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Gefangen in Kreuztal Lösung

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Autor: Lars Wasnick

Behandelte Themen: Allgemeines zur Wohnsitzregelung, Abgrenzung zur Residenzpflicht, Wohnsitzregelung und Verfassungsrecht

Zugrundeliegender Sachverhalt: Gefangen in Kreuztal

Schwierigkeitsgrad: Fortgeschrittene

A. Fallfrage 1: Ist der Bescheid über die Wohnsitzregelung rechtmäßig?

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In einem ersten Schritt sollte der um Rat suchenden Person allgemein erklärt werden, was unter einer Wohnsitzauflage verstanden wird. Insbesondere kommt es in der Praxis häufiger zu Verwechslungen mit der sogenannten Residenzpflicht.

Hinweise zur Fallprüfung

Da es sich bei der Wohnsitzauflage um einen Verwaltungsakt handelt, empfiehlt es sich für die Prüfung, auf die "klassische" Rechtsmäßigkeitsprüfung eines Verwaltungsaktes zurückzugreifen. Die Fallfrage klammert bewusst die prozessualen Zusammenhänge aus.[1] Prüfungsgegenstand ist daher die reine Rechtmäßigkeit der Wohnsitzregelung. Es kann sich daher an der klassischen Begründetheitsprüfung einer Anfechtungsklage orientiert werden. Schwerpunkt des vorliegenden Falls ist die materielle Rechtmäßigkeit. Die ersten Prüfungspunkte zur Ermächtigungsgrundlage und formellen Rechtmäßigkeit werden zu Vollständigkeitszwecken kurz aufgeführt.[2]

Bei näherer Betrachtung des § 12a AufenthG fällt auf, dass es sich hierbei bei um eine gesetzliche Verpflichtung handelt "ist gem. § 12a I 1 verpflichtet". Es handelt sich daher nicht um eine behördliche Verpflichtung, sondern um eine Verpflichtung per Gesetz, die an sich nicht anfechtbar ist. Jedoch kann das Gesetz als solches im Wege einer Normenkontrolle angegriffen werden (Fallfrage 2). Fehler können der Behörde auch bei der Verteilung und Auswahl des bestimmten Ortes unterlaufen, dies betrifft § 12a II und III AufenthG (Fallfrage 1).

Weiterführendes Wissen

Abgrenzung Wohnsitzregelung, Wohnsitzauflage und Residenzpflicht:

Die Begriffe der Residenzpflicht, Wohnsitzauflage und Wohnsitzregelung werden oftmals vertauscht oder verwechselt. Jedoch meinen alle drei Begriffe etwas ganz Unterschiedliches. Während die Residenzpflicht und Wohnsitzauflage in der Regel zeitlich in den Bereich bis zum Abschluss des Asylverfahrens fallen, knüpft die Wohnsitzregelung an die positive Schutzanerkennung nach Abschluss des Asylverfahrens an.

1. Residenzpflicht:

Die offizielle/amtliche Bezeichnung der Residenzpflicht ist die "räumliche Beschränkung" und findet sich in § 56 AsylG und § 61 AufenthG. Gemeint wird damit die räumliche Beschränkung auf einen bestimmten Bereich, der während der festgesetzten Dauer grundsätzlich nicht verlassen werden darf, auch nicht für wenige Stunden wie beispielsweise für Alltagsunternehmungen. Für den Zeitraum während des Asylverfahrens bestimmt § 56 AsylG den räumlichen Bezirk auf den der Ausländerbehörde, in dem die für die Aufnahme der asylsuchenden Person zuständige Aufnahmeeinrichtung liegt. Gemäß § 59a AsylG erlischt die räumliche Beschränkung nach drei Monaten, sofern die betroffene Person sich in dieser Zeit ununterbrochen erlaubt, geduldet oder gestattet in der Bundesrepublik aufgehalten hat. Gestattet ist der Aufenthalt gemäß § 55 I 1, 3 AsylG ab Stellung des Asylantrags.[3] Eine entsprechende Regelung für Personen, die sich nach Abschluss des Asylverfahrens in einer Duldung befinden, findet sich in § 61 AufenthG.

2. Wohnsitzauflage:

Eine Wohnsitzauflage bedeutet, dass die betroffene Person verpflichtet ist, an einem bestimmten, ihr zugewiesenen, Ort, Wohnung oder Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen (gewöhnlicher Aufenthalt). Anders als bei der Residenzpflicht kann sich die betroffene Person aber frei bewegen. Die Wohnsitzauflage ist für Asylsuchende in § 60 I 1 AsylG geregelt, für Geduldete in § 61 Id AufenthG. Die Wohnsitzauflage gilt nur so lange, wie der Lebensunterhalt nicht selbstständig gesichert werden kann. Es sei denn, die Person besitzt eine sogenannte "Duldung light", vgl. § 60b V 3 AufenthG.

3. Wohnsitzregelung:

Mit der Wohnsitzregelung gemäß § 12a AufenthG ist die Verpflichtung von Menschen gemeint, denen bereits ein Schutzstatus (Asyl, Flüchtlingsanerkennung oder subsidiärer Schutz) zuerkannt wurde, in einem bestimmten Bundesland oder einer Gemeinde über einen Zeitraum von bis zu drei Jahren zu wohnen.

Der Bescheid ist rechtmäßig, sofern er auf einer tauglichen Ermächtigungsgrundlage beruht sowie der formellen und materiellen Rechtmäßigkeit entspricht, insbesondere müssten die Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage vorliegen und von der zuständigen Behörde ausgestellt wurde.

I. Ermächtigungsgrundlage

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Die Bezirksregierung Arnsberg Ausländerbehörde gründet ihren Bescheid insbesondere auf § 12a AufenthG, womit eine taugliche Ermächtigungsgrundlage vorliegt.

II. Formelle Rechtmäßigkeit

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In formeller Hinsicht müsste aufgrund des belastenden Verwaltungsakts eine Anhörung gemäß § 28 I VwVfG (NRW) erfolgt sein. Ferner muss ein schriftlicher Verwaltungsakt gemäß § 39 I VwVfG (NRW) begründet sein und die zuständige Behörde müsste gehandelt haben.

Die zuständige Behörde ist für ganz NRW die Bezirksregierung Arnsberg, § 5 X ZustAVO NRW.

Ihr sind sind keine formellen Fehler unterlaufen, insbesondere wurde der Bescheid schriftlich begründet und A zuvor angehört.

Die Wohnsitzregelung ist daher formell rechtmäßig.

III. Materielle Rechtmäßigkeit

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Die Wohnsitzregelung ist materiell rechtmäßig, sofern alle Tatbestandsvoraussetzungen des § 12a AufenthG erfüllt sind und die Behörde bei ihrer Entscheidung ermessensfehlerfrei handelte.

1. Grundsätzliche Verpflichtung nach § 12a I 1 AufenthG

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Mit bestandskräftigem Bescheid des BAMF vom 20. August 2021 wurde A der subsidiäre Schutz gemäß § 4 AsylG zuerkannt. Somit fällt A unter den Anwendungsbereich des § 12a I 1 AufenthG. Konsequenz dessen ist, dass A grundsätzlich verpflichtet ist, seinen gewöhnlichen Aufenthalt (Wohnsitz) für den Zeitraum von drei Jahren ab Anerkennung des subsidiären Schutzes in dem Land (gemeint ist das Bundesland) zu nehmen, dem er zur Durchführung seines Asylverfahrens zugewiesen worden ist. Die zuständige Außenstelle für das Asylverfahren war die Außenstelle Bochum. Gemäß § 12a I 1 AufenthG muss A seinen Wohnsitz im Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW) nehmen.

Ausnahmegründe des § 12a I 2 AufenthG sind vorliegend nicht ersichtlich.

Mithin besteht eine Wohnsitzverpflichtung für das Land NRW.

Weiterführendes Wissen

Ausnahmegründe Die Ausnahmegründe des § 12 I 2 AufenthG umfassen drei Konstellationen. Die betroffene Person nimmt eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aus (siehe hierzu die Abwandlung), oder beginnt bzw. hat bereits eine Berufsausbildung im Sinne des § 10 BBiG aufgenommen oder steht in einem Studien- oder Ausbildungsverhältnis.

Auf diese Ausnahmevoraussetzungen, sofern sie vorliegen, kann sich nicht nur die betroffene Person berufen, sondern ein erweiterter Personenkreis: ihr Lebenspartner oder ihre Lebenspartnerin oder ein minderjähriges Kind, mit dem die Person verwandt ist und in familiärer Lebensgemeinschaft lebt

2. Konkrete behördliche Wohnsitzzuweisung, § 12a III AufenthG

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Weiterführendes Wissen

Während § 12a I 1 AufenthG die grundsätzliche Verpflichtung statuiert, den Wohnsitz in einem bestimmten Bundesland aufzunehmen, konkretisieren die § 12a II und III die Verpflichtung auf einen bestimmten Ort in dem jeweiligen Bundesland. Hierzu müssen weitere Voraussetzungen vorliegen. § 12a II AufenthG betrifft dabei Personen, die noch vorübergehend in einer "integrationshemmenden" Gemeinschaftsunterkunft untergebracht sind. Durch § 12a III AufenthG kann bestimmt werden, dass sogar Personen, die nicht mehr in einer Gemeinschaftsunterkunft leben, ihren Wohnsitz an einen bestimmten Ort im Bundesland nehmen müssen, unabhängig von der aktuellen Unterbringung.[4]

A lebte zur Zeit des Bescheids über seine Wohnsitzregelung bereits in Kreuztal in einer kleinen Wohnung. Nach positivem Bescheid seines Asylverfahrens erhoffte er sich, dass er Kreuztal verlassen könnte und seinem Wunsch, nach Leverkusen zu ziehen, nachkommen könnte.

Formell verlangt § 12a III AufenthG, dass der Bescheid innerhalb von sechs Monaten nach Anerkennung des subsidiären Schutzes erfolgt und A nicht in einer Gemeinschaftsunterkunft lebt. Beides ist vorliegend der Fall. Zudem unterlag A der generellen Verpflichtung des § 12a I AufenthG.

Als weitere Voraussetzung muss die Anordnung gemäß § 12a III AufenthG nach einer gerichtlich voll überprüfbaren Prognoseentscheidung im Einzelfall ergeben haben, dass die Versorgung mit angemessenem Wohnraum (Nr. 1), der Erwerb von Deutschkenntnissen des Niveaus A2 (Nr. 2) und die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit durch die Anordnung insgesamt erleichtert werden (sog. Wohnsitzregelung zur Förderung der Integration).[5] Insgesamt muss die Prognoseentscheidung ergeben, dass hinsichtlich aller drei Kriterien kumulativ von einer Erleichterung ausgegangen werden kann.[6] Seit der neuen Fassung vom 4. Juli 2019 enthält § 12a III AufenthG einen zusätzlichen Satz 2, wodurch die Berücksichtigung weiterer Kriterien, die der Integration förderlich sind, ausdrücklich mitberücksichtigt werden können. An der kumulativen Erleichterung der drei wesentlichen integrationspolitischen Belange (Wohnraum, Sprache und Erwerbstätigkeit) ändert die Aufnahme weiterer Kriterien jedoch nichts.[7]

Im Rahmen der Gesamtprognose muss seitens der Behörde eine vergleichende Betrachtung der integrationsrelevanten Infrastruktur am beabsichtigten Zuweisungsort und an anderen möglichen Aufenthaltsorten im Bundesland vorgenommen werden, da nur so eine plausible Abschätzung erfolgen kann, ob die Zuweisung die Erreichung der Integrationsziele erleichtern kann.[8] Bei diesem Vergleich hat die zuständige Behörde beispielsweise die örtliche Lage am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu berücksichtigen.[9] Selbiges muss auch für die anderen Kriterien gelten. Fraglich ist, ob die zuständige Behörde eine solche Prognose bezüglich des A getroffen hat.

Dies ist im vorliegenden Fall zweifelhaft.

Die Bezirksregierung Arnsberg begründete ihren Bescheid in Bezugnahme auf § 12a I 1, III, IX AufenthG i.V.m. § 5 IV AWoV NRW.

Gemäß § 12a IX Nr. 2, Nr. 3 AufenthG steht den Bundesländern die Möglichkeit offen, mithilfe von Rechtsverordnungen die Kriterien und das Verfahren des § 12a III AufenthG näher zu bestimmen, insbesondere die Anforderungen an den angemessenen Wohnraum. Hiervon machte das Land NRW in Form der Ausländerwohnsitzregelungsverordnung NRW (AWoV) Gebrauch. Gemäß § 5 IV AWoV NRW sollen Personen, die der Verpflichtung nach § 12a I 1 AufenthG unterliegen und bereits ihren tatsächlichen Wohnsitz in einer Gemeinde unterhalten, ohne dabei in einer Landeseinrichtung untergebracht zu sein, und nicht verpflichtet sind, in einem anderen Bundesland zu wohnen, der Gemeinde zugewiesen werden, in der sie bereits ihren aktuellen tatsächlichen Wohnsitz haben.

Indem durch die pauschale Verweisung an den aktuellen Wohnsitz eine vergleichende Prognose nicht vorgenommen wird, wird die gesetzlich vorgegebene Berücksichtigung der drei wesentlichen integrationspolitischen Faktoren (Wohnraum, Sprache und Erwerbstätigkeit) durch § 5 IV AWoV NRW geradezu ausgeblendet.[10] Die Faktoren werden auch nicht mittelbar über den Integrationsschlüssel des § 4 AWoV NRW berücksichtigt. Gemäß § 4 AWoV NRW werden beispielsweise gemäß § 4 II Nr. 3 AWoV NRW grundsätzlich auch der Anteil der als arbeitslos gemeldeten Personen innerhalb der Gemeinde einbezogen und berücksichtigt. Die Zuweisung über den Integrationsschlüssel des § 4 AWoV NRW erfolgt dabei gemäß § 5 Abs. 1 AWoV. Allerdings findet dieser Grundsatz "vorbehaltlich" der Absätze zwei bis sechs Anwendung, wodurch die Verteilung gemäß § 5 IV AWoV NRW ausdrücklich gerade nicht unter Einbeziehung des Integrationsschlüssels nach § 4 AWoV NRW erfolgt.[11]

Mithin ist das durch § 12 III AufenthG eingeräumte auszuübende Ermessen in Form einer umfassenden Prognoseentscheidung nicht erfolgt. Durch die pauschale Orientierung und Begründung gemäß § 5 Abs. 4 AWoV NRW fehlt es einer fehlerfreien Ermessensausübung der Behörde. Es liegt ein Ermessensnichtgebrauch vor.[12]

IV. Ergebnis

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Der Bescheid der Bezirksregierung Arnsberg vom 28. August 2020 ist rechtswidrig.

Weiterführendes Wissen

Das OVG NRW stellte in seiner obiter dictum Entscheidung nicht nur fest, dass § 5 IV AWoV NRW eine viel zu pauschale Regelung für die von § 12a III AufenthG geforderte Prognoseentscheidung trifft. Darüber hinaus entschied der 18. Senat des OVG auch, dass § 5 IV AWoV rechtswidrig ist, "weil diese materiell-rechtliche Verordnungsregelung sich nicht im Rahmen der bundesrechtlichen Verordungsermächtigung des § 12a Abs. 9 AufenthG hält, die sich im Wesentlichen auf Regelungen hinsichtlich Organisation, Verfahren und angemessenen Wohnraums beschränkt".[13] § 5 IV 4 AWoV NRW modifiziert unmittelbar materiell-rechtliche Bestimmungen des § 12a AufenthG, indem sie die in § 12a III AufenthG vorgesehene Kann-Entscheidung in eine Soll-Entscheidung verändert.[14]

Aufgrund dieser Entscheidung erklärte das OVG NRW Teile der AWoV NRW für nichtig. Seit dem 1.4.2021 ist die AWoV NRW aufgehoben.

B. Fallfrage 2: Verstößt § 12a AufenthG gegen höherrangiges Recht?

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Hinweise zur Fallprüfung

Bei der zweiten Fallfrage handelt es sich um eine eher atypische Fragestellung, indem ein möglicher Verstoß gegen höherrangiges Recht in einem Essay beantwortet werden soll. Der folgende dargestellte Meinungsstreit soll eine Orientierung für diese komplexe Fragestellung geben.

Seit der Einführung des § 12a AufenthG ist die Regelung umstritten. Dabei wird sowohl der Regelungszweck als solcher kritisiert als auch die Entstehungs- bzw. Verlängerungsgeschichte der Norm.

Zunächst wurde die Vorschrift im Wege des Integrationsgesetzes vom 31.7.2016 mit einer Befristung auf drei Jahre eingeführt. Sinn und Zweck der Einführung des § 12a AufenthG sollte angesichts des sogenannten "starken Zustroms" von Schutzsuchenden eine Steuerung der Integration mit Hilfe der Norm sein, um "integrationshemmenden Segregationstendenzen" entgegenzuwirken.[15] Als temporäres Instrument sollte so eine verbesserte Verteilung der Wohnsitznahme von Schutzberechtigten geschaffen werden.[16] Mit dem Gesetz zur Entfristung des Integrationsgesetzes vom 4.7.2019 gilt § 12a AufenthG nunmehr unbefristet fort.[17] Insbesondere im Rahmen der Verlängerungsdiskussionen erfuhr die Regelung teilweise erhebliche Kritik, da es zweifelhaft erschien, dass mithilfe des § 12a AufenthG tatsächlich eine bessere Integration gewährleistet werden konnte.[18] Doch nicht nur der Telos der Norm wurde in Frage gestellt. Ein ganz praktisches Problem bei der Fassung des § 12a AufenthG betrifft die im Rahmen der Absätze 2 und 3 vorzunehmende Prognoseentscheidung im Einzelfall, da sie mit einem unverhältnismäßig hohen behördlichen Aufwand verbunden ist und daher in ihrer Gestaltung nahezu unpraktikabel ist.[19] Neben der berechtigten Kritik an der Entstehungsgeschichte ist es durchaus weiterhin zweifelhaft, ob eine "gute Integration" durch § 12a AufenthG verwirklicht werden kann.

Doch der Problemkreis des § 12a AufenthG ist nicht nur auf die Entstehung und Entwicklung begrenzt. In der Literatur werden teilweise erhebliche Bedenken geäußert, ob der Regelungszweck der Norm mit verfassungs- und völkerrechtlichen Verpflichtungen vereinbar ist.[20] Ausgangspunkt der Frage, ob eine Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht vorliegt, sind die Leitentscheidungen Alo und Osso[21] des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Demnach verstoßen Wohnsitzauflagen und -regelungen gegen Art. 29 und Art. 33 der Qualifikationsrichtlinie[22], wenn sie mit dem Ziel einer gleichmäßigen Verteilung der Sozialhilfelasten begründet werden, mithin also aufgrund von fiskalischen Gründen erteilt werden. In einem solchen Fall stellt sich die Wohnsitzauflage als Eingriff in das Recht auf Sozialhilfe, welches sich daraus ergibt, dass die Mitgliedsstaaten keine Unterscheidung zwischen Staatsangehörigen und geflüchteten Personen bei der Zahlung von Sozialhilfe vornehmen dürfen (vgl. Art. 29 Qualifikationsrichtline), dar. Ein solcher Eingriff ist jedoch nur dann gerechtfertigt, wenn auch inländische Staatsangehörige und andere Drittstaatsangehörige mit einer solchen Wohnsitzauflage belastet werden würden, was in Deutschland gerade nicht der Fall ist.[23] Darüber hinaus entschied der EuGH, dass Wohnsitzregelungen nur dann rechtmäßig seien, wenn damit der Zweck verfolgt wird, die Integration zu erleichtern.[24] Allerdings sind solche Regelungen gegenüber Personen die internationalen Schutz genießen und Sozialhilfe beziehen nur dann rechtmäßig, wenn sie im Vergleich zu anderen Drittstaatsangehörigen in einem stärkeren Maß mit Integrationsschwierigkeiten konfrontiert werden.[25]

Nach herrschender Meinung in der Literatur und einhelliger Rechtsprechung habe sich die Gesetzesbegründung eng an den Vorgaben des EuGH orientiert und mithilfe des gesetzgeberischen Beurteilungsspielraums ein erhöhtes Integrationsbedürfnis für international Schutzberechtigte festgestellt.[26] Aufgrund ihrer Fluchterlebnisse und Verfolgungsschicksale stünden sie vor besonderen Herausforderungen, was ihre Integration im Vergleich zu anderen Drittstaatsangehörigen erschwere, da sie beispielsweise ihre Flucht und Einreise nicht planen könnten und nicht über berufliche oder persönliche Kontakte verfügten.[27] Überwiegend wird daher im Hinblick auf die Wohnsitzregelung eine unterschiedliche Behandlung von anerkannten Flüchtlingen bzw. subsidiär Schutzberechtigten und anderen Drittstaatsangehörigen als gerechtfertigt angesehen.[28]

Teile der Literatur kritisieren aber, dass die integrationspolitischen Gründe nur vordergründig gewählt worden und die eigentliche Motivation der Gesetzesentstehung weiterhin fiskalische Interessen gewesen seien.[29] Außerdem sei eine soziale Segregation erst dann problematisch, wenn sie Ausdruck eines diskriminierenden Verdrängungseffekts ist.[30]

Die Bedenken gegen die Zweckerreichung des § 12a AufenthG bestehen auch nach der unbefristeten Verlängerung der Norm fort. Auch zeigt sich, dass eine pauschale Prognoseentscheidung, wie es das Land NRW mithilfe der Regelungen des AWoV teilweise versucht hat, zu allgemein ist, um eine Integration tatsächlich zu erleichtern. Der EuGH verwies in den Leitentscheidungen Alo und Osso an die nationalen Gerichte zurück, indem er es den ihnen überlassen hat, im Einzelfall zu prüfen, wann besondere Integrationsschwierigkeiten vorliegen.[31] Eine erleichterte Integration durch eine Wohnsitzregelung kann freilich nur dann erfolgen, wenn die wesentlichen Kriterien des § 12a AufenthG (Wohnraum, Sprache und Erwerbstätigkeit) im Rahmen der Prognoseentscheidung der zuständigen Behörde umfassend geprüft werden. Pauschale Handhabungen verbieten sich, auch im Hinblick auf die ergangene Entscheidung des OVG NRW. Ob dies von den zuständigen Ausländerbehörden im Einzelfall durchgeführt werden kann, ist zweifelhaft und wird von den jeweiligen Verwaltungsgerichten regelmäßig überprüft werden müssen.

C. Abwandlung: Darf A umziehen, wenn ja, wann?

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Eine Verpflichtung nach § 12a I, III AufenthG ist auf Antrag der betroffenen Person aufzuheben, sofern die Voraussetzungen in Absatz 5 erfüllt sind. Absatz 5 des § 12a AufenthG selbst ist in verschiedene Fallgruppen unterteilt, die jedoch nicht kumulativ erfüllt sein müssen. Liegen die Voraussetzungen einer Fallgruppe vor, regelt die Vorschrift eine gebundene Entscheidung der Behörde, ein Ermessen steht ihr nicht zu ("ist auf Antrag aufzuheben").[32] A könnte hier einen solchen Anspruch haben, da er zum 1.2.2022 eine Arbeitsstelle in Leverkusen gefunden hat.

I. Sicherung des Lebensunterhaltes (Nr. 1 lit. a)

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Gemäß § 12a V 1 Nr. 1 lit. a AufenthG entfällt die Verpflichtung nach § 12a III AufenthG, sofern A nachweisen kann, dass ihm an einem anderen Ort als seinem Verpflichtungsort (Kreuztal) eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im Sinne des § 12a I 2 AufenthG oder ein den Lebensunterhalt sicherndes Einkommen zur Verfügung steht. Eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im Sinne des § 12a I 2 AufenthG muss einen Umfang von mindestens 15 Wochenstunden haben und ein Einkommen in Höhe des monatlich durchschnittlichen Bedarfs nach §§ 20, 22 SGB II für Einzelpersonen umfassen.[33]

Beide Voraussetzungen erfüllt A mit seiner zukünftigen Arbeitsstelle in Leverkusen.

II. Zustimmungserfordernis

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Die Aufhebung der Wohnsitzverpflichtung unterliegt einem Zustimmungserfordernis der Ausländerbehörde des Zuzugsortes gemäß § 71 IIIa 1 AufenthG. Die zuständige Behörde in Kreuztal muss daher die Zustimmung der Bezirksregierung Arnsberg Leverkusen ersuchen. Gemäß § 72 Abs. IIIa 1 AufenthG muss die Zustimmung innerhalb von vier Wochen ab Zugang des Ersuchens erfolgen, ansonsten gilt sie, sofern in der Zeit nicht widersprochen wird, als erteil.[34]

III. Dauerhafte Aufhebungsgründe

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Die Aufhebung der Wohnsitzverpflichtung entfaltet nur dann eine dauerhafte Wirkung, wenn A die Voraussetzungen der Nr. 1 lit. a mindestens drei Monate ab Bekanntgabe der Aufhebung erfüllt, diese also mithin mindestens drei Monate fortbestehen.

IV. Ergebnis

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A hat einen Anspruch auf Aufhebung seiner Wohnsitzverpflichtung gemäß § 12a V 1 Nr. 1 lit. a AufenthG. Wann er nach Leverkusen ziehen kann, hängt davon ab, wie schnell er den Antrag bei der Bezirksregierung in Arnsberg stellt und diese dem Umzug zustimmt, spätestens jedoch vier Wochen nach Zugang des Ersuchens.

Weiterführendes Wissen

Für die Entscheidung der zuzustimmenden Behörde gilt ebenfalls das Regelwerk des §12a V AufenthG. Ihr steht daher weder ein Beurteilungsspielraum noch ein Entscheidungsermessen zu.[35] Das Zustimmungserfordernis dient daher lediglich einer formalen Beteiligung der zuzustimmenden Behörde.[36] Sollte es zu einer Ablehnung kommen, muss diese begründet werden, § 72 Abs. IIIa 2 Hs. 2 AufenthG. Da es sich hierbei um eine behördliche Verfahrenshandlung im Sinne des § 44a VwGO handelt, steht den Betroffenen kein direkter Rechtsweg offen. Rechtsschutz gegen die Ablehnung des Antrags ist jedoch im Wege der Verpflichtungsklage gegenüber der örtlich zuständigen Behörde möglich.[37]


Hinweise zur Fallberatung

In einer typischen Beratungssituation sollten zunächst die jeweiligen Voraussetzungen des § 12a V AufenthG geprüft werden. Liegen danach die Voraussetzungen vor, ist schnelles Handeln ratsam, da es sich bei der Entscheidung über den Aufhebungsantrag um eine gebundene handelt. Wichtig ist es, die Betroffenen über das Zustimmungserfordernis aufzuklären und darüber, dass ein sofortiger Umzug nicht möglich ist, sondern mindestens die vier Wochen abgewartet werden sollten. Auch sollte auf die Voraussetzung der drei Monate für eine Dauerhaftigkeit der Aufhebung hingewiesen werden.

Weiterführende Literatur

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Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte

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  • Systematischer Überblick über das Regelungswerk und den Ausnahmen des § 12a AufenthG
  • Verfassungsmäßigkeit des § 12a AufenthG

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Inhaltsverzeichnis des Buches

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§ 1 Nationales Asylverfahrensrecht

§ 2 Asylverfahrensrecht im europäischen Kontext

§ 3 Materielles Asylrecht

§ 4 Entscheidungsmöglichkeiten des BAMF und der Asylprozess

§ 5 Rechte und Pflichten nach Schutzzuerkennung

§ 6 Rechtsstellung nach Antragsablehnung und Aufenthaltssicherung

§ 7 Sozialleistungen im Flüchtlingskontext

§ 8 Nicht-humanitäres Aufenthaltsrecht

Fußnoten

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  1. Siehe für einen Überblick über die Klage- und Antragsarten der VwGO Eisentraut, in: Eisentraut, Verwaltungsrecht in der Klausur – Das Lehrbuch, § 1, Rn. 222 - 253.
  2. Siehe ausführlich zur Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes Kowalczyk, in: Eisentraut, Verwaltungsrecht in der Klausur – Das Lehrbuch, § 2, Rn. 507 ff.
  3. Siehe hierzu ausführlich: Amir-Haeri, in: Huber/Mantel, AsylG, 3. Aufl. 2021, § 55 Rn. 4 ff.
  4. Siehe zu Abs. 2 und Abs. 3 auch: Huber/Mantel, in: Huber/Mantel, AufenthG, 3. Aufl. 2021, § 12a Rn. 18 ff.
  5. Vgl. BT-Drs. 18/8615, S. 45.
  6. BT-Drs. 19/9764, S. 3, indem die Bundesregierung ausdrücklich an der Kumulation festhält; OVG NRW, Urt. 4.9.2018, Az.: 18 A 256/18, Rn. 47; VG Stuttgart, Beschl. v. 27.6.2019, Az.: 8 K 2485/19, Rn. 11; VG Stuttgart, Urt. v. 27.2.2019, Az.: 8 K 4413/17, Rn. 24; andere Ansicht wohl VG Aachen, Urt. v. 17.3.2021, Az.: 4 K 3426/18, Rn. 41 ff.
  7. Vgl. BT-Drs. 19/9764, S. 3.
  8. OVG NRW, Urt. v. 4.9.2018, Az.: 18 A 256/18, Rn. 51 ff.; VG Arnsberg, Urt. v. 10.9.2020, Az.: 10 K 687/18, Rn. 19; VG Münster, Urt. v. 1.3.2019, Az.: 8 K 6861/17, S. 9; andere Ansicht VG Aachen, Urt. v. .17.3.2021, Az.: 4 K 3426/18, Rn. 38.
  9. OVG NRW, Urt. v. 4.9.2018, Az.: 18 A 256/18, Rn. 53.
  10. Vgl. OVG NRW, Urt. v. 4.9.2018, Az.: 18 A 256/18, Rn. 55.
  11. Vgl. OVG NRW, Urt. v. 4.9.2018, Az.: 18 A 256/18, Rn. 55.
  12. Allgemein zu den Ermessensfehlern siehe: Benrath, in: Eisentraut, Verwaltungsrecht in der Klausur, § 2, Rn. 739 ff.
  13. OVG NRW, Urt. v. 4.9.2018, Az.: 18 A 256/18, Rn. 25.
  14. OVG NRW, Urt. v. 4.9.2018, Az.: 18 A 256/18, Rn. 33.
  15. BT-Drs. 18/8615, S. 3.
  16. Vgl. BT-Drs. 18/8615, S. 42.
  17. Mit erheblicher Kritik hieran, da eine zunächst im Koalitionsvertrag festgelegte Evaluierung der Norm ausgeblieben ist: Huber/Mantel, in: Huber/Mantel, AufenthG, 3. Aufl. 2021, § 12a Rn. 2.
  18. Ausführlich hierzu: Huber/Mantel, in: Huber/Mantel, AufenthG, 3. Aufl. 2021, § 12a Rn. 3 m.w.N.; Pelzer/Pichl, ZAR 2016, 96 (101).
  19. So auch: Lehrian, Asylmagazin 2018, 416 (423); Schlotheuber/Schröder, Asylmagazin 2016, 364; zweifelnd auch Keienborg, Urteilsanmerkung vom 06.03.2019.
  20. Huber/Mantel, in: Huber/Mantel, AufenthG, 3. Aufl. 2021, § 12a Rn. 5 m.w.N.; bereits vor Einführung des § 12a AufenthG: Pelzer/Pichl, ZAR 2016, 96 ff.
  21. EuGH, Urt. v. 1.3.2016, Az.: C-443/14, C-444/14.
  22. Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. EU Nr. L 337/9.
  23. EuGH, Urt. v. 1.3.2016, Az.: C-443/14, C-444/14, Tz. 50 ff.
  24. EuGH, Urt. v. 1.3.2016, Az.: C-443/14, C-444/14, Tz. 58 ff.
  25. EuGH, Urt. v. 1.3.2016, Az.: C-443/14, C-444/14, Tz. 62.
  26. Ausführlich: Röcker, in: Bergmann/Dienelt, AufenthG, 13. Aufl. 2020, § 12a Rn. 70 ff.; Thym, ZAR 2016, 241 (248); siehe zur Begründung ausführlich auch OVG NRW, Urt. v. 4.9.2018, Az.: 18 A 256/18, Rn. 85-99.
  27. BT-Drs. 18/8615, S. 43.
  28. OVG Sachsen, Beschl. v. 3.8.2020, Az.: 3 A 458/20, Rn. 11; OVG NRW, Urt. v. 4.9.2018, Az.: 18 A 256/18, Rn. 97 ff.; VGH Bayern, Beschl. v. 19.3.2018, Az.: 10 C 17.2591, Rn. 6; OVG Nds, Beschl. v. 2.8.2017, Az.: 8 ME 90/17, Rn. 32 ff.; VG Aachen, Urt. v. 17.3.2021, Az.: 4 K 3426/18, Rn. 19 ff.; Beiderbeck, in: BeckOK MigR, AufenthG, 11. Ed. 15.4.2021, § 12a Rn. 5,6; Röcker, in: Bergmann/Dienelt, AufenthG, 13. Aufl. 2020, § 12a Rn. 74.
  29. Huber/Mantel, in: Huber/Mantel, AufenthG, 3. Aufl. 2021, § 12a Rn. 10 m.w.N.
  30. Pelzer/Pichl, ZAR 2016, 96 (101).
  31. EuGH, Urt. v. 1.3.2016, Az.: C-443/14, C-444/14, Tz. 62.
  32. OVG BB, Beschl. v. 7.5.2018, Az.: OVG 3 N 118.18, Rn. 4.
  33. Derzeit 809 Euro (Regelbedarf 449 Euro + 360 Euro für Unterkunft und Heizung).
  34. Siehe zur Rechtnatur der Genehmigungsfiktion: Milker, in: Eisentraut, Verwaltungsrecht in der Klausur, § 1, Rn. 61.
  35. Wittmann, in: BeckOK MigR, AufenthG, 11. Ed. 15.4.2022, § 71 Rn. 47c; Samel, in: Bergmann/Dienelt, AufenthG, 13. Aufl. 2020, § 72 Rn. 15.
  36. Wittmann, in: BeckOK MigR, AufenthG, 11. Ed. 15.4.2022, § 71 Rn. 47c.
  37. Wittmann, in: BeckOK MigR, AufenthG, 11. Ed. 15.4.2022, § 71 Rn. 47e.