K nicht aus, weil eine § 60d I Nr. 7 AufenthG vergleichbare – in einem frühen Gesetzesentwurf noch vorgesehene – Zurechnungsnorm nicht existiert.

5. Keine wiederholte Täuschung / Falschangabe[Bearbeiten]

Die Aufenthaltserlaubnis soll versagt werden, wenn die betroffene Person wiederholt vorsätzlich falsche Angaben gemacht oder über ihre Identität oder Staatsangehörigkeit getäuscht hat und dadurch ihre Abschiebung verhindert. Anhaltspunkte dafür enthält der Sachverhalt nicht.

6. Allgemeine Erteilungsvoraussetzungen (§ 5 AufenthG)[Bearbeiten]

Von den vor die Klammer gezogenen allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 I Nr. 1, 1a und 4 sowie § 5 II AufenthG suspendiert § 104c AufenthG für die Erteilung des Chancen-Aufenthaltsrechts zunächst. Für ein aktuell bestehendes Ausweisungsinteresse nach der auch im Rahmen von § 104c AufenthG anwendbaren Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 I Nr. 2 AufenthG fehlen Anhaltspunkte.

7. Titelerteilungssperre nach § 10 III 1 AufenthG[Bearbeiten]

Der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis steht auch nicht die Titelerteilungssperre des § 10 III 1 AufenthG entgegen. Der Asylantrag von K wurde zwar unanfechtbar abgelehnt; allerdings gilt das Chancen-Aufenthaltsrecht gem. § 104c III 2 AufenthG als Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 und fällt damit unter die in § 10 III 1 AufenthG genannte Ausnahme ("Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5"). Die qualifizierte Erteilungssperre des § 10 III 2 AufenthG steht nicht entgegen, weil sie eine auf § 30 III Nr. 1 – 6 AsylG gestützte Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet voraussetzt, der Asylantrag von K aber auf Grundlage von § 29a AsylG, also wegen der Staatsangehörigkeit eines sicheren Herkunftsstaates, als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde.

8. Titelerteilungssperre nach § 11 I 2 AufenthG[Bearbeiten]

Fraglich ist, ob § 11 I 2 AufenthG die Erteilung des Chancen-Aufenthaltsrechts hindert. Die Regelung schließt die Erteilung jedweden Aufenthaltstitels aus, wenn ein Ein- und Ausreiseverbot besteht. Dazu verhält sich der Sachverhalt zwar nicht ausdrücklich. Allerdings entspricht es der ständigen Verwaltungspraxis des BAMF, in Fällen, in denen ein Asylantrag gem. § 29a AsylG als offensichtlich unbegründet abgelehnt wird, auf Grundlage von § 11 VII 1 Nr. 1 AufenthG zugleich ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu verfügen. Dies wäre hier durch einen Blick in den Bundesamtsbescheid zu überprüfen. Sollte dieser erwartungsgemäß ergeben, dass ein Einreise- und Aufenthaltsverbot besteht, müsste zur Ermöglichung einer Titelerteilung bei der zuständigen Ausländerbehörde auf dessen Aufhebung hingewirkt werden. Rechtsgrundlage hierfür wäre § 11 VII 2 in Verbindung mit § 11 IV 1 AufenthG, wobei zu Gunsten von K § 11 IV 2 AufenthG griffe, sofern die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorlägen. Dann „soll“ die für die Aufhebung zuständige Ausländerbehörde (vgl. § 11 VII 7 AufenthG) das Einreise- und Aufenthaltsverbot aufheben. Da K sämtliche Voraussetzungen des Chancen-Aufenthaltsrechts erfüllt und dieses gem. § 104c III 2 AufenthG als Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 gilt, stehen die Chancen einer Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gut.

9. Rechtsfolge[Bearbeiten]

Gem. § 104c I 1 AufenthG soll die Aufenthaltserlaubnis bei Erfüllung aller Bedingungen erteilt werden. Für einen atypischen Fall, der die Erteilung nach der Rechtsprechung des BVerwG ins Ermessen der zuständigen Ausländerbehörde stellen würde [7], ist nichts ersichtlich. Mit 18 Monaten ist die Erteilungsdauer gesetzlich vorgebeben (§ 104c III 3 AufenthG). Die 18 Monate beginnen mit Erteilung der Aufenthaltserlaubnis.

II. Chancen-Aufenthaltsrecht für die Ehefrau E (§ 104c II AufenthG)[Bearbeiten]

Fraglich ist, ob auch E, die Ehefrau von K, einen Anspruch auf Erteilung einer Chancen-Aufenthaltserlaubnis hat. Rechtsgrundlage hierfür könnte § 104c II 1 AufenthG sein, der unter anderem Eheleuten eines nach § 104c I AufenthG Begünstigten ebenfalls einen Soll-Anspruch auf Erteilung des Chancen-Aufenthaltsrechts einräumt und zwar unabhängig davon, ob sich die Person selbst am Stichtag bereits seit fünf Jahren in Deutschland aufgehalten hat. Deshalb ist es unschädlich, dass die erst später eingereiste E die Voraufenthaltszeit in ihrer Person nicht erfüllt. Die Voraussetzungen des § 104c I 1 Nr. 1 und Nr. 2 AufenthG müsste sie aber erfüllen (vgl. § 104c II 1 AufenthG).

§ 104c I 1 Nr. 1 AufenthG macht die Erteilung des Chancen-Aufenthaltsrechts davon abhängig, dass die betroffene Person nicht wegen einer vorsätzlich begangenen Straftat verurteilt wurde, normiert bei nicht-ausländerrechtlichen Straftaten aber eine Ausnahme für Geldstrafen, die insgesamt 50 Tagessätze nicht überschreiten. Beim Erschleichen von Leistungen (§ 265a StGB) handelt es sich nicht um einen im AsylG oder AufenthG geregelten Straftatbestand. Mit 60 Tagessätzen liegt die rechtskräftige und – wie oben bereits geprüft – noch verwertbare Verurteilung oberhalb der Bagatellgrenze.

Weiterführendes Wissen

Bei laufenden Strafverfahren ist das Titelerteilungsverfahren gem. § 79 II AufenthG auszusetzen. Bedroht die zu erwartende Strafe den Anspruch auf den Aufenthaltstitel, liegt wegen der "Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge" ein Fall notwendiger Verteidigung im Sinne von § 140 II StPO nahe. Es ist anerkannt, dass zu den pflichtverteidigungsrelevanten Rechtsfolgen nicht nur die unmittelbaren Strafsanktionen, sondern auch mittelbare Nachteile, wie der Verlust eines Aufenthaltsrechts oder einer konkreten aufenthaltsrechtlichen Perspektive, zählen können. [8]

Da die Tilungungsfristen des BZRG noch nicht abgelaufen sind (§§ 45 f. BZRG), die Verurteilung also noch verwertbar ist (vgl. § 51 Abs. 1 BZRG), und der Gesetzgeber die zwingend zu erfüllende negative Erteilungsvoraussetzung nicht als Ausweisungsinteresse ausgestaltet hat, kann von ihr auch nicht gem. § 5 III 2 AufentG im Ermessenswege abgesehen werden. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG an E scheidet damit aus.

Weiterführendes Wissen

Die – auch im Inland mögliche – Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 AufenthG an E scheitert unter anderem an § 29 III 3 AufenthG. Die Vorschrift schließt den Ehegatt*innennachzug zu Besitzer*innen einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG kategorisch aus. Ob Art. 6 GG / Art. 8 EMRK die Abschiebung der E rechtlich unzulässig machen und somit zumindest einen Anspruch auf weitere Duldung ihres Aufenthalts gem. § 60a II 1 AufenthG besteht, erschiene jedenfalls dann fraglich, wenn die familiäre Lebensgemeinschaft mit K und T auch im Kosovo gelebt werden könnte. Dann wäre E auf die Erteilung einer Ermessensduldung nach § 60a II 3 AufenthG wegen dringender persönlicher Gründe angewiesen.

III. Chancen-Aufenthaltsrecht für die Tochter T (§ 104c II AufenthG)[Bearbeiten]

Fraglich ist, ob T, die vor wenigen Wochen geborene Tochter des K, eine Chancen-Aufenthaltserlaubnis erhalten kann.

1. Persönlicher Anwendungsbereich[Bearbeiten]

Als minderjähriges lediges Kind, das mit K in einer Wohnung und damit einer häuslichen Gemeinschaft wohnt, gehört T zu jenen Familienangehörigen, die gemäß § 104c II 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis von einem Begünstigten nach § 104c I AufenthG ableiten können. Dabei kann T die Aufenthaltserlaubnis zeitgleich mit K beantragen und – eine logische Sekunde nach Erteilung der Aufenthaltserlaubnis an K – auch erhalten.

Weiterführendes Wissen

Zum ausländerrechtlichen Status der T enthält der Sachverhalt keine Angaben. Es liegt auf den ersten Blick zwar nahe, auch in Bezug auf die ableitungsberechtigten Personen den Besitz einer Duldung oder wenigstens eine vollziehbare Ausreisepflicht voraussetzen, ausdrücklich verlangt § 104c II AufenthG dies allerdings nicht. Dabei ist es mit Blick auf die Regelung des § 14a II 1 AsylG keineswegs ausgeschlossen, dass T keine Duldung, sondern eine Aufenthaltsgestattung besitzt. Sollte dies der Fall sein, stünde der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis jedenfalls § 10 I AufenthG entgegen, da Sollregelungen wie die des § 104c AufenthG nach der Rspr. des BVerwG keinen „gesetzlichen Anspruch“ im Sinne von § 10 I AufenthG begründen.[9] Eine vorzeitige Beendigung des Asylverfahrens im Wege des bis zur Entscheidung des BAMF möglichen Verzichts (vgl. § 14a III 1 AsylG) entzöge dem BAMF außerdem den Boden für die ansonsten zu erwartende Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 VII 1 Nr. 1 AufenthG zu Lasten von T.

2. Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung[Bearbeiten]

Auch dem minderjährigen Kind soll die Aufenthaltserlaubnis aber nur unter den Voraussetzungen des § 104c I 1 Nr. 1 und 2 AufenthG erteilt werden. Auch das minderjährige Kind muss sich danach also zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen. Ein solches Bekenntnis kann die noch kein Jahr alte T offenkundig nicht abgeben. Sie kann sich bei der Abgabe aber auch nicht durch ihre Eltern vertreten lassen, da das Bekenntnis höchstpersönlicher Natur ist. Dieses Ergebnis erscheint korrekturbedürftig, da die gesetzlich vorgesehene Ableitungsmöglichkeit insbesondere in Bezug auf kleine Kinder leerliefe und der Zweck von § 104c II AufenthG, ein "rechtliches Auseinanderreißen der Familie" zu verhindern [10], vielfach verfehlt würde. Allerdings ist das Bekenntnis als zwingende Erteilungsvoraussetzung ausgestaltet. Im Unterschied zur ebenfalls ein Bekenntnis voraussetzenden Vorschrift des § 25b AufenthG („setzt regelmäßig voraus“) bietet der Wortlaut des § 104c AufenthG allerdings keinen Ansatzpunkt für eine Korrektur. Der Gesetzgeber hat auch keine § 10 I 2 StAG vergleichbare explizite Ausnahme geregelt. Jene Vorschrift befreit unter 16-jährige Personen, die eine Einbürgerung anstreben, vom Erfordernis eines Bekenntnisses und sichert damit auch den in § 10 II StAG vorgesehenen abgeleiteten Miteinbürgerungsanspruch ab. Da der Gesetzgeber aber einerseits kaum den Plan gehabt haben dürfte, gerade besonders junge Kinder vom Chancen-Aufenthaltsrecht auszuschließen, er es andererseits aber offensichtlich versäumt hat, dies durch eine entsprechende Regelung sicherzustellen, liegt die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke nahe, die durch eine analoge Anwendung von § 10 I 2 StAG im Rahmen von § 104c II AufenthG zu schließen ist.

3. Ergebnis[Bearbeiten]

Da die übrigen Voraussetzungen vorliegen, hat T einen Soll-Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 104c II, I AufenthG für 18 Monate.

Weiterführende Literatur[Bearbeiten]

Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte[Bearbeiten]

  • Voraussetzungen des Chancen-Aufenthaltsrechts
  • Notwendigkeit und Folgen einer getrennten Beurteilung bei Familienangehörigen
  • Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung durch (Klein)Kinder
  • Besonderheiten bei Personen aus sicheren Herkunftsländern


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Inhaltsverzeichnis des Buches[Bearbeiten]

§ 1 Nationales Asylverfahrensrecht

§ 2 Asylverfahrensrecht im europäischen Kontext

§ 3 Materielles Asylrecht

§ 4 Entscheidungsmöglichkeiten des BAMF und der Asylprozess

§ 5 Rechte und Pflichten nach Schutzzuerkennung

§ 6 Rechtsstellung nach Antragsablehnung und Aufenthaltssicherung

§ 7 Sozialleistungen im Flüchtlingskontext

§ 8 Nicht-humanitäres Aufenthaltsrecht

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. Röder, in: BeckOK-MigR, § 104c AufenthG Rn. 45.
  2. BT-Drs. 20/2717, S. 45; ebenso Anwendungshinweise des BMI zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts v. 23.12.2022, 1.4.
  3. BVerwG, Urt. v. 18.12.2019, Az.: 1 C 34.18, Rn. 35, asyl.net: M28100.
  4. Der Inhalt des Bekenntnisses entspricht regelmäßig der im Einbürgerungsverfahren abzugebenden Erklärung, vgl. etwa die Vorläufigen Anwendungshinweise des BMI vom 1.6.2015 zum StAG, Ziff. 10.1.1.1, wobei im Kontext des § 104c AufenthG nur Teil 1 der Erklärung abgegeben werden muss.
  5. Vgl. etwa VG Stuttgart, Urt. v. 10.10.2017, Az.: 11 K 7156/17 (zu § 25b AufenthG); Urt. v. 20.6.2022, Az.: 4 K 176/21 (zu § 10 StAG); ebenso ergänzendes Rundschreiben des BMI v. 14.2.2023 zu den Anwendungshinweisen zum Chancen-Aufenthaltsrecht v. 23.12.2022, unter 3.
  6. Ebenso OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 26.10.2022 - 2 M 69/22 - Rn. 23, asyl.net: M31294.
  7. BVerwG, B. v. 3.12.2009, Az.: 9 B 79.09, Rn. 2 m.w.N.
  8. Röder/Stahlmecke, Strafrecht trifft Aufenthaltsrecht: Die notwendige Verteidigung in Strafverfahren ausländischer Beschuldigter, Asylmagazin 3/2021, S. 66 ff.
  9. BVerwG, Urt. v. 12.7.2016, Az.: 1 C 23.15, asyl.net: M24172.
  10. Vgl. BT-Drs. 20/3717, S. 45.