Schluss mit Schutz? Lösung

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Autor: Max Putzer

Behandelte Themen: Widerruf und Rücknahme internationalen Schutzes, Hauptsache und Eilverfahren

Sachverhalt: Schluss mit Schutz?

Schwierigkeitsgrad: Fortgeschrittene

A. Ausgangsfall[Bearbeiten]

Fraglich ist, ob die Klage der F gegen den Bescheid des BAMF begründet ist. Dies ist der Fall, wenn sich der angegriffene Bescheid, mit dem das BAMF den Schutzstatus der F widerrufen hat, in dem dafür maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 I Hs. 1 AsylG) als rechtswidrig erweist und die F dadurch in ihren Rechten verletzt (vgl. § 113 I 1 VwGO).

Der Widerruf des der F zuerkannten Schutzstatus wegen ihrer Rückkehr nach X und der Beantragung eines neuen Reisepasses könnte sich auf § 73 I 1 AsylG stützen. Danach ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist nach § 73 I 2 Nr. 1 AsylG unter anderem der Fall, wenn sich Personen mit Schutzstatus freiwillig erneut dem Schutz des Staates, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, unterstellen.

Der Widerruf ist formell rechtmäßig, insbesondere hat das BAMF die F vor seiner Entscheidung ordnungsgemäß angehört (vgl. § 73b VI AsylG).

Gegen das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen für einen Widerruf könnte sprechen, dass die F ihrem Vortrag nach allein deshalb in ihr Herkunftsland zurückgekehrt ist, um ihre schwerkranke Mutter zu besuchen und zu pflegen, mithin um eine sittliche Pflicht zu erfüllen. Hierzu hat sie im Termin zur mündlichen Verhandlung einen Arztbrief eingereicht, der den vorgetragenen operativen Eingriff belegt. Darüber hinaus kommt einer Passerneuerung lediglich eine Indizwirkung zu, dass die Person die Absicht hat, sich wieder dem Schutz ihres Heimatlandes zu unterstellen. Der äußere Geschehensablauf kann jedoch einer solchen Indizwirkung entgegenstehen. Maßgeblich sind insoweit die Umstände des Einzelfalls. So könnte etwa der Vortrag der F, den neu ausgestellten Pass zur Wiederausreise benötigt zu haben, die indizielle Wirkung der Erneuerung entfallen lassen. Gleiches könnte gelten, soweit die F vorgetragen hat, nicht sie, sondern ihre Mutter habe den beantragten Pass bei der ihn ausstellenden Behörde in Empfang genommen. Auch ist die F nur einmal für eine relativ kurze Zeit, nicht jedoch wiederholt in ihre frühere Heimat X zurückgekehrt.

Allerdings ist der Vortrag der F, den Pass zum Verlassen des Landes benötigt zu haben, insoweit nicht glaubhaft, als sie - ihren eigenen Angaben nach - illegal nach X wiedereingereist ist. Warum es ihr nicht möglich gewesen sein sollte, das Land auch wieder illegal zu verlassen, um den Behörden nicht aufzufallen, ist nicht ersichtlich. Andere Gründe, die die F dazu bewegt haben könnten, die Ausstellung eines neuen Reisepasses zu beantragen, sind ebenso wenig erkennbar. Dies gilt umso mehr, als sie der zuständigen Ausländerbehörde mitgeteilt hat, während ihres Aufenthalts jeglichen Kontakt zu Repräsentant*innen ihres früheren Heimatstaates vermieden zu haben. Aus diesem Grund habe sie kaum das Haus ihrer Mutter verlassen. Dass ihre Mutter aus demselben Grund den ausgestellten Pass an ihrer Stelle abgeholt habe, steht gleichwohl in Widerspruch zu ihren übrigen Angaben die Erkrankung und Genesung ihrer Mutter betreffend, sodass auch insoweit ihr Vortrag nicht glaubhaft ist. Denn sowohl das Ausstellungsdatum als auch der auf dem Pass angebrachte Ausreisestempel liegen innerhalb der zwei Wochen, während der die F ihre Mutter zu Hause gepflegt haben will.

Nach alldem stehen die Umstände des Einzelfalls der Indizwirkung der Passneuausstellung nicht entgegen. Insbesondere liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die F den Pass während ihres Aufenthalts in X nicht freiwillig beantragt haben könnte.

Im Ergebnis liegen damit die Voraussetzungen für den Widerruf der Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes vor.

Die Klage ist unbegründet.

B. Abwandlung[Bearbeiten]

Fraglich ist, ob der Antrag der F auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes begründet ist.

Dies ist der Fall, wenn das Interesse der F, vorläufig von der Vollziehung der Rücknahmeentscheidung verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides des BAMF überwiegt (vgl. § 80 V 1 Alt. 2 VwGO).

Das Aussetzungsinteresse überwiegt das Vollziehungsinteresse, wenn sich der angegriffene Bescheid nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage als rechtswidrig erweist oder der Ausgang des Verfahrens jedenfalls offen ist.

Fraglich ist mithin, ob die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes vorliegen. Die Zuerkennung internationalen Schutzes ist nach § 73 IV AsylG zurückzunehmen, wenn sie auf Grund unrichtiger Angaben oder infolge Verschweigens wesentlicher Tatsachen erteilt worden ist und Antragstellende auch aus anderen Gründen nicht anerkannt werden könnten. Die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 V oder VII AufenthG ist nach § 73 VI 2 AsylG zurückzunehmen, wenn sie fehlerhaft ist.

Vorliegend erweist sich der Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache jedenfalls als offen. Ob die Voraussetzungen für eine Rücknahme des zuerkannten internationalen Schutzes vorliegen, weil die F im Asylverfahren falsche Angaben über ihre Staatsangehörigkeit gemacht hat, bedarf weiterer Aufklärung im Klageverfahren. So bestehen bislang lediglich Anhaltspunkte für eine mögliche Täuschungshandlung der F. Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren ist zwar eingeleitet; über das Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachtes als Voraussetzung für die Erhebung der öffentlichen Klage nach § 170 I StPO hat die Staatsanwaltschaft noch nicht entschieden. Das Ergebnis einer Prüfung der Echtheit der sichergestellten Urkunde, die die F als Staatsangehörige von N ausweist, steht noch aus. Die Stempel in dem alten Reiseausweis belegen zudem allein einen Aufenthalt der F in diesem Land, lassen aber nicht ohne Weiteres Rückschlüsse auf ihre Staatsangehörigkeit zu. Dies gilt umso mehr, als die F im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung gegenüber dem BAMF erklärt hat, wegen der Verfolgung ihres Volkes in ihrer Heimat bereits 2012 X zeitweise verlassen zu haben, nach N geflohen zu sein und dort mehr als ein Jahr gelebt zu haben. Dass sie in dieser Zeit enge Freundschaften geknüpft und dort Familienmitglieder nach ihrer endgültigen Ausreise aus X zurückgelassen hat, erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen. Überdies ist denkbar, dass der M die F gegenüber der Staatsanwaltschaft in der Hoffnung belastet hat, sich dadurch Vorteile in dem Sorgerechtsstreit um die beiden Kinder zu verschaffen.

Vor diesem Hintergrund überwiegt das Interesse der F, bis zu einer endgültigen gerichtlichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Rücknahmeentscheidung des BAMF von deren Vollziehung und den sich hieraus ergebenden Folgen verschont zu bleiben. Andernfalls drohte der F bereits vor Abschluss des gegen sie geführten Ermittlungsverfahrens die Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen. Das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung, ohne dass zuvor der Sachverhalt vollständig aufgeklärt und die Identität und Staatsangehörigkeit der F sicher bestimmt wären, muss dahinter zurücktreten. Dabei ist auch die gesetzliche Wertung des § 75 I 1 AsylG zu berücksichtigen, wonach Klagen gegen Entscheidungen in Fällen des § 73b VII 1 AsylG grundsätzlich aufschiebende Wirkung haben.

Weiterführende Literatur[Bearbeiten]

Dieser Text wurde von der Initiative für eine offene Rechtswissenschaft OpenRewi erstellt. Wir setzen uns dafür ein, Open Educational Ressources für alle zugänglich zu machen. Folge uns bei Twitter oder trage dich auf unseren Newsletter ein.

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Inhaltsverzeichnis des Buches[Bearbeiten]

§ 1 Nationales Asylverfahrensrecht

§ 2 Asylverfahrensrecht im europäischen Kontext

§ 3 Materielles Asylrecht

§ 4 Entscheidungsmöglichkeiten des BAMF und der Asylprozess

§ 5 Rechte und Pflichten nach Schutzzuerkennung

§ 6 Rechtsstellung nach Antragsablehnung und Aufenthaltssicherung

§ 7 Sozialleistungen im Flüchtlingskontext

§ 8 Nicht-humanitäres Aufenthaltsrecht

Fußnoten[Bearbeiten]