Analogleistungen nach § 2 AsylbLG Lösung
Autorin: Saskia Ebert
Behandelte Themen: Leistungsanspruch, Asylbewerberleistungsgesetz, § 2 AsylbLG, Analogleistungen, § 3 AsylbLG .
Zugrundeliegender Sachverhalt: 18 Monate in Deutschland
Schwierigkeitsgrad: Anfänger*innen
A. Lösungsvorschlag Ausgangsfall
[Bearbeiten]A könnte einen Anspruch auf sogenannte Analogleistungen gemäß § 2 AsylbLG haben, wenn sie die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt.
In einem Urteil vom 18.7.2012 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die damalige Höhe der Geldleistungen im Asylbewerberleistungsgesetz unvereinbar mit dem Grundrecht auf Gewährleistungen eines menschenwürdigen Existenzminimums war.[1] Durch das Urteil wurde der Gesetzgeber verpflichtet, die Leistungssätze zukünftig transparent, realitätsgerecht und bedarfsgerecht zu bemessen und regelmäßig zu aktualisieren. Das Urteil enthielt weitere Vorgaben, wie das AsylbLG durch den Gesetzgeber umgestaltet werden sollte. Zum einen sollte die Wartefrist, die bestimmt, ab wann eine leistungsberechtigte Person Leistungen entsprechend dem SGB XII erhalten sollte, herabgesetzt werden. Zudem sollte nicht mehr die Vorbezugszeit maßgeblich sein, sondern die tatsächliche Aufenthaltszeit im Bundesgebiet. Weiterhin musste die damalige bestehende Anspruchseinschränkung für Familienangehörige im Falle eines Fehlverhaltens eines anderen Familienangehörigen gemäß §1a AsylbLG a.F. aufgehoben werden. Durch die anschließende Gesetzesänderung erhielten Leistungsberechtigte nicht mehr nach 36 Monaten Vorbezugszeit die sogenannten Analogleistungen, also Leistungen entsprechend der Sozialhilfe aus dem SGB XII, sondern nach 15 Monaten Voraufenthaltszeit in Deutschland.[2] Mittlerweile wurde die Voraufenthaltszeit erneut hochgesetzt auf 18 Monate.
1. Tatbestandsvoraussetzungen
[Bearbeiten]a. Leistungsberechtigung
[Bearbeiten]A müsste berechtigt sein, Sozialleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erhalten. Welche Personen hiernach leistungsberechtigt sind, bestimmt sich nach § 1 AsylbLG.
Gemäß § 1 I Nr. 4 AsylbLG sind Personen leistungsberechtigt, die eine Duldung im Sinne des § 60a AufenthG besitzen. Das Asylverfahren wurde durch den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge erfolglos beendet. Seitdem ist A im Besitz einer Duldung gemäß § 60a AufenthG. Folglich ist A Leistungsberechtigt gemäß § 1 I Nr. 4 AsylbLG.
b. Voraufenthaltszeit
[Bearbeiten]A müsste sich seit 18 Monaten, ohne wesentliche Unterbrechung, in Deutschland aufgehalten haben. Die Frist berechnet sich nach den Vorschriften der Fristberechnung aus §§ 187ff. BGB.[3] A ist am 18.5.2020 nach Deutschland eingereist und hat seitdem das Bundesgebiet nicht mehr verlassen. Seit dem 18.11.2021 befindet sich A seit 18 Monaten im Bundesgebiet. Demnach erfüllt A die Voraufenthaltszeit.
Laut der Gesetzesbegründung[4] zur Einführung der Voraufenthaltsdauer von (damals noch) 15 Monaten, sollen solche Auslandsaufenthalte unerheblich sein, die nur von kurzfristiger Dauer sind. Als Beispiele werden genannt: Klassenfahrten, Besuche von Angehörigen oder die Teilnahme an einer Beerdigung eines Familienmitglieds. Bei der Beurteilung, ob ein Auslandsaufenthalt zu einer "wesentlichen" Unterbrechung führt, solle berücksichtigt werden, wodurch dieser veranlasst wurde und welches Gewicht die Gründe für den Betroffenen haben. Nicht zu einer wesentlichen Unterbrechung führen Zeiten in Haft oder im Kirchenasyl. Tauchen Personen eine Zeit lang unter, hat dies auch keinen Einfluss auf die Aufenthaltsdauer [5].
c. Keine rechtsmissbräuchliche Dauer des Aufenthalts
[Bearbeiten]Weiterhin dürfte A die Dauer ihres Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich beeinflusst haben.
Rechtsmissbräuchlich meint ein vorwerfbares Fehlverhalten, das eine objektive – den Missbrauchstatbestand – und eine subjektive Komponente – das Verschulden – hat.[6] Der Rechtsmissbrauch setzt ein unredliches, von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten voraus.[7] Im Ergebnis soll sich niemand auf eine Rechtsposition berufen dürfen, die er treuwidrig herbeigeführt hat.[8]
Fraglich könnte nun sein, ob allein die Tatsache, dass A eine Duldung gemäß § 60a AufenthG besitzt und folglich ausreisepflichtig ist, ausreichend ist, um eine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer anzunehmen. Laut der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts reicht es für die Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Herbeiführung der Aufenthaltszeit nicht aus, dass eine Person die Rechtsposition nutzt, die ihm durch die Erteilung einer Duldung zugutekommt, auch wenn die Ausreise möglich und zumutbar wäre.[9] Es sei widersprüchlich, den Aufenthalt der ausländischen Person vorübergehend zu dulden und ihr dies gleichzeitig als Rechtsmissbrauch vorzuwerfen, obwohl der Staat selbst zeitweise darauf verzichtet, die Ausreisepflicht durchzusetzen.[10] Die Inanspruchnahme ihrer Duldung kann der betroffenen Person nicht vorgeworfen werden.[11]
A hat ihre 18-monatige Aufenthaltsdauer demnach nicht rechtsmissbräuchlich beeinflusst.
d. Ergebnis
[Bearbeiten]A erfüllt die Voraussetzungen des § 2 AsylbLG zum 19.11.2021 und ist demnach anspruchsberechtigt.
2. Rechtsfolge
[Bearbeiten]A erhält mit Beginn des 19. Aufenthaltsmonats Leistungen entsprechend SGB XII, ihr Leistungsanspruch ergibt sich jedoch nach wie vor aus dem AsylbLG. Gemäß § 8 SGB XII umfasst die Sozialhilfe: Hilfe zum Lebensunterhalt, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, Hilfe zur Gesundheit, Hilfe zur Pflege, Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten und Hilfe in anderen Lebenslagen. Besonders hervorzuheben ist, dass Leistungsberechtigte nun gemäß § 264 II SGB V einen Anspruch haben, dass ihre Kosten für Krankenbehandlungen von einer Krankenkasse übernommen werden. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass trotzdem keine Mitgliedschaft in einer gesetzlichen Krankenkasse entsteht. Die Krankenkasse erbringt zwar die Leistung, jedoch im Auftrag des zuständigen Sozialamtes. Die der Krankenkasse entstandenen Kosten rechnet sie dann mit dem Sozialamt ab. Dazu erhalten sie eine Krankenkassenkarte von einer von ihnen gewählten Krankenkasse.
B. Abwandlung
[Bearbeiten]Die Verweigerung des Regierungspräsidiums Gießens, A Sozialleistungen gemäß § 2 AsylbLG zu gewähren, wäre rechtmäßig, sofern A ihre Aufenthaltsdauer rechtsmissbräuchlich beeinflusst hat (§ 2 I 1 a.E. AsylbLG). Eine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer könnte darin liegen, dass A den Aufforderungen der Passbeschaffung nicht nachgekommen ist. Grundsätzlich kann die fehlende Bereitschaft, sich um die Ausstellung von Pass- und/oder Identitätspapieren zu bemühen, als rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer bewertet werden.[12] Erforderlich ist dafür, dass die Ausländerbehörde die betroffene Person zur Passbeschaffung aufgefordert hat[13] und die Pass- und/oder Identitätspapierbeschaffung auch zumutbar ist.[14]
Fraglich ist jedoch, inwiefern dem Umstand, dass A in der somalischen Botschaft eine Ehrenerklärung unterzeichnen müsste, Rechnung getragen werden muss.
Durch die Unterzeichnung einer Ehrenerklärung würde A erklären, dass ihre Rückkehr nach Somalia freiwillig erfolgen würde.[15] A lehnt es ab, eine solche Erklärung abzugeben. Die Weigerung, an der Passbeschaffung mitzuwirken, ist grundsätzlich dann nicht vorwerfbar, und somit unzumutbar, wenn die Passbeschaffung nur erfolgreich sein könnte, wenn eine solche Ehrenerklärung abgegeben wird und dies nicht dem tatsächlichen Willen der betroffenen Person entspricht.[16] Eine Person kann nicht dazu gezwungen werden, eine falsche Erklärung abzugeben, auch wenn die Ausreisepflicht besteht.[17]
Folglich ist die A weiterhin berechtigt, Leistungen gemäß § 2 AsylbLG zu erhalten.
Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte
[Bearbeiten]- Eine Person ist berechtigt, sogenannte Analogleistungen gemäß § 2 AsylbLG zu erhalten, wenn sie sich bereits seit 18 Monaten in Deutschland befindet und die Dauer ihres Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich beeinflusst hat.
- Erfüllt sie diese Voraussetzungen, erhält sie Leistungen entsprechend dem SGB XII.
- Ihre Anspruchsberechtigung ergibt sich jedoch weiterhin aus dem AsylbLG.
- Sofern eine Person Inhaber*in einer Duldung ist, reicht die bestehende Ausreisepflicht nicht aus, um eine rechtsmissbräuchliche Herbeiführung der Aufenthaltsdauer anzunehmen.
Fußnoten
[Bearbeiten]- ↑ BVerfG, Urt. v. 18.7.2012, Az.: 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11.
- ↑ BT-Drs. 18/2592.
- ↑ Cantzler, in: Cantzler, Asylbewerberleistungsgesetz, 2019, Rn. 19.
- ↑ BT-Drs. 18/2592
- ↑ Leopold, in: Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, Sozialhilfe, AsylbLG, 7. Aufl. 2020, AsylbLG § 2, Rn. 12.
- ↑ BSG, Urt. v. 17.6.2008, Az.: B 8/9b AY 1/07 R, Rn. 32.
- ↑ BSG, Urt. v. 17.6.2008, Az.: B 8/9b AY 1/07 R, Rn. 33.
- ↑ BSG, Urt. v. 17.6.2008, Az.: B 8/9b AY 1/07 R, Rn. 32.
- ↑ BSG, Urt. v. 17.6.2008, Az.: B 8/9b AY 1/07 R, Rn. 31.
- ↑ BSG, Urt. v. 17.6.2008, Az.: B 8/9b AY 1/07 R, Rn. 35.
- ↑ BSG, Urt. v. 17.6.2008, Az.: B 8/9b AY 1/07 R, Rn. 31.
- ↑ SG Hildesheim, Urt. v. 1.2.2012, Az.: S 42 AY 177/10 ER, Rn. 53 ff.
- ↑ LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 4.9.2014, Az.: L 8 AY 70/12, Rn. 23f.
- ↑ Cantzler, in: Cantzler, Asylbewerberleistungsgesetz, 2019, § 2 Rn. 41.
- ↑ Becker/ Saborowski, Die Unzumutbarkeit der Passbeschaffung, in: Asylmagazin 1-2, 2018, S. 16-23.
- ↑ LSG Hessen, Urt. v. 26.07.2021, Az.: L 4 AY 19/21 B ER.
- ↑ BSG, Urt. v. 30.10.2013, Az.: B 7 AY 7/12 R.