Dublin-Bescheid – was nun? SV
Autorinnen: Sophie Greilich, Mailin Loock
Schwierigkeitsgrad: Fortgeschrittene/Expert*innen
Lösungsvorschlag: Dublin-Bescheid – was nun?
Sachverhalt
[Bearbeiten]Als RLC-Rechtsberater*in begleitest Du Rahil und Adil weiterhin auf ihrem Weg. Dieses Mal kommen sie beide mit einem gelben Umschlag in die Beratung.
In diesen befinden sich – wie erwartet – die jeweiligen Bescheide des BAMF mit folgender Tenorierung:
1. Der Antrag wird als unzulässig abgelehnt.
2. Abschiebungsverbote nach § 60 V, VII 1 AufenthG liegen nicht vor.
3. Die Abschiebung nach Finnland wird angeordnet.
4. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 I AufenthG wird auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Fallfragen mit Abwandlungen
[Bearbeiten]A. Rechtsschutz im Dublin-Verfahren
[Bearbeiten]Aus der damals gesichteten Akte ging hervor, dass das BAMF das Aufnahmeersuchen an Finnland verspätet gerichtet hat. Daher möchten Rahil und Adil nun vor das Verwaltungsgericht ziehen.
I. Welche Rechtsschutzmöglichkeiten, gegen die Bescheide vorzugehen, gibt es?
II. Bis wann müssen Rahil und Adil Rechtsbehelfe einlegen
- wenn ihnen – wie auf den gelben Umschlägen vermerkt – die Bescheide am 12.6.2021 (Samstag) zugestellt worden sind?
- wenn die Zustellung wie in 1. erfolgte, ein Abdruck der Entscheidungen der von den Geschwistern bevollmächtigten Rechtsanwältin allerdings erst am 15.6.2021 zuging und dem BAMF eine entsprechende Vollmacht vorliegt?
III. Wie wirkt sich eine etwaige Ablehnung des Eilantrags auf die Überstellungsfrist aus?
IV. Muss das Gericht die Abschiebungsanordnung im Fall von Adil aufheben, wenn dieser geltend macht, dass eine Eheschließung mit seinem Freund, dem die Flüchtlingseigenschaft bereits zuerkannt worden ist, unmittelbar bevorsteht?
B. Nächtlicher Hausarrest
[Bearbeiten]Nach Erhalt der Dublin-Bescheide fordert die Ausländerbehörde die Geschwister mit Bescheid vom 21.7.2021 (unter Anordnung der sofortigen Vollziehung) auf, sich bis zum 21.10.2021 montags bis freitags nachts zwischen 0:00 Uhr und 6:00 Uhr in dem ihnen zugewiesenen Zimmer ihrer Erstaufnahmeeinrichtung aufzuhalten. Ein kurzfristiges Verlassen des Zimmers für jeweils 15 Minuten während dieser Zeit, um andere Räume der Einrichtung aufzusuchen oder sich im Freien aufzuhalten, sei zulässig. Die Anordnung sei erforderlich, da die Abflugzeiten im Rahmen einer Abschiebung in der Regel die Abholung in der Nachtzeit erforderten. In den Nächten von Sonnabend auf Sonntag stehe es den beiden allerdings weiterhin frei, sich außerhalb des Zimmers aufzuhalten. Sollten die beiden der Aufforderung an einem bestimmten Tag einmal nicht nachkommen können, werden sie aufgefordert, die Ausländerbehörde darüber mindestens zwölf Stunden vorher per E-Mail zu informieren. Sofern sie dies versäumten, gehe die Ausländerbehörde davon aus, dass sie sich einer Abschiebung entziehen wollten, und werde unverzüglich Abschiebungshaft beantragen. Die Anordnung erfolge auf Grundlage von § 46 I AufenthG.
I. Was können Rahil und Adil gegen diese Ordnungsverfügung tun?
II. Beurteile die Rechtslage. Ist ein solcher „nächtlicher Hausarrest“ rechtmäßig?
C. Besonderheiten beim Ablauf der Überstellungsfrist
[Bearbeiten]Rahil und Adil klagen nach Erhalt des Dublin-Bescheids nicht. Sie ziehen aus der ihnen zugewiesenen Einrichtung aus und kommen bei ihrem Onkel unter, ohne dies dem BAMF mitzuteilen.
I. Wann läuft in diesem Fall die Überstellungsfrist ab?
II. Ändert sich die Frist in I., wenn Rahil und Adil nach zwei Monaten (innerhalb der sechsmonatigen Überstellungsfrist) das BAMF über ihren aktuellen Aufenthaltsort informieren und dieses noch keine Verlängerungsentscheidung getroffen hat?
III. Wie wirkt es sich auf die Überstellungsfrist aus, wenn Rahil und Adil mit Schreiben vom 15.9.2021 von der Ausländerbehörde aufgefordert werden, sich zur Durchführung der Abschiebung am 29.9.2021 im Polizeipräsidium einzufinden, und dort nicht erscheinen?
D. Handlungsmöglichkeiten bei humanitären Härtefällen
[Bearbeiten]Angenommen das Verwaltungsgericht hat die Eilanträge von Rahil und Adil abgelehnt, da diese verspätet eingereicht worden sind. Nun befürchten die Geschwister, jederzeit nach Finnland überstellt zu werden. Ein Psychologe hat vor ein paar Tagen (nach Ablauf der Frist für den Eilantrag) festgestellt, dass beide schwer traumatisiert und sogar akut suizidgefährdet sind. In Deutschland haben sie ein großes familiäres Netzwerk: Es wohnen hier mehrere Tanten, Onkel und deren Kinder, die sie unterstützen könnten. Das BAMF, welches über die Situation informiert ist, meint jedoch, dass trotzdem eine Überstellung erfolgen solle, da die medizinische Versorgungssituation in Finnland auf einem hohen Niveau sei. Andere humanitäre Erwägungen wie die familiären Bindungen in Deutschland müsse es in seine Entscheidung nicht einbeziehen.
I. Inwiefern steht der psychische Zustand der beiden rechtlich einer Überstellung entgegen?
II. Ist die Angst vor einer bevorstehenden Überstellung bis zur Entscheidung des Gerichts über die Anfechtungsklage berechtigt?
III. Was wirst Du den beiden raten?
- Siehst Du einen Weg, dass die beiden aufgrund ihres aktuellen psychischen Zustands doch Eilrechtsschutz gewährt bekommen können?
- Falls kein gerichtlicher Eilrechtsschutz erlangt werden kann beziehungsweise dieser erfolglos bleibt: Gibt es eine Möglichkeit, um in Härtefällen für die Zeit der (hier vermeintlich laufenden) Überstellungsfrist von einer anderen (nicht-staatlichen) Stelle Schutz zu erhalten?
IV. Welche Folgen hätte eine solche Schutzgewährung für die Überstellungsfrist?
E. Freiwillige Ausreise nach einem Dublin-Bescheid
[Bearbeiten]Gesetzt den Fall, dass eine Klage – abweichend von der Ausgangssituation in A. – keine Erfolgsaussichten verspricht:
I. Gibt es die Möglichkeit, dass Rahil und Adil freiwillig ausreisen?
II. Warum könnte eine freiwillige Ausreise vorteilhaft sein?
Fußnoten
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