Das BAMF hat entschieden – was nun? Lösung
Autor*innen: Ivanka Goldmaier, Max Putzer, Camilla Schloss
Behandelte Themen: Rechtsschutz gegen Entscheidungen des BAMF, richtige Stellung von Anträgen in Eil- und Hauptsacheverfahren
Zugrundeliegender Sachverhalt: Das BAMF hat entschieden - was nun?
Schwierigkeitsgrad: Fortgeschrittene
A. Ausgangsfall
[Bearbeiten]I. Fallfrage 1
[Bearbeiten]Die Klagefrist beträgt gemäß § 74 I Hs. 1 AsylG zwei Wochen ab Bekanntgabe des Bescheids.
II. Fallfrage 2
[Bearbeiten]Die Klage hat aufschiebende Wirkung (§ 75 I 1 i.V.m. § 38 I AsylG).
III. Fallfrage 3
[Bearbeiten]Da die Klage insgesamt aufschiebende Wirkung hat, bedarf es keines Antrags auf gerichtlichen Eilrechtsschutz.
IV. Fallfrage 4
[Bearbeiten]A beantragt,
- die Beklagte unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheids vom [...] zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten an- und ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
hilfsweise,
- die Beklagte unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheids vom [...] zu verpflichten, dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen.
weiter hilfsweise,
- die Beklagte unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheids vom [...] zu verpflichten, festzustellen, dass hinsichtlich des Libanon ein Abschiebungsverbot nach § 60 V und VII 1 AufenthG vorliegt.
äußerst hilfsweise,
- das in Ziffer 6 des Bescheids vom [...] angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot aufzuheben.
Nachdem die Regelung des § 11 AufenthG durch das „Zweite Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“ vom 15.8.2019[1], welches seit dem 21.8.2019 in Kraft ist, neugefasst wurde, ist nunmehr die Anfechtungsklage nach § 42 I Alt. 1 VwGO und nicht mehr die Verpflichtungsklage nach § 42 I Alt. 2 VwGO die statthafte Klageart, da die Aufhebung der vom BAMF in Ziffer 4 des Bescheids getroffenen Befristungsentscheidung die Beschwer der Antragstellenden nunmehr zu beenden vermag. Nach § 11 I AufenthG n.F. ist gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Mit der gerichtlichen Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots fehlt es dann an einem Ausspruch zum Einreise- und Aufenthaltsverbot, sodass dies ausweislich des Wortlauts des § 11 I AufenthG n.F. dann (neu) zu erlassen ist. Anders sah dies die Regelung des § 11 I AufenthG a.F. vor, die nach teilweise vertretener Auffassung schon von Gesetzes wegen ein Einreise- und Aufenthaltsverbot begründete, so dass eine Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach der alten Rechtslage zur Folge hatte, dass aus dem zunächst befristeten Einreise- und Aufenthaltsverbot ein von Gesetzes wegen vorgesehenes unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde, so dass nach der alten Rechtslage die Beschwer folgerichtig nur mit einem Verpflichtungsausspruch des Gerichts auf Neubescheidung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes beseitigt werden konnte.
5. Fallfrage
[Bearbeiten]Vor Klageerhebung ist kein Widerspruchsverfahren durchzuführen, da dieses nach § 11 AsylG ausgeschlossen ist.
B. Abwandlung 1
[Bearbeiten]I. Fallfrage 1
[Bearbeiten]Die Klagefrist beträgt gemäß § 74 I Hs. 2 i.V.m. § 36 III 1 AsylG eine Woche.
II. Fallfrage 2
[Bearbeiten]Die Klage hat gemäß § 75 I 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung.
III. Fallfrage 3
[Bearbeiten]Der Antrag auf gerichtlichen Eilrechtsschutz ist binnen einer Woche zu stellen, § 36 III 1 AsylG.
Der Antragsteller beantragt,
- die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die in Ziffer 5 des Bescheids der Antragsgegnerin vom [...] erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung anzuordnen.
Es genügt, insoweit gegen die Ausreiseaufforderung beziehungsweise Abschiebungsandrohung gerichtlichen Eilrechtsschutz anzustreben, da dem Antragsteller nur insoweit unmittelbare Nachteile drohen und eine inzidente Prüfung des übrigen Bescheids erfolgt.
Wichtig: Der Prüfungsmaßstab des Gerichts ist eingeschränkt. Nach Art. 16a IV 1 GG, § 36 IV 1 AsylG darf eine Aussetzung der Abschiebung nur erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids bestehen. Ernstliche Zweifel liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafürsprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird.[2]
IV. Fallfrage 4
[Bearbeiten]A beantragt,
- die Beklagte unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheids vom [...] zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten an- und ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
hilfsweise,
- die Beklagte unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheids vom [...] zu verpflichten, dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen.
weiter hilfsweise,
- die Beklagte unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheids vom [...] zu verpflichten, festzustellen, dass hinsichtlich des Libanon ein Abschiebungsverbot nach § 60 V, VII 1 AufenthG vorliegt.
äußerst hilfsweise,
- das in Ziffer 6 des Bescheids vom [...] angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom [...] insoweit aufzuheben, als darin der Asylantrag des Klägers als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist.
Hinsichtlich des Offensichtlichkeitsausspruchs ist die isolierte Anfechtungsklage (§ 42 I Alt. 1 VwGO) statthaft, sofern eine qualifizierte Ablehnung als offensichtlich unbegründet nach § 30 III AsylG erfolgt ist [3]. Insbesondere fehlt es insoweit nicht am allgemeinen Rechtsschutzinteresse. Die isolierte Anfechtungskomponente trägt in derartigen Konstellationen insbesondere dem Umstand Rechnung, dass auch ein Rechtsschutzinteresse daran besteht, die Ziffern 1 bis 3 des streitgegenständlichen Bescheids jeweils zumindest insoweit aufzuheben, als die Anträge auf Asylanerkennung, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beziehungsweise auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden sind. Dies ergibt sich aus der Regelung in § 10 III 2 AufenthG. Danach darf die Ausländerbehörde – von den in Satz 3 der Vorschrift geregelten Ausnahmen abgesehen – vor der Ausreise keinen Aufenthaltstitel erteilen, sofern der Asylantrag nach § 30 III Nr. 1 bis 6 AsylG als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. Aufgrund dieser gesetzlichen Sperre für die Erteilung von Aufenthaltstiteln stellt die Ablehnung des Asylantrags nach § 30 III Nr. 1 bis 6 AsylG eine eigenständige nachteilige Rechtsfolge dar, die nur mit der gerichtlichen Aufhebung des Offensichtlichkeitsurteils – soweit es auf § 30 III AsylG gestützt wird – abgewendet werden kann.[4]
C. Abwandlung 2
[Bearbeiten]I. Fallfrage 1
[Bearbeiten]Die Klagefrist beträgt gemäß § 74 I 2, Hs. 2 i.V.m. § 36 I AsylG (bei einer Ablehnung nach § 29 I Nr. 5 AsylG i.V.m. § 71 IV oder § 71a IV AsylG) eine Woche.
II. Fallfrage 2
[Bearbeiten]Die Klage hat keine aufschiebende Wirkung, § 75 I AsylG.
III. Fallfrage 3
[Bearbeiten]Der Antrag auf gerichtlichen Eilrechtsschutz ist binnen einer Woche bei Gericht einzureichen, § 36 III 1, Hs. 1 AsylG (gegebenenfalls i.V.m. § 71 IV oder § 71a IV AsylG).
Der Antragsteller beantragt,
- die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die in Ziffer 5 des Bescheids der Antragsgegnerin vom [...] erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung anzuordnen.
Es genügt, insoweit gegen die Ausreiseaufforderung beziehungsweise Abschiebungsandrohung gerichtlichen Eilrechtsschutz anzustreben, da dem Antragsteller nur insoweit unmittelbare Nachteile drohen. Der Bescheid wird dabei inzident überprüft.
Wichtig: Der Prüfungsmaßstab des Gerichts ist eingeschränkt. Nach Art. 16a IV 1 GG, § 36 IV 1 AsylG darf eine Aussetzung der Abschiebung nur erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids bestehen. Ernstliche Zweifel liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafürsprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird.[5]
IV. Fallfrage 4
[Bearbeiten]Der Kläger beantragt,
- Ziffer 1 des Bescheids der Beklagten vom [...] aufzuheben.
Richtigerweise ist Ziffer 1 des Bescheids des BAMF mit der Anfechtungsklage anzugreifen, das Gericht muss - hält es die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig für rechtswidrig - die Sache nicht spruchreif machen.[6] Ein Verpflichtungsantrag (auf Durchführung eines Asylverfahrens oder auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzstatus) ist demnach unstatthaft.[7]
hilfsweise,
- die Beklagte unter Aufhebung der Ziffern 2 und 3 ihres Bescheids vom [...] zu verpflichten, festzustellen, dass hinsichtlich des Landes S ein Abschiebungsverbot nach § 60 V und VII 1 AufenthG vorliegt;
weiter hilfsweise,
- das in Ziffer 4 des Bescheids vom [...] festgesetzte Einreise- und Aufenthaltsverbot aufzuheben.
D. Abwandlung 3
[Bearbeiten]Dieser Bescheidtenor kann bei der Ablehnung eines Asylantrags als Folgeantrag nach § 29 I Nr. 5 i.V.m. § 71 AsylG auftreten. Das BAMF hat in diesem Fall von der nach § 71 V 1 AsylG eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht, keine erneute Fristsetzung und Abschiebungsandrohung zu erlassen, und sich auf die Abschiebungsandrohung in dem bestandskräftigen Bescheid vom 1. Februar 2017 bezogen.
I. Fallfrage 1
[Bearbeiten]Die Klagefrist beträgt zwei Wochen nach Zustellung des Bescheids (§ 74 I Hs. 1 AsylG). Da das BAMF von dem Erlass einer neuen Abschiebungsandrohung abgesehen hat, gilt nicht die Wochenfrist nach § 74 I Hs. 2, 36 III, 71 IV AsylG.
II. Fallfrage 2
[Bearbeiten]Die Klage hat keine aufschiebende Wirkung, § 75 I AsylG.
III. Fallfrage 3
[Bearbeiten]Statthafter Eilantrag ist ein Antrag nach § 123 I 2 VwGO. In der Konstellation, in der das BAMF von der nach § 71 V 1 AsylG eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, keine erneute Fristsetzung und Abschiebungsandrohung zu erlassen, bietet nur ein Antrag gemäß § 123 I VwGO effektiven Eilrechtsschutz, um vorläufig eine Abschiebung zu verhindern [8].
Der Antragsteller beantragt,
- der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass der Antragsteller bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens nicht in das Land S abgeschoben werden darf.
Zum Teil wurde jedenfalls früher vertreten, dass stattdessen ein Antrag nach § 80 V VwGO statthafter Eilantrag sei.[9]
IV. Fallfrage 4
[Bearbeiten]Der Kläger beantragt,
- den Bescheid der Beklagten vom [...] aufzuheben.
hilfsweise,
- die Beklagte unter Aufhebung der Ziffer 2 zu verpflichten, festzustellen, dass hinsichtlich des Landes S ein Abschiebungsverbot nach § 60 V, VII 1 AufenthG vorliegt.
E. Abwandlung 4
[Bearbeiten]I. Fallfrage 1
[Bearbeiten]Die Klagefrist bemisst sich nach § 74 I Hs. 1 AsylG und beträgt mithin zwei Wochen.
A beantragt,
- den Bescheid der Beklagten vom [...] aufzuheben.
Denn statthafte Klage ist die Anfechtungsklage nach § 42 I VwGO.
Daneben beantragt A
- hilfsweise, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom [...] zu verpflichten, ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, weiter hilfsweise, ein Abschiebungsverbot nach § 60 V, VII 1 AufenthG festzustellen.
Statthafte Klageart ist insoweit die Verpflichtungsklage nach § 42 I Alt. 2 VwGO, da das BAMF mit Rücknahme des mit ursprünglichem Bescheid zuerkannten Flüchtlingsschutzes zugleich den subsidiären Status nach § 4 I AsylG nicht zuerkannt und im Übrigen festgestellt hat, dass Abschiebungsverbote nach § 60 V, VII 1 AufenthG nicht vorliegen. Über den Hilfsantrag hat das Verwaltungsgericht somit nur dann zu entscheiden, wenn sich die Rücknahme der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach seiner Prüfung als rechtmäßig erweist.
II. Fallfrage 2
[Bearbeiten]Grundsätzlich hat die Klage gegen einen Bescheid des BAMF, mit dem die Asylberechtigung, die Zuerkennung von Flüchtlingseigenschaft oder subsidiärem Schutz sowie die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 V, VII 1 AufenthG widerrufen oder zurückgenommen wird, aufschiebende Wirkung. Dies ergibt sich (ausdrücklich) aus § 75 I 1 AsylG. Danach hat die Klage gegen Entscheidungen nach dem AsylG allein in den Fällen des § 38 I sowie des § 73b VII 1 AsylG aufschiebende Wirkung.
Vorliegend entfällt die aufschiebende Wirkung jedoch, weil die sofortige Vollziehung des angegriffenen Bescheids angeordnet ist. Dies war dem BAMF entgegen § 75 I 1 AsylG auch möglich, da die Regelung des § 80 II 1 Nr. 4 VwGO hiervon ausdrücklich unberührt bleiben sollte (vgl. § 75 II 3 AsylG). Hierüber hinaus haben Klagen gegen Rücknahme-/Widerrufsbescheide betreffend die Asylberechtigung und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 75 II 1 AsylG ausnahmsweise dann keine aufschiebende Wirkung, wenn die Voraussetzungen des § 60 VIII 1 AufenthG oder des § 3 II AsylG vorliegen (Nr. 1) sowie wenn das BAMF nach § 60 VIII 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 I AufenthG abgesehen hat (Nr. 2). Entsprechend gilt dies bei Klagen gegen den Widerruf oder die Rücknahme der Gewährung subsidiären Schutzes wegen Vorliegens der Voraussetzungen von § 4 II AsylG (vgl. § 75 II AsylG).
III. Fallfrage 3
[Bearbeiten]Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist innerhalb der Frist des § 74 I AsylG, mithin binnen zwei Wochen zu stellen. Er ist auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Rücknahmebescheid gerichtet, da das BAMF als erlassende Behörde dessen sofortige Vollziehung angeordnet hat.
A beantragt,
- die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom [...] wiederherzustellen.
Fußnoten
[Bearbeiten]- ↑ BGBl. 2019 I, S. 1294.
- ↑ BVerfG, Urt. v. 14.5.1996, Az.: 2 BvR 1516/93, Rn. 99.
- ↑ Siehe zur Ablehnung als offensichtlich unbegründet nach § 30 III AsylG Goldmaier, 24) Syrer oder Jordanier?.
- ↑ BVerwG, Urt. v. 21.11.2006, Az.: 1 C 10.06.
- ↑ BVerfG, Urt. v. 14.5.1996, Az.: 2 BvR 1516/93, Rn. 118.
- ↑ BVerwG, Urt. v. 14.12.2016, Az.: 1 C 4.16, Rn. 16.
- ↑ Vgl. ausführlich: VG Trier, Urt. v. 18.11.2019, Az.: 6 K 988/19.TR, Rn. 26.
- ↑ VGH Hessen, Beschl. v. 13.9.2018, Az.: 3 B 1712/18 A; VG Köln, Beschl. v. 7.12.2021, Az.: 6 L 1862/21 A.
- ↑ VG Berlin, Beschl. v. 28.6.2018, Az.: VG 23 L 256.18 A, Rn. 5ff. m.w.N.