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Allein in Deutschland, Familie in Aleppo SV

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Autor: Max Putzer

Behandelte Themen: Familiennachzug, Subsidiäre Schutzberechtigung, Minderjährige unbegleitete Geflüchtete, Zeitpunkt der Volljährigkeit, Außergewöhnliche Härte

Schwierigkeitsgrad: Fortgeschrittene

Lösung: Allein in Deutschland, Familie in Aleppo


Sachverhalt

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Der am 18.9.2000 geborene A ist syrischer Staatsangehöriger und in Aleppo aufgewachsen. Er floh im Jahre 2015 vor dem Bürgerkrieg aus seinem Heimatland und reiste gemeinsam mit seinem Onkel O über die sogenannte Balkan-Route in die Bundesrepublik ein. Nach Einreise stellte er im Mai 2016 einen Asylantrag. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erkannte ihm mit Bescheid vom 15.2.2017 den subsidiären Schutzstatus zu. Er ist seit Juni 2017 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 II 1 Alt. 2 AufenthG. Über seine Klage bei dem örtlich zuständigen Verwaltungsgericht auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist noch nicht entschieden.

Die Eltern X und Y des A leben weiterhin in Aleppo, gemeinsam mit ihrer 14-jährigen Tochter B, der Schwester des A. Am 2.8.2018 stellten sie bei dem Generalkonsulat der Bundesrepublik in Erbil, Irak, einen Antrag auf Erteilung von Visa zum Familiennachzug zu ihrem in Deutschland lebenden Sohn beziehungsweise Bruder. Bei der Befragung durch die International Organization for Migration (IOM) im September 2018 gaben sie an, Y verdiene so viel, dass die Familie genug zum Essen habe. Zwar sei kein Mitglied der in Syrien verbliebenen Familie ernsthaft krank oder leide unter gravierenden körperlichen Beeinträchtigungen; allerdings vermissten sie ihren Sohn beziehungsweise Bruder sehr, von dem sie bereits mehrere Jahre getrennt lebten. Der A könne nach dem in Syrien Erlebten und der traumatischen Flucht ohne Medikamente kaum schlafen und werde von einer Sozialarbeiterin betreut. Ohne eine Zusammenführung der Familie werde sich sein Gesundheitszustand weiter verschlechtern.

Das Generalkonsulat leitete im November 2018 den Sachverhalt an die örtlich zuständige Ausländerbehörde weiter, um sie – wie in § 31 I 1 Nr. 1 Aufenthaltsverordnung (AufenthV) vorgesehen – im Verwaltungsverfahren zu beteiligen. Diese erklärte dem Generalkonsulat, ihre Zustimmung für die beantragten Visa nicht erteilen zu können. Zur Begründung führte sie aus, der A habe sein 18. Lebensjahr bereits vollendet. Deshalb komme ein Familennachzug zum minderjährigen unbegleiteten subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr in Betracht. Maßgeblich für die Frage der Minderjährigkeit sei der Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung, nicht jedoch der Asylantragstellung oder der Beantragung der Visa zum Familiennachzug. Zweck des Elternnachzugs zum Minderjährigen sei es, die Ausübung beziehungsweise Inanspruchnahme der elterlichen Sorge zu ermöglichen, nicht aber darüber hinaus das familiäre Zusammenleben im Allgemeinen. Ein eigenständiges Aufenthaltsrecht der Eltern nach Erreichen der Volljährigkeit des Kindes kenne das Aufenthaltsgesetz nicht. Diese Auslegung widerspreche auch nicht höherrangigem Recht. Weder aus der UN-Kinderrechtskonvention (KRK) noch aus dem Grundgesetz (GG) oder der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ergebe sich ein unmittelbarer Anspruch auf Familiennachzug. Auch die Regelungen der Familienzusammenführungs-RL seien nur auf den Familiennachzug zu "Flüchtlingen" nach der Genfer Flüchtlingskonvention, nicht jedoch zu subsidiär Schutzberechtigten anwendbar. Eine außergewöhnliche Härte nach § 36 II 1 AufenthG, die eine Anwesenheit der Familie bei A in Deutschland erforderlich machte, hätten die Antragstellenden nicht vorgetragen.

In seiner neuen Heimat wird A langsam nervös. Obwohl bereits vor einiger Zeit gestellt, hat das Generalkonsulat über die Visaanträge seiner Familie noch nicht entschieden. Sein Freund vermittelt ihm den Kontakt zu Rechtsanwältin R, der er seine Situation schildert. Du bist mit dabei und machst Dir Notizen. Da R auf dem Sprung zu einer mündlichen Verhandlung am Verwaltungsgericht ist, bittet sie Dich um die Prüfung, ob B, X und Y die Voraussetzungen für einen Familiennachzug zu A erfüllen. Wäre dem A Flüchtlingsschutz zugesprochen worden, würde es für den Familiennachzug nicht darauf ankommen, dass er noch im Zeitpunkt der Behörden- oder der Gerichtsentscheidung minderjährig sei, meint sie. Das sei eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung. Auch verfolge die Europäische Union mit Einführung eines gemeinsamen europäischen Asylsystems das Ziel eines einheitlichen Schutzstatus, der sowohl Flüchtlinge als auch subsidiär Schutzberechtigte umfasse. Außerdem habe der A subsidiären Schutz immerhin bereits vor seinem 18. Geburtstag gewährt bekommen; auch habe die Familie ihre Anträge vor Erreichen der Volljährigkeit gestellt. Es verstoße gegen das Gebot effektiven Rechtsschutzes, wenn der Anspruch der antragstellenden Familienangehörigen davon abhängt, ob die jeweils zuständigen Behörden ihren Antrag beziehungsweise den Asylantrag des Kindes zügig behandeln oder die Bearbeitung verzögern. Dies dürfte nicht zu Lasten der hiervon Betroffenen gehen.

Kurz bevor sich R auf den Weg zum Gerichtstermin macht, weist sie Dich auf folgende Vorschriften des internationalen Rechts und des Unionsrechts hin, von denen sie meint, dass sie einschlägig sein könnten: Art. 3 und 10 der UN-Kinderrechtskonvention, Art. 2, 3, 9, 10 unnd 13 der Richtlinie 2003/86/EG (Familienzusammenführungs-RL), sowie Art. 2, 20 und 23 der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikations-RL).

Fallfrage

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Erfüllen B, X und Y die Voraussetzungen für die Erteilung eines Visums zum Zwecke des Nachzugs zu ihrem in Deutschland lebenden Bruder beziehungsweise Sohn?

Dieser Text wurde von der Initiative für eine offene Rechtswissenschaft OpenRewi erstellt. Wir setzen uns dafür ein, Open Educational Ressources für alle zugänglich zu machen. Folge uns bei Bluesky oder X oder trage dich auf unseren Newsletter ein.

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Inhaltsverzeichnis des Buches

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§ 1 Nationales Asylverfahrensrecht

§ 2 Asylverfahrensrecht im europäischen Kontext

§ 3 Materielles Asylrecht

§ 4 Entscheidungsmöglichkeiten des BAMF und der Asylprozess

§ 5 Rechte und Pflichten nach Schutzzuerkennung

§ 6 Rechtsstellung nach Antragsablehnung und Aufenthaltssicherung

§ 7 Sozialleistungen im Flüchtlingskontext

§ 8 Nicht-humanitäres Aufenthaltsrecht

Fußnoten

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