Dialyse in Armenien SV

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Autorin: Britta Schiebel

Schwierigkeitsgrad: Anfänger*innen

Lösungsvorschlag: Medizinische Versorgung

Sachverhalt[Bearbeiten]

Der 35-jährige A ist armenischer Staatsangehöriger. Im Sommer 2015 reiste er nach Deutschland ein und stellte beim BAMF einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung gab er im Wesentlichen an, in Armenien keinen Beruf erlernt und von Gelegenheitsjobs gelebt zu haben. Von seinen Verwandten lebe nur noch seine Mutter, die als Krankenschwester ein geringes Einkommen erziele. Das Land habe er verlassen, da er sich in Deutschland bessere Möglichkeiten der medizinischen Versorgung seiner Nierenprobleme erhoffe. In Armenien habe er bereits eine Dialysebehandlung erhalten, die er nur durch die Aufnahme von Schulden habe finanzieren können. Sein Zustand habe sich aber nicht verbessert. In Armenien stünden weder angemessene Behandlungsmöglichkeiten noch ausreichend Medikamente zur Verfügung. A legte beim Bundesamt verschiedene ärztliche Bescheinigungen vor. Danach leide er an terminaler chronischer Niereninsuffizienz. Eine Dialyse sei als lebenserhaltende Maßnahme mindestens dreimal wöchentlich über jeweils mindestens vier Stunden, bei Verschlechterung seines Zustandes auch darüber hinaus erforderlich. Eine Unterbrechung dieser Behandlung für nur wenige Tage führe unweigerlich zu einer lebensbedrohlichen Situation. Er müsse eine Vielzahl von - in den Attesten im Einzelnen aufgeführten - Medikamenten einnehmen. Wegen auch für Dialysepatienten außergewöhnlich hoher Phosphatwerte bestehe beim Kläger u.a. ein stark erhöhtes kardiovaskuläres Risiko eines Herzinfarktes und Schlaganfalls. Eine medikamentöse Behandlung und engmaschige Beobachtung sei dauerhaft erforderlich; anderenfalls drohten lebensbedrohliche Folgen.

Mit Bescheid aus dem Juli 2017 lehnte das Bundesamt seinen Antrag ab. Zur Begründung der Ablehnung eines Abschiebungsverbotes aus gesundheitlichen Gründen führte es u.a. aus: Die medizinische Grundversorgung sei in Armenien flächendeckend gewährleistet und grundsätzlich seien alle Krankheiten behandelbar, auch wenn die Qualität sei vielfach unzureichend sei. Mangels einer staatlichen Krankenversicherung sei für einen großen Teil der Bevölkerung die Finanzierung der kostenpflichtigen ärztlichen Behandlung schwierig. Staatliche Kliniken ließen sich auch eigentlich kostenlose Behandlungen bezahlen; Korruption sei weit verbreitet. Sofern ein Patient über einen der begrenzten kostenlosen Dialyseplätze verfüge, auf dessen Zuteilung man einige Tage warten müsse, falle nur eine geringe Zuzahlung an, anderenfalls ca. 35 US-Dollar pro Sitzung. Der A habe einen Anspruch auf eine kostenlose Behandlung; bis zur Aufnahme in ein kostenloses Programm könne er auf die Unterstützung von Familienangehörigen zurückgreifen. Die empfohlenen Medikamente seien erhältlich.

Der A erhob Klage vor dem Verwaltungsgericht und beschränkte seinen Antrag auf die Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes aus gesundheitlichen Gründen.

In der mündlichen Verhandlung wies der A darauf hin, dass aufgrund der derzeitigen Corona-Pandemie das armenische Gesundheitssystem erheblich unter Druck stehe und eine Behandlung anderer Erkrankungen wesentlich erschwert sei. Auch sei wegen der Pandemie die Situation auf dem Arbeitsmarkt sehr angespannt. Überdies seien die Wirtschaft und öffentliche Infrastruktur Armeniens derzeit von den Auswirkungen der kriegerischen Auseinandersetzungen mit Aserbaidschan um die Region Bergkarabach stark beeinträchtigt. Er verfüge über keine einsetzbaren Geldmittel.

Fallfrage[Bearbeiten]

Wie wird das Verwaltungsgericht voraussichtlich entscheiden?

Bearbeitungsvermerk:

Ein Abschiebungsverbot wegen einer möglichen Verletzung der EMRK ist nicht zu prüfen.

Es ist zu unterstellen, dass die vorgelegten Atteste die Voraussetzungen des § 60a IIc AufenthG erfüllen.

Sowohl die Ausführungen des Bundesamtes zur Gesundheitsversorgung in Armenien als auch die Angaben des A zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie und des Bergkarabach-Konflikts sind als zutreffend zu unterstellen.


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Inhaltsverzeichnis des Buches[Bearbeiten]

§ 1 Nationales Asylverfahrensrecht

§ 2 Asylverfahrensrecht im europäischen Kontext

§ 3 Materielles Asylrecht

§ 4 Entscheidungsmöglichkeiten des BAMF und der Asylprozess

§ 5 Rechte und Pflichten nach Schutzzuerkennung

§ 6 Rechtsstellung nach Antragsablehnung und Aufenthaltssicherung

§ 7 Sozialleistungen im Flüchtlingskontext

§ 8 Nicht-humanitäres Aufenthaltsrecht

Fußnoten[Bearbeiten]