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Das Dublin-Roulette Teil 2: Wer ist zuständig? Lösung

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Autorin: Sophie Greilich

Notwendiges Vorwissen: Vorbereitung ist die halbe Miete; Das Dublin-Roulette Teil 1: Wer ist zuständig?

Behandelte Themen: (Wieder-)Aufnahme-, Antwort- und Überstellungsfristen im Rahmen des Dublin-Verfahrens (sekundäre Zuständigkeitskriterien)

Zugrundeliegender Sachverhalt: Das Dublin-Roulette Teil 2: Wer ist zuständig?

Schwierigkeitsgrad: Anfänger*innen/Fortgeschrittene; Der Fall ist für die einführende und vertiefte Auseinandersetzung mit den Dublin-Fristen geeignet. Der Schwierigkeitsgrad reicht von leicht bis mittelschwer. Daher richtet sich der Fall sowohl an Anfänger*innen als auch an Fortgeschrittene.

Der Fall orientiert sich an folgenden Fragen, die bei Vorliegen eines Dublin-Falls relevant werden:

  • Je nach Verfahrensstand: Ist die (Wieder-)Aufnahmefrist/Antwortfrist/Überstellungsfrist abgelaufen?
  • Welche Folge hat der jeweilige Fristablauf für die Zuständigkeitsbegründung bezüglich der Asylantragsprüfung?
Tipp für die Berechnung der Fristen

Für die Berechnung der Fristen kann es hilfreich sein, sich zunächst einen Zeitstrahl mit den relevanten Daten aufzuzeichnen.

  • Stellung des Asylgesuchs beziehungsweise Ausstellung des Ankunftsnachweises
  • Eingang der Eurodac-Treffermeldung
  • (Wieder-)Aufnahmeersuchen seitens des ersuchenden Dublin-Staates
  • Zustimmung beziehungsweise Zustimmungsfiktion seitens des ersuchenden Dublin-Staates

A. (Wieder-)Aufnahmeersuchen von Deutschland

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Weiterführendes Wissen

Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch?

Die Dublin-III-VO[1] unterscheidet begrifflich zwischen einem sogenannten Aufnahme- und einem Wiederaufnahmegesuch. Hat die schutzsuchende Person bereits einen Asylantrag in einem anderen Dublin-Mitgliedstaat gestellt, so sind die Regelungen zum Wiederaufnahmeverfahren in den Art. 23 ff. Dublin-III-VO zu beachten. Ist dies nicht der Fall, gelten die Vorschriften zum Aufnahmeverfahren (Art. 21 f. Dublin-III-VO). Wichtig ist die Differenzierung für die Fristenberechnung: Ist das Wiederaufnahmeverfahren einschlägig, gelten kürzere Antwortfristen. Die Fristen für das Anfangsgesuch sind jedoch sowohl für das Aufnahme- als auch für das Wiederaufnahmeverfahren gleich lang.[2] Wird im Rahmen des Dublin-Verfahrens ein nach der Dublin-III-VO unzuständiger Mitgliedstaat angefragt, so bewirkt das (Wieder-)Aufnahmeverfahren jedoch keinen Zuständigkeitsübergang. Es besteht auch keineswegs eine Pflicht zur Stellung eines (Wieder-)Aufnahmegesuchs. Vielmehr eröffnen die genannten Vorschriften ein Ermessen („kann“). Dublin-Staaten können daher jederzeit ihr Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Dublin-III-VO ausüben, anstatt ein Dublin-Verfahren einzuleiten.[3]

I. Fristgemäßes Aufnahmeersuchen seitens Deutschlands?

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Zur Beantwortung der Frage, ob das Aufnahmeersuchen Deutschlands noch innerhalb der geltenden Frist erfolgt ist, ist die maßgebliche Fristdauer sowie das fristauslösende Ereignis zu bestimmen.

Da Rahil und Adil ihre Asylanträge erst hier in Deutschland gestellt haben, ist vorliegend Art. 21 Dublin-III-VO („Aufnahmegesuch“) einschlägig. Fraglich ist jedoch, ob die Dreimonatsfrist des Art. 21 I 1 Dublin-III-VO oder die Zweimonatsfrist des Art. 21 I 2 Dublin-III-VO zu Grunde zu legen ist.

Im Rahmen der Dreimonatsfrist ist für die Auslösung der Frist der Zeitpunkt entscheidend, in dem das BAMF alle erforderlichen Informationen für die Ausstellung eines Ankunftsnachweises erhalten hat. Die Frist beginnt daher gemäß Art. 42 lit. a Dublin-III-VO – § 187 BGB entsprechend – einen Tag nach Kenntnisnahme des Asylgesuchs, also am 7.1.2021. Nicht abzustellen ist indes auf den Zeitpunkt der förmlichen Asylantragstellung.[4] Nach Maßgabe der Dreimonatsfrist wäre Fristende demnach also am 6.4.2021 (vgl. 42 lit. b Dublin-III-VO).

Da das BAMF jedoch am 21.1.2021 eine Eurodac-Treffermeldung erhalten hat, ist die am 21.3.2021[5] (früher) ablaufende – Zweimonatsfrist ausschlaggebend (siehe ausführlicher zum Konkurrenzverhältnis von Zwei- und Dreimonatsfrist: unter A.IV.).

Folglich wäre das Aufnahmeersuchen seitens Deutschlands vom 22.3.2021 nicht mehr fristgemäß.

Weiterführendes Wissen

Asylgesuch oder Asylantrag als fristauslösendes Ereignis?

Vor dem EuGH-Urteil 2017 im Fall Mengesteab war streitig, was unter einem Antrag auf internationalen Schutz im Sinne von Art. 20 I, II Dublin-III-VO zu verstehen ist und wann folglich die Frist für das (Wieder-)Aufnahmeersuchen zu laufen beginnt.

Diesbezüglich hat der EuGH klargestellt, dass nicht auf den förmlichen Asylantrag, sondern grundsätzlich auf das Asylgesuch abzustellen ist. Entscheidend sei, wann die zuständige Behörde ein Schriftstück zugegangen ist, das von einer Behörde erstellt wurde und bescheinigt, dass die Person um internationalen Schutz ersucht hat.[6] Somit ist hier in Deutschland der Zeitpunkt relevant, in dem das BAMF alle wichtigen Informationen zur Ausstellung eines Ankunftsnachweises im Sinne von § 63a AsylG erhält.

II. Folge eines unvollständigen oder nicht rechtzeitigen (Wieder-)Aufnahmeersuchens

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Zunächst ist festzuhalten, dass das (Wieder-)Aufnahmeersuchen vollständig sein muss. Fehlen erhebliche Informationen (zum Beispiel zum Reiseweg trotz Kenntnis), so ist es nicht wirksam und hat keine Auswirkung auf die (Wieder-)Aufnahmeersuchensfrist.[7]

Das VG München führt dazu treffend an:

Ein Aufnahmeersuchen ist nur dann fristwahrend, wenn das Gesuch alle dem ersuchenden Staat bekannten Informationen und Hinweise enthält, die für eine Zuständigkeitsentscheidung erheblich sein können. Ist das Aufnahmeersuchen unvollständig bzw. weist es inhaltliche Fehler auf, wird die Frist für die Anbringung des Aufnahmegesuches nicht gewahrt.“[8]

Darüber hinaus muss das (Wieder-)Aufnahmeersuchen innerhalb der jeweils geltenden Frist erfolgen. Die Folge eines nicht rechtzeitigen Ersuchens regelt Art. 21 I 3 Dublin-III-VO hinsichtlich des Aufnahmegesuchs und Art. 23 III sowie 24 III Dublin-III-VO in Bezug auf das Wiederaufnahmegesuch: Wird das Gesuch um (Wieder-)Aufnahme einer antragstellenden Person nicht in­nerhalb der vorgeschriebenen Frist un­terbreitet, so ist der Mitgliedstaat, in dem der (neue) Antrag auf inter­nationalen Schutz gestellt wurde beziehungsweise in dem sich die betreffende Person aufhält, für die Prüfung des Antrags zuständig.[9] Dies soll insbesondere im Sinne des im 5. Erwägungsgrund der Dublin-III-VO erwähnten Ziels der zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz (sogenanntes Beschleunigungsgebot) eine zeitnahe Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ermöglichen.

III. Verspätetes Aufnahmeersuchen an Finnland

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Sofern vorliegend das Aufnahmeersuchen an Finnland verspätet erfolgt ist, geht die Zuständigkeit der materiellen Asylantragsprüfung auf Deutschland über (vgl. Art. 18 II 1 Dublin-III-VO). Auf den Ablauf der Frist können sich Rahil und Adil auch berufen, denn sowohl das BVerwG[10] als auch der EuGH[11] sind der Auffassung, dass (Wieder-)Aufnahme- und Überstellungsfristen individualschützend sind. Unerheblich ist dabei auch, ob Finnland trotzdem aufnahmebereit wäre.[12]

Weiterführendes Wissen

Dublin-Fristen vermitteln Individualschutz

Lange Zeit herrschte keine Klarheit darüber, ob sich schutzsuchende Personen auf den Ablauf von Dublin-Fristen berufen können. Der EuGH hatte 2013 in der Rechtssache Abdullahi[13] zur Dublin-II-VO noch befunden, dass die Dublin-Zuständigkeitsregelungen lediglich „organisatorische Vorschriften“ der Mitgliedstaaten seien und verneinte daher ihre drittschützende Wirkung. Dieser Linie hat der EuGH jedoch seit dem Ghezelbash-Urteil vom 7.6.2016 den Rücken gekehrt. In diesem stellte er fest, dass die in der Abdullahi-Entscheidung aufgestellten Grundsätze nicht auf die Dublin-III-VO übertragbar seien und bejahte, dass sich aus den Zuständigkeitskriterien der Dublin-III-VO grundsätzlich auch subjektive Rechte herleiten lassen.[14] In der Folge bestätigte der EuGH diese Rechtsauffassung 2017 im Mengesteab- sowie im Shiri-Urteil.

IV. Verspätet eingeholte Eurodac-Treffermeldung

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Fraglich ist, wie der Fall zu bewerten ist, wenn sich aus der Akte ergibt, dass das BAMF erst am 5.5.2021 die Eurodac-Treffermeldungen eingeholt und am 7.6.2021 das Aufnahmeersuchen an Finnland gerichtet hat.

Hierfür ist zunächst zu klären, ob sich die Frist in einem solchen Fall nach der Zwei- oder Dreimonatsfrist bemisst:

  • Die Dreimonatsfrist des Art. 21 I 1 Dublin-III-VO begann am 7.1.2021 zu laufen und endete am 6.4.2021.
  • Würde die Zweimonatsfrist des Art. 21 I 2 Dublin-III-VO hier jedoch als maßgeblich erachtet werden, war der Fristbeginn erst am 6.5.2021 und das Fristende am 5.7.2021.

Das am 7.6.2021 an Finnland gerichtete Aufnahmeersuchen wäre also nach Maßgabe der Dreimonatsfrist verspätet, im Hinblick auf die Zweimonatsfrist jedoch noch rechtzeitig.

Möglicherweise könnte sich das BAMF daher hier auf den Standpunkt stellen, dass die mit einer Eurodac-Treffermeldung anlaufende Zweimonatsfrist des Art. 21 I 2 Dublin-III-VO spezieller sei als die „auf andere Beweismittel“ abstellende Dreimonatsfrist des Art. 21 I 1 Dublin-III-VO. Der EuGH hat in seinem Mengesteab-Urteil 2017[15] einer solchen Ansicht eine Absage erteilt: Demnach findet die Zweimonatsfrist nur alternativ Anwendung. Sie verlängert jedoch nicht den Dreimonatszeitraum, sodass kein Verzögern „durch die Hintertür“, also aufgrund einer verspätet eingeholten Eurodac-Treffermeldung, möglich ist. Der EuGH begründet dies damit, dass sich bereits aus dem Wortlaut des Art. 21 Dublin-III-VO ergebe, dass die dreimonatige Frist des Absatzes 1 zwingend einzuhalten sei. Die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates auf Grundlage des Eurodac-Systems sei dazu gedacht, das Verfahren zu vereinfachen. Im Falle eines Eurodac-Treffers könne daher die dreimonatige Frist im Sinne von Art. 21 I 2 Dublin-III-VO verkürzt werden. Eine zusätzliche Frist, die das Verfahren verlängert, sei jedoch mit der abweichenden Frist von zwei Monaten nicht bezweckt und stünde im Widerspruch mit dem Beschleunigungsgebot der Dublin-III-VO. Da vorliegend folglich die Dreimonatsfrist des Art. 21 I 1 Dublin-III-VO anzuwenden ist, ist das Aufnahmeersuchen an Finnland nicht mehr innerhalb der Frist erfolgt, sodass die Zuständigkeit Deutschlands für die Prüfung der Asylanträge begründet ist.

Weiterführendes Wissen

Zwei- oder Dreimonatsfrist?

Erfolgt die Eurodac-Abfrage nach Stellung des Asylantrags, ist die Frist einschlägig, die zuerst abläuft.

V. Besonderheiten bei einer Überstellungshaft

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Sofern sich Asylsuchende in Überstellungshaft befinden, gelten besondere Fristen (vgl. Art. 28 Dublin-III-VO). Der Ablauf der einmonatigen Anfragefrist im Sinne von Art. 28 III 2 Dublin-III-VO führt allerdings nicht zu einem Zuständigkeitsübergang. Vielmehr bewirkt dieser lediglich die Pflicht zur Haftentlassung (vgl. Art. 28 III 4 Dublin-III-VO); die Art. 21, 23, 24 und 29 Dublin-III-VO gelten weiterhin entsprechend.[16] Wenn die Eurodac-Treffermeldungen wie im Ausgangsfall am 21.1.2021 eingingen, läuft die Frist für das Aufnahmeersuchen somit am 21.3.2021 ab.

Weiterführendes Wissen

Dublin-Überstellungshaft

An die Überstellungshaft sind sehr hohe Anforderungen zu stellen. Art. 28 Dublin-III-VO bestimmt diesbezüglich, dass die Mitgliedstaaten eine Person nicht allein des­halb in Haft nehmen dürfen, weil sie dem durch die Dublin-III-VO festgelegten Verfahren unterliegt. Sie dürfen Personen nach einer Einzelprüfung nur zwecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren im Einklang mit der Dublin-III-VO in Haft nehmen, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr besteht. Eine weitere Voraussetzung ist, dass die Haft verhältnismäßig sein muss und sich weniger einschnei­dende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen. Zudem ist die Haft so kurz wie möglich zu halten und darf nicht länger sein, als bei angemessener Handlungsweise notwendig ist, um die erforderlichen Verwaltungsverfahren mit der gebote­nen Sorgfalt durchzuführen, bis die Überstellung durchgeführt wird. Wann eine Fluchtgefahr anzunehmen ist, definiert wiederum Art. 2 lit. n Dublin-III-VO: Danach müssen Gründe im Einzelfall vorliegen, die auf objektiven gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zu der Annahme Anlass geben, dass sich ein*e Antragsteller*in, ein*e Drittstaatsangehörige*r oder Staatenlose*r, gegen den*die ein Überstellungsverfahren läuft, diesem Verfahren möglicher­weise durch Flucht entziehen könnte. Der deutsche Gesetzgeber hat in § 2 XIV AufenthG festgelegt, dass § 62 IIIa AufenthG für die widerlegliche Vermutung einer Fluchtgefahr und § 62 IIIb Nr. 1–5 AufenthG als objektive Anhaltspunkte für die Annahme einer Fluchtgefahr im Sinne von Art. 2 lit. n Dublin-III-VO entsprechend gelten. Im Falle von Identitätstäuschungen (vgl. § 62 IIIa Nr. 1 und IIIb Nr. 1 AufenthG) darf eine erhebliche Fluchtgefahr nicht pauschal angenommen werden. Vielmehr ist ein aktuelles beziehungsweise fortdauerndes Täuschungsverhalten erforderlich, welches eine gegenwärtige Entziehungsabsicht zum Ausdruck bringt.

B. Antwort des ersuchten Dublin-Mitgliedstaates

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I. Ablauf der Antwortfrist seitens Finnlands

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1. Aufnahmeersuchen am 10.3.2021
Fristdauer Fristablauf Norm
Zweimonatsfrist 10.5.2021 Art. 22 I Dublin-III-VO
Einmonatsfrist

bei Dringlichkeit

10.4.2021 Art. 22 VI 2 Dublin-III-VO
2. Wiederaufnahmeersuchen am 10.3.2021
Fristdauer Fristablauf Norm
Zweiwochenfrist

nach Erhalt einer

EURODAC-Treffermeldung

24.3.2021 Art. 25 I 2 Dublin-III-VO
Einmonatsfrist

ohne

EURODAC-Treffermeldung

10.4.2021 Art. 25 I 1 Dublin-III-VO
3. (Wieder-)Aufnahmeersuchen am 10.3.2021
Fristdauer Fristablauf Norm
Zweiwochenfrist

bei Überstellungshaft

24.3.2021 Art. 28 III 4 Dublin-III-VO

II. Zuständigkeitsübergang ohne Antwort?

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Schweigt der ersuchte Mitgliedstaat, so wird seine Antwort gemäß Art. 22 VII, 25 II beziehungsweise 28 III 5 Dublin-III-VO fingiert (sogenannte Zustimmungsfiktion) und es erfolgt ein automatischer Zuständigkeitsübergang. Somit wäre Finnland für das Asylverfahren von Rahil und Adil trotzdem zuständig.

III. Verfahren bei Uneinigkeit

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Antwortet der betreffende Staat hingegen mit einer Ablehnung[17], so wird aufgrund des Konsensprinzips der Dublin-III-VO kein Zuständigkeitsübergang begründet. Es gibt in diesen Fällen jedoch die Möglichkeit, ein Remonstrationsverfahren einzuleiten. Art. 5 II Dublin-DVO bestimmt dazu Folgendes:

Vertritt der ersuchende Mitgliedstaat die Auffassung, dass die Ablehnung auf einem Irrtum beruht, oder kann er sich auf weitere Unterlagen berufen, ist er berechtigt, eine neuerliche Prüfung seines Gesuchs zu verlangen. Diese Möglichkeit muss binnen drei Wochen nach Erhalt der ablehnenden Antwort in Anspruch genommen werden. Der ersuchte Mitgliedstaat erteilt binnen zwei Wochen eine Antwort.“

Im Remonstrationsverfahren wird dem Schweigen des ersuchten Staates im Gegensatz zum (Wieder-)Aufnahmeverfahren kein Erklärungswert beigemessen. Vielmehr gilt hier der Grundsatz: Wer schweigt, scheint nicht zuzustimmen („qui tacet consentire non videtur). Es bedarf somit immer einer ausdrücklichen Zustimmung. Antwortet der ersuchte Staat im Rahmen des Remonstrationsverfahrens nicht in der zweiwöchigen Frist, so ist laut EuGH das zusätzliche Verfahren der neuerlichen Prüfung endgültig abgeschlossen, sodass der ersuchende Mitgliedstaat nach Ablauf dieser Frist als zuständig anzusehen ist.[18]

Stimmt der ersuchte Staat hingegen zu, stellt sich die Frage, inwiefern sich dies auf den Beginn der Überstellungsfrist auswirkt: Gilt als fristauslösendes Ereignis die erste (ablehnende) oder die zweite (zustimmende) Antwort? Hierzu wird vertreten, dass im Hinblick auf den Wortlaut des Art. 5 II Dublin-DVO eine Zustimmung im Remonstrationsverfahren auf den Zeitpunkt der ablehnenden Antwort zurückwirkt.[19]

C. Überstellung in den ersuchten Dublin-Mitgliedstaat

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I. Grundsätzliche Überstellungsfrist und Modifikationen

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Grundsätzlich hat die Überstellung innerhalb von sechs Monaten als absolute Höchstfrist im Sinne von Art. 29 I Dublin-III-VO zu erfolgen. Demnach müsste Deutschland Rahil und Adil bis zum 4.11.2021 nach Finnland überstellt haben.

Ausnahmsweise gilt eine Frist von einem Jahr, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaf­tierung der betreffenden Person nicht erfolgen konnte, oder eine achtzehnmonatige Frist, wenn die betreffende Person flüchtig ist (vgl. Art. 29 II Dublin-III-VO).

Weiterführendes Wissen

Begriff des Flüchtigseins

Aufgrund des grundsätzlichen Ziels der Dublin-III-VO rasch die Zuständigkeit zu bestimmen, ist der Begriff des Flüchtigseins als Ausnahmetatbestand eng auszulegen. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist eine Person „flüchtig“ im Sinne des Art. 29 II 2 Dublin-III-VO, wenn sie sich den für die Durchführung ihrer Überstellung zuständigen nationalen Behörden gezielt entzieht, um die Überstellung zu vereiteln.[20] Allein die Verletzung ihrer Mitwirkungspflichten wie beispielsweise ihr Nichterscheinen bei der Polizei oder ihre Abwesenheit zum Zeitpunkt der Abholung rechtfertigt indes nicht die Annahme, dass sie die Überstellung habe vereiteln wollen.[21]

Zudem wirkt sich die Ablehnung beziehungsweise Stattgabe eines Eilrechtsschutzantrags im Rahmen eines Klageverfahrens gemäß Art. 29 I Dublin-III-VO auf die Überstellungsfrist aus. Nach Ansicht des BVerwG wird die Überstellungsfrist im Falle einer ablehnenden Eilentscheidung neu in Gang gesetzt.[22] Gibt das Gericht dem Eilantrag hingegen statt und weist die Klage in der Hauptsache ab, beginnt die Überstellungsfrist erst mit der endgültigen Entscheidung über den Rechtsbehelf erneut zu laufen; unter Berücksichtigung der Antrags- und Begründungsfrist für die Berufung im Sinne von § 80b I VwGO i.V.m. § 78 IV AsylG also vier Monate nach Zustellung des abweisenden Urteils.[23]

Muss die sechsmonatige Überstellungsfrist aus den genannten Gründen verlängert werden, ist Art. 9 Dublin-DVO zu beachten. Danach ist der Dublin-Staat, in den die Überstellung erfolgen soll, über die zur Fristverlängerung führenden Umstände zu unterrichten.

II. Zuständigkeitsübergang bei einer nicht fristgemäßen Überstellung

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Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchen­den Mitgliedstaat über. Dies regelt Art. 29 II Dublin-III-VO. Der Ablauf der Überstellungsfrist begründet daher eine Zuständigkeit Deutschlands.

Fristen im Dublin-Verfahren (vereinfachte Übersicht)[24]
Fristauslösendes Ereignis Fristdauer Folge bei Nichteinhaltung der Frist
Frist für das

(Wieder-)Aufnahmeersuchen

Eurodac-Treffermeldung
Asylgesuchstellung
2 Monate
3 Monate
Zuständigkeit des

aktuellen Mitgliedstaates

Antwortfrist Aufnahmeersuchen


Wiederaufnahmeersuchen

2 Monate

beziehungsweise 1 Monat

bei Dringlichkeitsfällen


2 Wochen

nach Eurodac-Treffermeldung


1 Monat

nach Asylgesuchstellung

Zustimmungsfiktion:

Zuständigkeit des

ersuchten Mitgliedstaates

Überstellungsfrist Zustimmung beziehungsweise

Zustimmungsfiktion

Achtung: Abweichungen bei

Einlegung eines Eilrechtsschutzantrags

6 Monate
12 Monate bei Inhaftierung
18 Monate bei Untertauchen

(„flüchtig sein“)

Zuständigkeit des

aktuellen Mitgliedstaates

Weiterführende Literatur

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Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte

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  • Es gibt drei relevante Fristen im Dublin-Verfahren: (Wieder-)Aufnahme-, Antwort- und Überstellungsfristen.
  • Die Dublin-III-VO differenziert begrifflich zwischen einem Wiederaufnahme- und Aufnahmegesuch. Diese Unterscheidung wirkt sich auf die Länge der Antwortfrist aus.
  • Im Rahmen der Dreimonatsfrist für das (Wieder-)Aufnahmegesuch ist grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Asylgesuchs als fristauslösendes Ereignis und nicht auf die förmliche Asylantragstellung abzustellen.
  • Eine vom BAMF verspätet eingeholte Eurodac-Treffermeldung löst nicht den Lauf der Zweimonatsfrist aus, sofern die Dreimonatsfrist zuvor abläuft. Insofern besteht kein Spezialitätsverhältnis zwischen der Zwei- und der Dreimonatsfrist.
  • Ist die asylsuchende Person in Überstellungshaft, so gelten besondere Fristen.
  • Der Ablauf von Dublin-Fristen hat unmittelbare Auswirkung auf die Zuständigkeitsbestimmung: Verstreicht die Frist für das (Wieder-)Aufnahmegesuch, geht die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der (neue) Antrag auf inter­nationalen Schutz gestellt wurde beziehungsweise in dem sich die betreffende Person aufhält. Dasselbe gilt bei Ablauf der Überstellungsfrist.
  • Schweigt der angefragte Mitgliedstaat und antwortet nicht innerhalb der vorgegebenen Frist, wird seine Zustimmung fingiert (sogenannte Zustimmungsfiktion).
  • Dublin-Fristen sind individalschützend. Das bedeutet, dass sich Schutzsuchende auf den Ablauf dieser berufen können.
  • Die sechsmonatige Überstellungsfrist kann sich in folgenden Fällen verlängern: bei Inhaftierung oder Flüchtigsein der betreffenden Person sowie bei Stattgabe beziehungsweise Ablehnung eines Eilrechtsschutzantrags im Rahmen eines Dublin-Klageverfahrens.

Dieser Text wurde von der Initiative für eine offene Rechtswissenschaft OpenRewi erstellt. Wir setzen uns dafür ein, Open Educational Ressources für alle zugänglich zu machen. Folge uns bei Bluesky oder X oder trage dich auf unseren Newsletter ein.

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Inhaltsverzeichnis des Buches

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§ 1 Nationales Asylverfahrensrecht

§ 2 Asylverfahrensrecht im europäischen Kontext

§ 3 Materielles Asylrecht

§ 4 Entscheidungsmöglichkeiten des BAMF und der Asylprozess

§ 5 Rechte und Pflichten nach Schutzzuerkennung

§ 6 Rechtsstellung nach Antragsablehnung und Aufenthaltssicherung

§ 7 Sozialleistungen im Flüchtlingskontext

§ 8 Nicht-humanitäres Aufenthaltsrecht

Fußnoten

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  1. Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, ABl. EU Nr. 180/31.
  2. Hier gilt als Faustformel: zwei Monate bei Vorliegen eines Eurodac-Treffers sowie drei Monate bei anderen Beweismitteln.
  3. Hruschka, ZAR 2018, 281 (282).
  4. EuGH, Urt. v. 26.7.2017, Az.: C-670/16, Tz. 103.
  5. Dabei ist es unerheblich, dass der 21.3.2021 ein Sonntag war. Siehe dazu: Koehler, Praxiskommentar zum Europäischen Asylzuständigkeitssystem, Dublin-III-VO, 2018, Art. 41 Rn. 6.
  6. EuGH, Urt. v. 26.7.2017, Az.: C-670/16, Rz. 103.
  7. Bruns, in: Oberhäuser (Hrsg.), Migrationsrecht in der Beratungspraxis, 2019, § 18 Rn. 43.
  8. VG München, Beschl. v. 8.7.2016, Az.: M 8 S 16.50302, Rn. 34.
  9. Vgl. EuGH, Urt. v. 26.7.2017, Az.: C-670/16, Tz. 52 f.
  10. BVerwG, Urt. v. 9.8.2016, Az.: 1 C 6.16.
  11. EuGH, Urt. v. 25.10.2017, Az.: C-201/16; EuGH, Urt. v. 26.7.2017, Az.: C-670/16.
  12. EuGH, Urt. v. 26.7.2017, Az.: C-670/16, Tz. 74.
  13. EuGH, Urt. v. 10.12.2013, Az.: C‑394/12, Tz. 56.
  14. EuGH, Urt. v. 7.6.2016, Az.: C‑63/15, Tz. 46.
  15. EuGH, Urt. v. 26.7.2017, Az.: C-670/16, Tz. 63 ff.
  16. Hruschka, ZAR 2018, 281 (286).
  17. Eine solche ist mit einer ausführlichen Begründung zu versehen (vgl. Art. 5 I Dublin-DVO).
  18. EuGH, Urt. v. 13.11.2018, Az.: C-47/17, C-48/17.
  19. Hruschka, ZAR 2018, 281 (286).
  20. EuGH, Urt. v. 19.3.2019, Az.: C‑163/17, Tz. 70.
  21. BVerwG, Urt. v. 17.8.2021, Az.: 1 C 38.20, Rn. 21.
  22. BVerwG, Urt. v. 26.5.2016, Az.: 1 C 15.15, Rn. 12.
  23. BVerwG, Urt. v. 9.8.2016, Az.: 1 C 6.16, Rn. 20.
  24. Informationsverbund Asyl & Migration, Basisinformationen für die Beratungspraxis Nr. 2: Das »Dublin-Verfahren«, 2. Aufl. 2021, S. 6.